Rede von Dieter Reicherter, Vors. Richter a.D., auf der 236. Montagsdemo am 1.9.2014
Der Wasserwerferprozess – Rückblick und aktueller Stand
Liebe Freundinnen und Freunde der Wahrheit,
gerne erzähle ich ergänzend zu den wöchentlichen Berichten in der Kontext-Wochenzeitung etwas über den Wasserwerfer-Prozess beim Landgericht Stuttgart. Dort sind zwei Polizeibeamte, am Schwarzen Donnerstag als sogenannte Einsatzabschnittsleiter im Schlossgarten tätig, angeklagt. Sie waren das Bindeglied in der Befehlskette zwischen den einzelnen Polizisten, die vor Ort ihren Dienst taten oder das, was sie für ihren Dienst hielten, und dem Polizeiführer Stumpf mit seinem Führungsstab, die sich im Präsidium am Pragsattel fein raus hielten. Ob sich auch andere, weit oben in der Politik angesiedelt, fein raus hielten, will ich hier mal nicht diskutieren, obwohl ich nach Lektüre vieler Dokumente im Staatsministerium dazu eine klare Meinung habe.
Zurück zu unseren beiden Angeklagten: Ihnen wird nicht etwa vorgeworfen, für Verletzungen durch Pfefferspray, Reizgas, Schlagstöcke, Wasserwerfertreffer insgesamt verantwortlich zu sein. Ihnen wird auch nicht vorgeworfen, sich nicht um die medizinische Behandlung der Verletzten gekümmert zu haben. Sie sind auch nicht angeklagt, weil Pfefferspray verbotenerweise gegen Kinder sowie ohne Einhaltung des Mindestabstandes gegen Hunderte Menschen eingesetzt wurde. Nein, die Staatsanwaltschaft hat schon 2013 – entsprechend der Weissagung ihres früheren Chefermittlers Häußler vom Dezember 2010 – festgestellt, dass alles rechtmäßig gewesen sei bis auf Wasserwerfertreffer an Köpfen. Da hat sie gerade mal 9 Verletzte gefunden. Wie sie auch insgesamt nur 130 Verletzte gezählt hat.
Nun hat sich allerdings im Prozess bereits durch Vernehmung von 10 verletzten Menschen herausgestellt, dass nur einer von ihnen vom Roten Kreuz behandelt wurde und deshalb in der offiziellen Zahl 130 enthalten ist. 9 von diesen 10 Zeugen wurden dagegen nicht vom Roten Kreuz behandelt und tauchen in den 130 überhaupt nicht auf, darunter auch Dietrich Wagner. Nun habe ich mal ein mathematisch begabtes Milchmädchen zu Rate gezogen und mir bestätigen lassen, dass es 1300 Verletzte gegeben haben muss, wenn – wie bewiesen – nur jeder Zehnte amtlich gezählt wurde und dabei 130 raus kam. Ich bin überzeugt, dass zumindest diejenigen, die sonst gern selbst Statistiken für das tolle Projekt S21 erstellen, von meiner hieb- und stichfesten Rechnung überzeugt sind.
In keiner Zahl sind aber diejenigen enthalten, die traumatisiert wurden, die seitdem den Schlossgarten nicht mehr betreten können, Panik beim Ertönen von Polizeisirenen bekommen, das Vertrauen in die Polizei und gar in unseren Staat, der sich Rechtsstaat nennt, verloren haben. Das aber sind Verletzungen, die möglicherweise niemals verheilen werden. Aber auch die amtliche Zahl der Kopftreffer durch Wasserstöße trifft so nicht zu. Allein auf Grund unserer Kontext-Berichte haben sich bei der Redaktion bzw. direkt bei mir gleich mehrere Menschen gemeldet, die auch am Kopf verletzt wurden, aber keine Anzeige erstattet hatten.
In diesem Zusammenhang habe ich auch an Euch die Bitte, dass sich weitere Zeugen melden, nämlich alle durch Wasserwerfer Verletzte, durch Pfefferspray verletzte Kinder, durch Schlagstöcke Verletzte, vor allem aber ganz dringend Menschen, die auf den Bäumen vom Wasserwerfer angegriffen wurden. Wichtig sind auch Zeugen, die vor Ort Polizeibeamte auf Verletzte aufmerksam gemacht oder deswegen mit Polizei, Rettungsdiensten, Behörden telefoniert haben. Und schließlich brauchen wir auch diejenigen, die konkrete Tatsachen zum Einsatz von Reizgas berichten können, also zum Beispiel ärztliche Feststellungen, Untersuchungsergebnisse von Kleidungsstücken, Beobachtungen über das Hantieren mit den Kanistern am Wasserwerfer.
Wenn ich von „wir“ spreche, meine ich zum einen die Anwältinnen und Anwälte der Verletzten im Prozess, die die Arbeit tun müssen, welche die Staatsanwaltschaft nicht geleistet hat. Und natürlich auch Jürgen Bartle von der Kontext-Wochenzeitung und mich, damit wir weiter jede Woche aktuell und mit Informationen berichten können, die andere Medien nicht bringen.
Noch Eines zum Schluss: Gute Arbeit unserer Anwälte im Prozess zeigt sich nicht in spektakulären Aktionen, sondern in sorgfältiger Aufklärung. Und die liegt noch vor uns, denn bislang wird nur das vom Gericht festgelegte Programm abgespult.
Danke an Euch alle für die vielfältige Unterstützung und Anerkennung und wie immer: OBEN BLEIBEN!
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