Analysen zum Widerstand gegen S21 können schmerzen. Vor allem wenn sie zu einem Zeitpunkt gemacht werden, wo nicht wenige Tunnelbahnhof-Gegner der Widerstandsbewegung frustriert, enttäuscht und zermürbt den Rücken gekehrt haben.
Dass die Projektbetreiber aus jeder ihrer angeblich projektfördernden Maßnahmen, aus jedem Tunnel- oder Grubenanstich ein Mega-Event machen, heißt noch nicht, dass aus einem falschen Projekt ein gutes wird. Es heißt nur, dass sie die Show brauchen, um sich und den willigen Medien das Projekt schönzufärben und schönzureden. Illusionen werden durch potemkinsche Dörfer geschürt und haben - leider - auch ihre Wirkung.
Dennoch, dass es weiterhin einen deutlich sicht- und hörbaren Widerstand gegen S21 gibt, hat der vielfältige Protest am 5.8. gezeigt, der sich in einem weit in die Republik hineingetragenen Medienecho niederschlug. Dieser Protesttag berechtigt zu der Frage, wo wir mit dem Widerstand und dem Protest gegen S21 stehen und wie es weitergeht. Das kann nur mit einem Innehalten geschehen und mit einer Analyse der Entwicklung der S21-Widerstandsbewegung und der wichtigen Stationen (u.a. Schlichtung, Volksabstimmung).
Eine Analyse des bisherigen Verlaufs des Widerstands kann auch hilfreich sein für den weiteren Weg der Bewegung und um neue Wege aufzuzeigen.
Der Stuttgarter Friedensaktivist Dr. Wolfgang Sternstein, der selber mit Baustellenblockaden und in seinem Prozess am Amtsgericht zum Widerstand gegen S21 beigetragen hat und dessen Schriften über Zivilen Ungehorsam als Beitrag zur Aufarbeitung von Widerstandsformen anzusehen sind, hat sich in einer ausführlichen Analyse über den Widerstand gegen S21 kritisch mit Schlichtung, Stresstest und Volksabstimmung (u.a.) auseinander gesetzt und in einer Gegenüberstellung von dem Widerstand gegen das AKW Wyhl und S21 ein hoch interessantes Papier erstellt. Es sollte als Diskussionsgrundlage dienen, zum Nutzen eines weiterhin mutigen, kraftvollen und engagierten Protests und Widerstands gegen Stuttgart 21 .
Hier ist seine Analyse:
Dr. Wolfgang Sternstein: Kann der Kampf gegen S 21 und für K 21 noch gewonnen werden?
Liebe Leserinnen und Leser,
Die nun folgende Analyse ist ein Kommentar zu dem Buch der Herausgeber Michael Wilk und Bernd Sahler mit dem Titel: Strategische Einbindung. Von Mediationen, Schlichtungen, runden Tischen ... und wie Protestbewegungen manipuliert werden. Edition AV, Lich/Hessen 2014, 14 €.
Um mein Urteil gleich vorwegzunehmen: Dies ist ein eminent wichtiges Buch. Alle, die in Bürgerinitiativen und Sozialen Bewegungen tätig sind, sollten es gelesen haben, denn es schärft den Blick für die zahlreichen Fallgruben, die unter den Etiketten Mediation, Schlichtung, Bürgerdialog, Runder Tisch usw. von den Betreibern unnützer, ja schädlicher Großprojekte und ihnen dienstbaren Politikern angelegt werden.
Der Begriff „Strategische Einbindung“ trifft den Sachverhalt präzise, denn es geht den Betreibern darum, Protest und Widerstand, der auf eine Verhinderung derartiger Projekte abzielt, durch eine mehr oder weniger raffinierte Einbindungsstrategie zu vereiteln.
In der Einführung, die den Inhalt des Buches knapp zusammenfasst, listet Bernd Sahler die charakteristischen Merkmale der Strategischen Einbindung auf:
„Gesprächsrunden werden von RegierungsvertreterInnen einberufen.
- Sie wählen die SchlichterIn, die MediatorIn, die VersammlungsleiterIn aus.
- Die Themen und Besprechungspunkte werden von den MediatorInnen bestimmt.
- Es existiert von vorneherein keine „Waffengleichheit“ zwischen beiden Seiten.
- Den beteiligten Personen und Gruppen wird kein Entscheidungsrecht zugestanden.“
Zur Strategie der Einbindung gehört auch, Bürgerinnen und Bürger möglichst frühzeitig durch Dialogangebote in die Projektplanung und -ausführung einzubinden, um ihnen den Wind des Widerstands aus den Segeln zu nehmen. Sie werden mit unerheblichen Zugeständnissen oder Verbesserungen „belohnt“ und auf diese Weise ruhig gestellt. Es empfiehlt sich daher, Vermittlungsangebote grundsätzlich abzulehnen, solange der Widerstand noch in der Aufbauphase ist.
Uneingeschränkte Zustimmung verdienen meines Erachtens die Worte, mit denen Michael Wilk seinen Beitrag über die Mediation am Frankfurter Flughafen abschließt: „Sozial-ökologische Bewegungen sind ... eine Chance, die es zu nutzen gilt. Es geht dabei nicht nur um Ökologie und Soziales bei uns. Es geht darum, ob wir menschenfeindliche Herrschaftsverhältnisse in diesem Land, in Europa, ja weltweit unwidersprochen lassen. Unser Protest und unser Widerstand sollte respektvoll sein gegenüber unseren Mitmenschen, aber durchsetzungsstark, kreativ und selbstbestimmt. Wir sind gefordert, an einem Umbau der Gesellschaft zu arbeiten, in der Mensch und Natur zählt und nicht Ausbeutung, Vernutzung und Profitmaximierung.“
Es fragt sich allerdings, ob die bedingungslose Ablehnung von Vermittlungsverfahren, wie sie von den Herausgebern empfohlen wird, klug ist. Ich würde gerne mit ihnen und den Autoren des Buches in ein Gespräch eintreten, ob es nicht klüger ist, zwischen dem rechten Gebrauch und dem Missbrauch derartiger Verfahren zu unterscheiden. Andernfalls laufen wir Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Und wir vergeben die Chance, einen Konflikt in unserem Sinn konstruktiv zu lösen, das heißt, das geplante Großprojekt zu verhindern.
Nicht immer sind die Stärke des Gegners und seine mehr oder minder brutale oder auch raffinierte Durchsetzungsstrategie ursächlich für die Niederlage des Widerstands. Oftmals sind es auch unsere Schwächen und Fehler. Es lohnt sich daher allemal, den Suchscheinwerfer der Kritik nach innen zu wenden. Kritik schmerzt. Auch Selbstkritik tut weh. Sie ist aber notwendig, denn wer aus Fehlern nicht lernt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.
Ich vergleiche im Folgenden zwei Widerstandsbewegungen, von denen die eine fast alles falsch und die andere fast alles richtig gemacht hat und infolgedessen den verdienten Erfolg einfahren konnte: den Widerstand gegen Stuttgart 21 und den Widerstand gegen das Atomkraftwerk Wyhl. Beide Beispiele stammen aus Baden-Württemberg, doch lassen sich die Schlussfolgerungen aus meiner Analyse weitgehend verallgemeinern.
Stuttgart 21. Fehler Nr. 1: Die organisatorische Trennung von Aktionsbündnis und Parkschützern
Der Protest und Widerstand gegen Stuttgart 21 wurde und wird von einer Vielzahl von Organisationen und Gruppen getragen, von denen die Zusammenschlüsse Aktionsbündnis und Parkschützer die wichtigsten sind. Im Aktionsbündnis sind 13 Organisationen vertreten, z.B. der Kreisverband Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke Baden-Württemberg, das parteifreie Bündnis Ökologisch Sozial (SÖS), der Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Verkehrsclub Deutschland (VCD). Bei den Parkschützern sind Einzelpersonen und Bezugsgruppen organisiert, die Letzteren in einem „Parkschützerrat“ genannten Sprecherrat.
Die Trennung der beiden Organisationen erfolgte, weil es im Aktionsbündnis starke Vorbehalte gegen die Parkschützer gab. Im Aktionsbündnis waren vornehmlich die gemäßigten Kreise der Stuttgarter Bevölkerung vertreten, die auf legales Vorgehen Wert legten. Bei den Parkschützern überwogen die „radikalen“ S21-Gegner, die, wenn nötig, zum zivilen Ungehorsam in Form von Straßenblockaden, Platz-, Baum-, Bagger- und Dachbesetzungen bereit waren. Später versuchte man, den Riss zwischen den beiden Organisationen dadurch zu kitten, dass den Parkschützern Sitz und Stimme im Aktionsbündnis angeboten wurden. Diese Maßnahme konnte den organisatorischen und inhaltlichen Bruch zwischen den beiden Machtzentren des Widerstands aber nicht heilen. Die Parkschützer verweigerten denn auch die Teilnahme an der Schlichtung, doch war ihr politisches Gewicht nicht groß genug, um die Annahme des Schlichtungsangebots durch das Aktionsbündnis zu verhindern.
Als problematisch erwies sich ferner, dass im Aktionsbündnis vornehmlich Parteiorganisationen und Vertreter von Verbänden saßen, für die der Kampf gegen Stuttgart 21 nur ein Thema unter anderen, oftmals weit wichtigeren, war. Im Konfliktfall zwischen unterschiedlichen Interessen erhielten die wichtigeren natürlich Vorrang.
Die Trennung der Widerstandsorganisationen und die damit verbundenen inneren Konflikte schwächten den Widerstand erheblich. Sie boten den Betreibern des Projekts eine willkommene Angriffsfläche für ihre Spaltungsstrategie. Ich teile daher die Auffassung Bernd Sahlers nicht, das Projekt habe im Herbst 2010 auf der Kippe gestanden. Keine Frage, die Landesregierung und die Bahn standen nach dem „schwarzen Donnerstag“ unter starkem Druck, doch um die geballte Macht der Regierung, der Deutschen Bahn, der schwäbischen Baumaffia, der Autoindustrie usw. Paroli zu bieten, war weit mehr erforderlich als eine Massendemonstration mit 150 000 Teilnehmerinnen. Dazu gehören eine starke Organisation und eine Handvoll Leute, die etwas vom außerparlamentarischen Kampf verstehen. Auf die glaubte man aufgrund ideologischer Vorbehalte verzichten zu können.
AKW Wyhl
Selbstverständlich gab es auch im Widerstand gegen das Atomkraftwerk Wyhl zahlreiche interne Spannungen und Konflikte, ganz besonders zwischen der konservativen Landbevölkerung der Kaiserstuhl-Region und dem Fischer und Gastwirt Balthasar Ehret, der eine zentrale Rolle bei der Organisation der Platzbesetzung spielte. Dennoch gelang es immer wieder, die Einheit der Widerstandsbewegung zu bewahren. Als es schließlich zu Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien kam, saßen sich am Verhandlungstisch unter anderem der CDU-Wirtschaftsminister von Baden-Württemberg, Rudolf Eberle, und das DKP-Mitglied Balthasar Ehret gegenüber. Das war womöglich die dickste Kröte, die von der Betreiberseite geschluckt werden musste.
Doch zunächst ein kurzer Rückblick auf die Geschichte des Projekts AKW Wyhl: Nachdem der ursprünglich vorgesehene Standort Breisach für das Kraftwerk aufgrund der vehementen Proteste der Bevölkerung Freiburgs und des Kaiserstuhls aufgegeben werden musste, wurde im Dezember 1971 Wyhl als Ausweichstandort benannt. Bereits einen Monat später schlossen sich mehrere Bürgerinitiativen zu einer Arbeitsgemeinschaft mit regelmäßigen Treffen zusammen. Im August 1974 gründeten 21 Bürgerinitiativen aus der Region, nachdem im Vorjahr Wyhl offiziell als Standort benannt worden war, in der Gaststätte „Fischerinsel“ Balthasar Ehrets in Weisweil das „Internationale Komitee der badisch-elsässischen Bürgerinitiativen“. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung war die Zahl der Bürgerinitiativen auf über 50 angewachsen.
Dieses Komitee war das unangefochtene Machtzentrum des Widerstands. Es war im Unterschied zu einem Sprecherrat kein bloßes Gremium für den Informationsaustausch, sondern es fällte Entscheidungen und wählte im Mai 1975 nach der erneute Platzbesetzung am 23. Februar 1975 eine Verhandlungskommission, die in vier Sitzungen mit der Landesregierung und der Betreiberin des Projekts (Kernkraftwerk Süd GmbH) die Offenburger Vereinbarung aushandelte. Sie musste selbstverständlich dem Internationalen Komitee zur „Ratifizierung“ vorgelegt werden. Die jeweils zwei Abgesandten der Bürgerinitiative (Sprecherin und Stellvertreter) hatten kein freies Mandat, sondern überbrachten jeweils die Entscheidung der Bürgerinitiative.
Stuttgart 21. Fehler Nr. 2: Die Mitgliedschaft von Parteiorganisationen im Aktionsbündnis
Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU) hatte aus den Erfahrungen im Kampf gegen Atomkraftwerke drei Grundsätze abgeleitet: Überparteilichkeit, Gewaltlosigkeit, demokratische und dezentrale Organisationsstruktur. Sie waren für alle Mitgliedsinitiativen des BBU verbindlich. Mit Überparteilichkeit ist gemeint, dass die Bürgerinitiativen und ihre Zusammenschlüsse Distanz zu den Parteien halten sollten, um nicht in ein Abhängigkeitsverhältnis zu geraten und ihre parteipolitische Neutralität einzubüßen. Mit Gewaltlosigkeit ist der Verzicht auf Menschen verletzende oder tötende Handlungen gemeint, sie beschränkt sich jedoch nicht auf legale Aktionsformen, sondern schließt zivilen Ungehorsam in Gestalt von Gesetzesübertretungen und Missachtung polizeilicher Aufforderungen ein. Mit demokratischer und dezentraler Organisationsstruktur sind basisdemokratische Organisationsstrukturen gemeint.
Ohnedies spricht alles, was Michael Wilk in seinem Beitrag „Parteien als Reintegrations-instrument“ ausführt, gegen die Mitgliedschaft von Parteiorganisationen in Bürgerinitiativen und Sozialen Bewegungen. Das schließt indes die Mitarbeit von Parteimitgliedern in außerparlamentarischen Organisationen nicht aus, sie kann sogar äußerst wertvoll sein aufgrund der Erfahrungen solcher Mitglieder in der politischen Arbeit und als Kontaktpersonen zu den Parteien und Verbänden. Sie müssen sich jedoch entscheiden, ob ihre Loyalität der Partei oder der Bewegung gehört. Gehört sie der Partei, so haben sie in der Bewegung keinen Platz.
Im Aktionsbündnis saßen aber Grüne und Linke als Vertreter ihrer Parteiorganisation. Das wirkte sich in vieler Hinsicht verhängnisvoll aus, ganz besonders aber durch den faktischen Seitenwechsel der Grünen, notdürftig kaschiert als „kritische Begleitung“ des Projekts, nach der Landtagwahl im März 2011. Das war ein schwerer Schlag für die Bewegung, weil die Hoffnung der Projektgegner auf dem „Bundesgenossen“ Grüne ruhten, dem sie in der Landtagswahl zu einem Erdrutschsieg verholfen hatten. Doch dauerte es noch fast drei Jahre, bis die Grünen sich entschlossen, im Januar 2014 mit drei weiteren Organisationen (BUND, VCD/Verkehrsclub Deutschland, Pro Bahn) aus dem Aktionsbündnis auszutreten.
AKW Wyhl
Zum Glück war die Beteiligung von Parteiorganisationen als Mitglieder des Internationalen Komitees im Falle Wyhl kein Thema, da sämtliche im Bundestag vertretenen Parteien für die Atomkraftnutzung waren. Die Grünen wurden erst 1980 als Bundespartei gegründet. Zeitweilig gab es enge Kontakte und personelle Überschneidungen zwischen den Grünen und der Anti-Atomkraftbewegung. Ob die Vorteile, etwa durch die Verdienste der Grünen beim rot-grünen Ausstiegsbeschluss von 2002 die Nachteile als „Reintegrationsinstrument“ (Wilk) überwiegen, ist innerhalb der Bewegung bis heute umstritten.
Stuttgart 21. Fehler Nr. 3: Zustimmung des Aktionsbündnisses zur Schlichtung
Die Zustimmung des Aktionsbündnisses zur Schlichtung war ein verhängnisvoller Fehler, denn es gab ja nichts zu schlichten. Der Konflikt um S21 war nicht kompromissfähig. Entweder bleibt der Bahnhof oben als renovierter und modernisierter Kopfbahnhof, oder er geht unter die Erde. Das zeigt denn auch die Kombilösung, die Schlichter Geißler am Ende des Stresstests unter dem Namen „Frieden in Stuttgart“ wie ein Karnickel aus dem Zylinder zog. Der Kopfbahnhof sollte den Regionalverkehr, ein viergleisiger Tiefbahnhof (statt des geplanten achtgleisigen) den Fernverkehr aufnehmen.
Der Vorschlag wurde mit guten Gründen von beiden Seiten abgelehnt, denn er hätte den Erhalt des Kopfbahnhofes und damit des Gleisvorfelds, um dessen Bebauung es bei Stuttgart 21 doch eigentlich ging, vorausgesetzt, und zugleich gigantische Kosten für den Tiefbahnhof zur Folge gehabt. Eine Schlichtung setzt einen kompromissfähigen Konflikt voraus. (Beispiel: Die Gewerkschaften fordern in einem Arbeitskampf sechs Prozent Lohnerhöhung, die Arbeitgeberverbände bieten zwei Prozent an. In einem solchen Konflikt kann ein von beiden Seiten akzeptierter Schlichter nach eingehender Prüfung der wirtschaftlichen Lage der Konfliktparteien einen Vorschlag ausarbeiten, der irgendwo zwischen den beiden Eckdaten liegt. Hat er Glück, wird sein Vorschlag von den Streitparteien angenommen, hat er Pech, wird er von einer oder von beiden Konfliktparteien abgelehnt und der Arbeitskampf geht weiter.)
Wie trickreich das ganze Schlichtungsunternehmen angelegt war, wird deutlich, wenn wir die Erklärung, die Geißler vor Aufnahme der Gespräche abgab, in die Analyse einbeziehen. In Punkt 2 äußerte er, zu schlichten gäbe es eigentlich gar nichts. Denn wie sollte ein Kompromiss zwischen einem oberirdischen Kopfbahnhof und einem unterirdischen Durchgangsbahnhof gefunden werden? Insofern sei auch die Bezeichnung ‚Schlichtung’ ... schlichtweg falsch. Wäre Geißler ehrlich gewesen, so hätte er das Amt des Schlichters von sich aus ablehnen müssen. Man kann diesen verhängnisvollen Fehler des Aktionsbündnisses nur dadurch erklären, dass seine Mitgliedsverbände hofften, die Alternative K21 werde sich im Verlauf des „Faktenchecks“ als die mit Abstand bessere Lösung erweisen.
AKW Wyhl
Beim Kampf um Wyhl standen Schlichtung oder politische Mediation nicht zur Debatte. Wohl aber lud der Bundesminister für Forschung und Technologie, Hans Matthöfer, bereits am 6. März 1975, also vierzehn Tage nach der erfolgreichen Wiederbesetzung des Bauplatzes bei Wyhl, zu einem „vertrauensvollen Dialog mit dem mündigen Bürger“ ein. Bei diesem „Bürgerdialog Kernenergie“ auf Bundesebene sollte mit einer Reihe von Diskussionsveranstaltungen und Seminaren verloren gegangenes Vertrauen in die Atomtechnik zurückgewonnen werden. Es handelte sich von Seiten der Bundesregierung nicht um eine perfide Strategie der Einbindung, denn die Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt betrachtete Atomkraftwerke als einen unverzichtbaren Bestandteil der nationalen Energieversorgung. Einige Jahre später räumte Matthöfer allerdings ein, es sei schon ein „durchsetzungsorientierter Dialog der Bundesregierung“ gewesen, den er allerdings fair und offen habe gestalten wollen.
Am Ende erwies sich der „Bürgerdialog Kernenergie“ als Eigentor für die Bundesregierung, da er den Gegnern der Atomkraft eine Plattform bot, auf der sie ihre Argumente zur Geltung bringen konnten. Auf diese Weise trugen sie zum wachsenden Widerstand gegen Atomanlagen in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre in der ganzen Bundesrepublik bei, insbesondere in Brokdorf, Grohnde, Kalkar und Gorleben.
Es ist also keineswegs ausgemacht, dass die Strategie der Einbindung die Funktion, die ihr von Seiten der Initiatoren zugedacht ist, erfüllt. Zu fordern ist allerdings stets ein ergebnisoffener Dialog auf Augenhöhe. Bei einem solchen Dialog siegt letztlich die Seite, die die besseren Argumente und die größere Entschlossenheit im Kampf für ihre Ziele hat. Ein erster Schritt auf diesem Weg besteht darin, die Mehrheit der Bevölkerung auf unsere Seite zu ziehen.
Stuttgart 21. Fehler Nr. 4: Zustimmung des Aktionsbündnisses zur Person Heiner Geißlers als Schlichter
Selbstverständlich hätte Heiner Geißler wegen „Besorgnis der Befangenheit“ als Schlichter und selbst als Mediator abgelehnt werden müssen. Er hatte sich in seiner Zeit als Generalsekretär der CDU den Ruf eines mit allen Wassern gewaschenen Parteipolitikers erworben. Seine spätere Wandlung zum unbequemen Mahner in der Partei und zum ATTAC-Mitglied wog diesen Ruf nicht auf. Er erfüllte denn auch die Erwartungen, die von den Politikern und Projektbetreibern in ihn gesetzt wurden. Die vom damaligen Vorsitzenden der grünen Landtagsfraktion, Winfried Kretschmann, ins Spiel gebrachte Nominierung Geißlers als Schlichter hätte vom Aktionsbündnis niemals angenommen werden dürfen.
In Punkt drei der bereits erwähnten Erklärung vor Aufnahme der Gespräche hatte er klargestellt, „dass aufgrund der vielen parlamentarischen Abstimmungen zugunsten des Tiefbahnhofs feststehe, dass eben dieser gebaut werde“. Damit stand das Ergebnis der Veranstaltung in Gestalt des Schlichterspruchs „Stuttgart 21 plus“ in seinen Grundzügen von Anbeginn fest. Bereits zu diesem Zeitpunkt – also noch vor Eröffnung des „Faktenchecks“ – hätte er „wegen Besorgnis der Befangenheit“ vom Aktionsbündnis, selbst in der Funktion eines Mediators, abgelehnt werden müssen.
Stuttgart 21. Fehler Nr. 5: Zustimmung des Aktionsbündnisses zur Verengung des Konflikts um Stuttgart 21 auf die Leistungsfähigkeit, die Risiken und die Kosten des Projekts
Durch diesen Schachzug gelang es dem Schlichter, die umfassenderen Themen: Immobilienprojekt Stuttgart 21, die Bedeutung des denkmalgeschützten Kopfbahnhofs als Wahrzeichen der Stadt sowie die Bedeutung des Mittleren Schlossgartens für die Stadtökologie und die Lebensqualität der Bevölkerung Stuttgarts aus der „Schlichtung“ zu eliminieren.
Ferner ist es unfasslich, dass der Schlichter in diesem von ihm selbst „Faktencheck“ genannten Verfahren nicht darauf bestand, die Liste der 121 Risiken des Projekts, die der erste technische Leiter des Projekts, Hany Azer, erstellt hatte, in die Erörterung einzubeziehen. Die Deutsche Bahn verweigerte unter Berufung auf das Betriebsgeheimnis immer wieder wesentliche Informationen über das Projekt. Sie setzte vielmehr auf eine Strategie des Faktenschaffens, die den „Faktencheck“ letztlich überflüssig machte.
Wären die unter großer Medienöffentlichkeit durchgeführten acht Runden „Faktencheck“ im Herbst 2010 von einem unabhängigen Mediator durchgeführt worden, hätte er meines Erachtens mit einem klaren Sieg der Projektgegner geendet. Er wäre zweifellos mit einer enormen Aufwertung der Widerstandsbewegung als gleichrangiger Partner der Landesregierung und der Betreiber verbunden gewesen. Eine grundsätzliche Ablehnung der Politischen Mediation, wie sie Bernd Sahler in seinem Beitrag „Trick 17 mit der Selbstüberlistung“ fordert, scheint mir nicht gerechtfertigt.
Der von Geißler am 30. November 2010 in einer Pressekonferenz mit großem Medienrummel präsentierte Schlichterspruch enthielt eine Reihe von „Bonbons“, die den Gegnern die Annahme versüßen sollten. Er stellte jedoch, wie zu erwarten, das Projekt nicht grundsätzlich in Frage. Dazu gehörte unter anderem ein Stresstest, der die Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs unter der Annahme einer dreißigprozentigen Leistungssteigerung in der Spitzenstunde nachweisen sollte. Wie sich schon bald herausstellte, war der Schlichterspruch ohnehin rechtlich unverbindlich.
Stuttgart 21. Fehler Nr. 6: Zustimmung des Aktionsbündnisses zum Stresstest unter unfairen Bedingungen
Das Aktionsbündnis hatte dem von Geißler im Schlichterspruch geforderten Stresstest für den Tiefbahnhof in der Hoffnung zugestimmt, er werde die unbezweifelbare Überlegenheit des modernisierten Kopfbahnhofs erweisen. Die Bahn hatte ebenfalls zugestimmt, lehnte jedoch unter Hinweis auf das Betriebsgeheimnis jede Zusammenarbeit mit den Experten des Aktionsbündnisses kategorisch ab. Sie beauftragte das Schweizerische Ingenieursbüro SMA, das ihr als Auftragnehmer eng verbunden war, mit der Durchführung des Stresstests. Dieses lieferte denn auch das gewünschte Ergebnis. Nun endlich, nachdem das Aktionsbündnis bereits völlig über den Tisch gezogen worden war, kündigten seine Vertreter in der Sitzung am 29. Juli 2011 im Stuttgarter Rathaus, in der die Ergebnisse des Stresstests unter beträchtlichem Medienrummel präsentiert wurden, die Zusammenarbeit auf und entschlossen sich, bei dieser Farce nicht länger mitzuspielen. Sie waren eben im Begriff, unter Protest den Sitzungssaal zu verlassen, als Geißler sein Karnickel mit dem schönen Namen „Frieden in Stuttgart“ aus dem Zylinder zog.
Dreieinhalb Monate später veröffentlichte der Münchner Analyst Christoph Engelhardt auf einer Pressekonferenz in Stuttgart die Ergebnisse seiner Untersuchung des Stresstests und kam zu einem vernichtenden Urteil. Statt der angeblichen Leistungssteigerung des Tiefbahnhofs auf 49 Züge in der Spitzenstunde leiste der Tiefbahnhof lediglich 32-38 Züge in der Spitzenstunde. Damit sei die Planrechtfertigung für das Projekt entfallen. Später konnte Engelhardt aufgrund einer von der Bahn selbst in Auftrag gegebenen Personenstromanalyse nachweisen, dass der Tiefbahnhof von Anfang an für eine Leistung von 32 Zügen in der Spitzenstunde ausgelegt war. Statt der versprochenen Leistungssteigerung bedeutet Stuttgart 21 einen signifikanten Rückbau des Bahnknotens Stuttgart. Bis heute ist die Deutsche Bahn außerstande, die Ergebnisse der Engelhardtschen Untersuchung zu widerlegen.
Stuttgart 21. Fehler Nr. 7: Zustimmung des Aktionsbündnisses und der großen Mehrheit der Parkschützer zur landesweiten Volksabstimmung über Stuttgart 21
Die Volksabstimmung bildet den glanzvollen Abschluss des Schurkenstücks Stuttgart 21. Zwar hatte das Aktionsbündnis bereits in seiner am 7. Dezember 2010 veröffentlichten „Plattform“ eine regionale Volksabstimmung gefordert. Es war bereit, deren Ergebnis als bindend zu akzeptieren, sofern es auf faire Weise zustande käme. Ferner hatten die Grünen auf Plakaten im Wahlkampf für die Landtagswahl 2011 eine Volksabstimmung zu Stuttgart 21 gefordert. Nachdem Die Grünen und die SPD, nicht zuletzt durch die Unterstützung der S21-Gegner, die Wahl gewonnen hatten, einigten sich die beiden Parteien im Koalitionsvertrag auf eine landesweite Volksabstimmung. Sie fand am 27. November 2011 statt.
Rein formal betrachtet ging es bei der Volksabstimmung nicht um das Projekt selbst, sondern um ein Gesetz, das die Landesregierung verpflichtete, Kündigungsrechte (die es nicht gab) beim Finanzierungsvertrag von 2009 für das Projekt wahrzunehmen. Beide Seiten interpretierten die Abstimmung jedoch als Entscheidung über das Projekt selbst.
Die Volksabstimmung war unfair und undemokratisch, denn die Bewegung gegen Stuttgart 21 hatte keine faire Chance, den Abstimmungskampf für sich zu entscheiden. Sie wäre in jedem Fall am Quorum von einem Drittel der Abstimmungsberechtigten (2,5 Millionen, die dem Gesetz hätte zustimmen müssen) gescheitert. Die Naivität und Unkenntnis der Bewegung in dieser Frage war in der Tat erschreckend.
Die Befürworter des Projekts, zu denen ja auch die SPD als Koalitionspartner der Grünen gehörten, nutzten die Gelegenheit, den Grünen, die sich im Wesentlichen passiv verhielten, eine Niederlage im Abstimmungskampf zu bereiten. Eine Propagandawelle in Gestalt eines politischen Tsunami überrollte das Land. Ministerpräsident Kretschmann behauptete zwar, jede Bürgerin und jeder Bürger habe ausreichend Gelegenheit gehabt, sich über die Vor- und Nachteile des Projekts zu informieren. Das war aber eine abstrakte Feststellung. Was kümmerte die Oberschwaben oder die Schwarzwälder der Streit um den Stuttgarter Bahnhof, von dem sie unmittelbar ja gar nicht betroffen waren? Es gab für sie auch keinen Anlass, sich über den Streitgegenstand ein begründetes Urteil zu bilden. Sie orientierten sich folglich an den überall im Land gezeigten Plakaten, auf denen zu lesen war „1,5 Milliarden für Nichts?“ (in Wahrheit lagen die bis dahin aufgelaufenen Kosten bei 300-400 Millionen €), „Fertigbauen oder Weiterärgern?“ (in Wahrheit war mit den vorbereitenden Bauarbeiten gerade erst begonnen worden).
Den Gipfel unfairer Wählerbeeinflussung erstiegen indes zahlreiche Bürgermeister und Landräte, die als Amtsträger öffentlich für Stuttgart 21 warben. So wandte sich beispielsweise Oberbürgermeister Wolfgang Schuster in einem persönlichen Brief, in dem er für das Projekt warb, an die Stuttgarter Bürgerinnen und Bürger. Von einer „Waffengleichheit“ der beiden Streitparteien konnte keine Rede sein. In Anbetracht dieser massiven Beeinflussung der Abstimmung sowie der haushohen propagandistischen Überlegenheit der Befürworter überrascht es geradezu, dass immerhin 41,1 Prozent der Abstimmenden sich gegen das Projekt und „nur“ 58,9 Prozent dafür entschieden. Allerdings stimmten selbst die Stuttgarter bis auf drei Innenstadtbezirke mehrheitlich für das Projekt.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann wiederholt seitdem gebetsmühlenartig, der Fall sei damit erledigt und der Protest müsse jetzt eingestellt werden. Das Volk habe gesprochen und er fühle sich an dessen Entscheidung gebunden. Ihn ficht auch die Stellungnahme des Speyrer Verwaltungsrechtlers Professor Joachim Wieland nicht an, der erklärte, die Volksabstimmung sei obsolet, weil sie unter der Prämisse stattfand, dass die Kosten des Projekts 4,5 Milliarden € nicht übersteigen. Die Bahn sah sich jedoch gezwungen, bereits im Herbst 2012 Mehrkosten in Höhe von 2,3 Milliarden einzuräumen.
Ich bin ein überzeugter Anhänger der direkten Demokratie als Ergänzung der repräsentativen, ich sehe aber die Gefahr, dass sich regierende Politiker mit einem perfiden Trick aus der Verantwortung stehlen. Ministerpräsident Kretschmann könnte sich beispielsweise nach einem Scheitern des Projekts bequem zurücklehnen und sagen: „Ich war von Anfang an gegen Stuttgart 21, ich bin es auch heute noch. Aber wer bin ich, dass ich dem Volkssouverän eine Entscheidung vorschreiben könnte? Ich war selbstverständlich gezwungen, seine Entscheidung ohne wenn und aber zu akzeptieren.“
Selbstverständlich hätte die Bewegung eine Beteiligung an dieser pseudodemokratischen Veranstaltung ablehnen und zum Boykott der Volksabstimmung aufrufen müssen. Einzelne, wie z.B. Jens Loewe, haben es auch getan. Die meisten waren freilich durch die selbstverschuldeten Niederlagen und interne Konflikte bereits so geschwächt, dass sie den Wolf im Schafspelz nicht erkannten. Im Gegenteil, in totaler Verkennung der Lage betrachteten sie die Volksabstimmung als Chance, den Protest gegen Stuttgart 21 ins Land hinauszutragen, und das ausgerechnet gegen die überwältigende finanzielle, materielle, personelle und mediale Übermacht der Befürworter!
Eine unvoreingenommene Analyse des Projekts S21 kommt daher zu dem Ergebnis, dass ehrgeizige Politiker ein unnötiges, ja schädliches Projekt durch die Zusicherung exorbitanter Finanzierungsbeiträge der Bahn förmlich aufdrängten. Der Feststellung des Vorsitzenden des Verkehrsausschusses des Bundestages Winfried Hermann (als er noch nicht Verkehrsminister der grün-roten Landesregierung war) auf einer Montagsdemonstration im Jahre 2010 ist daher nichts hinzuzufügen: „Stuttgart 21 ist mit Abstand das größte, teuerste, riskanteste und dümmste Projekt in der Geschichte der Eisenbahn“.
AKW Wyhl
Am Oberrhein gab es aufgrund der Vielfalt und Breite der in den badisch-elsässischen Bürgerinitiativen organisierten Bevölkerung der Region zahlreiche Konflikte, die die Einheit des Widerstands gefährdeten. Im Herbst 1975 erkannten führende Köpfe der Bewegung, dass das „Faustpfand“ in ihrer Hand, der besetzte Bauplatz, verloren zu gehen drohte, weil es praktisch unmöglich war, den Platz über den Winter besetzt zu halten. Die Kälte und die hygienischen Zustände auf dem Platz waren einfach unerträglich. Sie schlugen der Landesregierung deshalb einen Baustopp bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Freiburg vor. Weiterhin forderten sie die Straffreiheit für alle an der Platzbesetzung beteiligten Personen. Zum Zeichen der Gesprächsbereitschaft seien die Bürgerinitiativen bereit, den besetzten Platz freiwillig zu räumen. Die Landesregierung nahm das Angebot an. Es entwickelte sich jedoch zu einer Zerreißprobe für die Einheit der Bürgerinitiativen. Das Misstrauen gegenüber der Landesregierung und der Betreiberfirma Kernkraftwerk Süd GmbH war groß. Viele AKW-Gegnerinnen fürchteten, in eine Falle gelockt zu werden. Sie warnten davor, das Faustpfand Bauplatz freiwillig preiszugeben.
Es war fast schon ein kleines Wunder, dass der Vorschlag auf einer Sitzung des Internationalen Komitees am 29. Oktober 1975 angenommen wurde. Es wurde beschlossen, den Platz bis zum 7. November freiwillig zu räumen. Zum Zeichen ihrer festen Entschlossenheit, den Platz, wenn nötig, wieder zu besetzen, hängten die Bürgerinitiativen ein Transparent zwischen den Bäumen auf mit dem Text „Während der Dauer der Verhandlungen bleibt der besetzte Bauplatz verlassen“. Die Bürgerinitiativen verließen bis auf Wachmannschaften den Platz. Die Gebäude, insbesondere das große Rundhaus, das als Versammlungsort gedient hatte, blieben noch eine zeitlang stehen. Die Volkshochschule Wyhler Wald, mit der die Bewegung sich ihre eigene Volksuniversität geschaffen hatte, verlegte ihre Veranstaltungen in die umliegenden Ortschaften.
Die Landesregierung bestand zu jener Zeit aus „Falken“ um den Ministerpräsidenten Hans Filbinger und „Tauben“ um den damaligen Vorsitzenden der baden-württembergischen Landtagsfraktion und späteren Ministerpräsidenten Lothar Späth. Letzterer spielte bei den Verhandlungen eine wichtige Rolle. Späth war mitnichten ein AKW-Gegner. Er vertraute auf eine sanfte Durchsetzungsstrategie, die allerdings scheiterte. In insgesamt vier Verhandlungsrunden rang die vom Internationalen Komitee gewählte Verhandlungskommission der Landesregierung und der KWS wesentliche Zugeständnisse ab, die in einer Art Staatsvertrag, der Offenburger Vereinbarung, verbindlich geregelt wurden. Dazu gehörten:
Ein Baustopp bis zur Entscheidung des Freiburger Verwaltungsgerichts in der Hauptsache. Er währte immerhin zwei Jahre.
- Die Einstellung sämtlicher Straf- und Zivilverfahren. „Die KWS verzichtet auf alle Schadenersatzansprüche im Zusammenhang mit der zurückliegenden Besetzung des Kraftwerksgeländes.“
- Weitere Gutachten werden eingeholt. (In diesem Punkt kam es erneut zum Streit, da die von der Regierung beauftragten Gutachter nicht das Vertrauen der Bürgerinitiativen besaßen.)
Zu einer weit größeren Zerreißprobe für die Einheit der badisch-elsässischen Bürgerinitiativen kam es indes, als die Offenburger Vereinbarung dem „Internationalen Komitee“ zur Annahme vorgelegt wurde. Das Misstrauen gegenüber der Landesregierung saß tief. Dazu trug die trickreiche Umformulierung im 6. Abschnitt der Vereinbarung wesentlich bei. Dort heißt es unter anderem: „Wenn die Ergebnisse oder richtungweisende Teilergebnisse ... der Gutachten vom wesentlichen Ergebnis der bisherigen Begutachtung abweichen und deshalb schädliche Auswirkungen auf Mensch und Umwelt zu befürchten sind, dann wird die Landesregierung den Baubeginn weiterhin solange hintanstellen, bis sie derartige Bedenken ausgeräumt sieht.“ Im Entwurf lautete die Passage noch „ ...bis derartige Bedenken ausgeräumt sind.“ Dieser Trick gab den Befürchtungen und dem Misstrauen der Atomkraftgegner neue Nahrung.
Ferner heißt es im 7. Absatz der Vereinbarung: „Die Bürgerinitiativen bekennen sich zur Gewaltlosigkeit. Sie lehnen gesetzwidrige Handlungen und ihre Unterstützung gegen Landesregierung und KWS ab. Sie räumen den Bauplatz und setzen sich aktiv für die Durchführung dieser Vereinbarung ein.“
In einer hoch dramatischen Sitzung des Internationalen Komitees in der Kaiserstuhlgemeinde Königschaffhausen am 27. Februar 1976 – ein Jahr nach dem Höhepunkt der Auseinandersetzung um den Bauplatz – lehnte denn auch eine große Mehrheit der Bürgerinitiativen die Offenburger Vereinbarung ab und formulierte einen Gegenvorschlag. Doch die Landesregierung weigerte sich strikt, erneut zu verhandeln. Sie teilte mit, ihr Verhandlungsspielraum sei gänzlich ausgeschöpft.
Damit waren, so schien es, die Verhandlungen gescheitert. Die Offenburger Vereinbarung hätte zu einer Selbstfesselung der badisch-elsässischen Bürgerinitiativen geführt, denn sie hatten sich freiwillig ihres wichtigsten Kampfmittels, des zivilen Ungehorsams in Gestalt von Bauplatzbesetzungen und Straßenblockaden beraubt. Es schien, als seien sie mit knapper Not der Einbindungsfalle entronnen, bevor sie zuschnappte. Als teilnehmender Beobachter war ich damals ebenfalls der Meinung, dass die Entscheidung der Bürgerinitiativen richtig war. Dennoch sehe ich das heute anders, denn die Geschichte hat den Kräften in den Bürgerinitiativen, die die Annahme der Offenburger Vereinbarung - wenngleich mit zweifelhaften Methoden - durchsetzten, Recht gegeben.
Unter starkem Druck wurde die Vereinbarung fünf Wochen später von den Bürgerinitiativen in einer turbulenten Sitzung des Internationalen Komitee im Adler zu Forchheim doch noch angenommen. Zugleich wurde eine Erklärung verabschiedet, in der die Bürgerinitiativen noch einmal ihren festen Willen bekundeten, den Bau des Atomkraftwerks auch weiterhin zu verhindern.
Aufs Ganze gesehen war die Offenburger Vereinbarung für die Bürgerinitiativen durchaus vorteilhaft. Über die entscheidende Frage des Baus und Betriebs des AKW Wyhl, das in der Endphase jeweils zwei Reaktorblöcke auf Wyhler und Weisweiler Gemarkung umfassen sollte, wurde nicht entschieden. Die Landesregierung hielt unnachgiebig am Standort Wyhl fest. Die Bürgerinitiativen waren weiterhin entschlossen, das AKW zu verhindern.
Am 14. März 1977, zwei Jahre nach der „Schlacht um Wyhl“ gab das Verwaltungsgericht Freiburg nach gründlicher Verhandlung - für die eigens eine Halle im benachbarten Herbolzheim angemietet worden war, um allen Interessenten Gelegenheit zu bieten, der Verhandlung beizuwohnen - den Klägern Recht. Es verlangte aus Sicherheitsgründen einen „Berstschutz“ für das Reaktordruckgefäß. Die Bürgerinitiativen feierten die Entscheidung des Gerichts als Sieg. Wie zu erwarten, ging die Landesregierung in Berufung und obsiegte 1982 vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim. Die Kläger zogen nun ihrerseits vor das Bundesverwaltungsgericht.
Die Landesregierung machte von ihrem Recht, den Baubeginn durchzusetzen, keinen Gebrauch. Sie fürchtete wohl heftige Auseinandersetzungen wie in Brokdorf und Grohnde mit Schwerverletzen und womöglich sogar Toten im Fall einer gewaltsamen Durchsetzung des Baubeginns und setzte nach wie vor auf eine sanfte Durchsetzungsstrategie.
Welche Folgen hätte das Scheitern der Offenburger Vereinbarung für den Widerstand gehabt? In der Öffentlichkeit wären die Bürgerinitiativen als Neinsager und hinterwäldlerische Fortschrittsverweigerer dargestellt worden. Selbst wenn die Landesregierung auf die gewaltsame Durchsetzung des Projekts verzichtet hätte, hatte sie doch andere Mittel, die Widerstandsbewegung auszubluten. Die Straf- und Zivilverfahren wären dann nicht vom Tisch gewesen. Eine Schadenersatzklage gegen Balthasar Ehret, Bruno Jenne und Siegfried Göpper in Höhe von 150 000 DM wegen Beihilfe bei der Beschädigung von Baufahrzeugen im Zuge der Platzbesetzung lag bereits vor. Die KWS hatte bei den Verhandlungen ihre Rechnung für den ihr entstandenen Schaden durch die Bauverzögerung infolge der Platzbesetzung auf den Verhandlungstisch gepackt: 856 Millionen Mark! Hätten die Gerichte die Schadenersatzforderungen anerkannt, wäre der Widerstand unter dieser Last wahrscheinlich zusammengebrochen.
Offiziell aufgegeben wurde der Standort meines Wissens nie. Nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl im April 1986, bei dem weite Teile Süddeutschlands radioaktiv verseucht wurden, war jedoch klar, dass das Projekt politisch nicht mehr durchsetzbar war.
Was folgt daraus für die Strategie der Einbindung? Die von Lothar Späth verfolgte Strategie scheiterte letztlich, wie auch der Bürgerdialog Kernenergie und der Filder-Dialog. Im Grunde handelt es sich stets um ein Tauziehen zwischen den Betreibern von Großprojekten und der Widerstandsbewegung. Dabei siegt am Ende die stärkere, klügere, entschlossenere, mit einem Wort: die bessere Seite. In Wyhl haben sich die badisch-elsässischen Bürgerinitiativen als die "Besseren" erwiesen, in Stuttgart leider die Projektbetreiber, auch wenn in Stuttgart noch nicht aller Tage Abend ist. Konfliktlösungsverfahren wie Mediation, Runder Tisch, Bürgerdialog usw. können Teil einer Konfliktlösung im Interesse der Betroffenen sein, sie können aber auch Teil einer Einbindungsstrategie sein.
Den Blick für das Letztere zu schärfen, ist das Verdienst des Buches der Herausgeber Michael Wilk und Bernd Sahler.
Eine letzte Bemerkung zum Thema Systemkritik, das im Buch eine wichtige Rolle spielt. Ich plädiere für Zurückhaltung in dieser Frage, da sie leicht zum Sprengstoff in der Bewegung werden kann. Der Kampf gegen das AKW Brokdorf ging meines Erachtens verloren, weil die schleswig-holsteinische Landesregierung erstens unter allen Umständen eine Platzbesetzung à la Wyhl verhindern wollte und zweitens die systemkritischen K-Gruppen die Führungsrolle im Widerstand übernahmen. Sie machte der Landesregierung ein Nachgeben gegenüber der Bewegung praktisch unmöglich und führte zu massiven Konflikten zwischen dem gemäßigten und dem radikalen Flügel der Bewegung.
Ich verstehe mich selbst als öko-sozialen Systemkritiker. Ich halte es jedoch für klug, die Systemkritik nicht ideologisch auf den Konflikt aufzupfropfen, sondern sich natürlich aus dem Konflikt selbst entfalten zu lassen, wie das im Kampf gegen das AKW Wyhl geschah. Um dem Vorwurf des Sankt-Florian-Denkens (Heiliger Sankt Florian, verschon’ mein Haus, zünd’ andere an) entgegenzutreten, erhoben die badisch-elsässischen Bürgerinitiativen die Forderung „Kein KKW in Wyhl und auch sonst nirgends“. Sie findet sich bereits im Titel des 1976 erschienenen Buches mit Selbstzeugnissen der AKW-Gegner. Um dem von Ministerpräsident Filbinger erhobenen Vorwurf: „Wenn Wyhl nicht gebaut wird, werden Ende des Jahrzehnts in Baden-Württemberg die ersten Lichter ausgehen“, zu begegnen, entwickelten die Atomkraftgegner ein alternatives Energiekonzept, das auf rationeller Energienutzung und regenerative Energiequellen (Wasser, Sonne, Wind, Biomasse usw.) setzt. Und schließlich, um dem Vorwurf von Atomkraftbefürwortern und Technik-Freaks zu begegnen, der da heißt "Ihr seid Fortschrittsverweigerer, ihr gefährdet das Wirtschaftswachstum und die Arbeitsplätze", wurde von der Ökologiebewegung eine ökologisch-soziale Gesamtalternative zum globalisierten Kapitalismus entwickelt, die den Kapitalismus westlicher Prägung und den Kommunismus östlicher Prägung als Herrschaftssysteme auf Kosten der Umwelt, der Mitwelt und der Nachwelt entlarvt. Selbstverständlich kann diese Alternative nicht durch Gewalt den Menschen aufgezwungen werden, sie muss vielmehr von unten, von den Graswurzeln her wachsen. Deshalb erscheinen mir die drei Grundsätze des BBU: Überparteilichkeit, Gewaltlosigkeit, demokratische und dezentrale Organisationsstruktur für Bürgerinitiativen und soziale Bewegungen auch heute noch so aktuell wie in den siebziger Jahren, als sie entwickelt wurden.
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Um auf die im Titel dieses Artikels gestellte Frage zurückzukommen: Kann der Kampf gegen Stuttgart 21 und für K 21 noch gewonnen werden? Stuttgart 21 ist ein geradezu klassisches Beispiel für die Strategie der Einbindung, obgleich diese Strategie erst nach dem „Schwarzen Donnerstag“ (30.9.2010) zur Anwendung kam. Dass der Widerstand fast ein ganzes Jahr Zeit hatte sich zu entfalten, ist der Grund dafür, dass er auch heute noch, viereinhalb Jahre nach der ersten Montagsdemonstration im November 2009, lebendig und kraftvoll ist. Das verdient höchste Anerkennung. Auch ist der Kampf meiner Meinung nach noch nicht verloren, obwohl sich auch in den Reihen der Bewegung Enttäuschung, Resignation und Verbitterung breit machen. Die Zahl der Montagsdemonstrationen ist auf 234 gestiegen und wird weiter steigen. Die Tag und Nacht besetzte „Mahnwache“ (ein Infostand gegenüber dem Bahnhof) arbeitet weiter, desgleichen die Fachgruppen (Architekten, Ingenieure, Juristen) und die Bezugsgruppen der Parkschützer. Ein bedeutender Teil des Kampfes verlagert sich in die Gerichtssäle.
Trotz vorgetäuschter emsiger Bautätigkeit geht das Projekt nur schleppend voran. Von 61,8 km Tunnelröhren sind gerade mal 1,1 km (Stand 1.7.14) gegraben. Das Grundwassermanagement und andere Teile des Projekts sind noch immer nicht genehmigt. Es ist daher durchaus möglich, dass das Projekt an seinen inneren und äußeren Widersprüchen scheitert und als Bauruine und Denkmal für Größenwahn in die Geschichte eingeht. Um die Öffentlichkeit über die Schwächen und Risiken des Projekts auch in Zukunft auf dem Laufenden zu halten, ist die Fortsetzung des Protests und Widerstands unverzichtbar. Er war, ist und bleibt ein Stachel im Fleisch dieses Monsters. Seine Bedeutung reicht über Stuttgart und Baden-Württemberg weit hinaus. In all seinen Stärken und Schwächen ist der Widerstand ein Lehrbeispiel für den Widerstand gegen unnütze und schädliche Großprojekte, ein wichtiger Beitrag zum Aufbau einer ökologisch-sozialen Gesamtalternative zum globalisierten Kapitalismus.
Wolfgang Sternstein
Pingback: Wolfgang Sternstein: Kann der Kampf gegen S 21 und für K 21 noch gewonnen werden? | Der Blogpusher
Sehr gute und hilfreiche Analyse. Der nächste grenzüberschreitende Konflikt bahnt sich bereits an, nämlich gegen Geothermie-Bohrungen am Oberrhein (siehe hier: http://www.bi-gegen-tiefengeothermie-so.de/)
Es bleibt nur zu hoffen, dass diesmal der Widerstand erfolgreich wird bevor unwiederbringliche Schäden an Umwelt (Grundwasser, Luft und Landschaft) und Mensch geschehen sind. Denn selbst wenn das absurde S21-Projekt scheitert: die alten Bäume bleiben gefällt. Die Nacht ihrer Fällung, sowie der Schwarze Donnerstag im Schlossgarten, gehören zum gewaltvollsten was ich je gesehen habe.
Im Übrigen vermisse ich in Ihrer Analyse ein Wort zur Rolle der neuen Medien in diesen Konflikten: in meinem Fall war es zum Beispiel CamS21, das mir aus reinem Zufall ermöglichte, auf diese Lage zu stossen, sofort das Ausmass der Situation zu erkennen, und auch emotionial sehr stark involviert zu werden.
Ich hoffe sehr, dass die Vernunft, oder was auch immer, am Ende siegt, und Stuttgart wenigstens ein ordentliches Grundwasser erhalten bleibt.
Mit freundlichen Grüssen,
E. Fussler
Eine kleine Ergänzung, die die (sehr gute!) Argumentation nicht in Frage stellt:
Der Stresstest wurde nicht von SMA, sondern von der Bahn selbst durchgeführt. SMA hat diese Simulation nur begutachtet und teilweise beschrieben.
Dass diese Simulation niemals zu Gunsten der Kritiker ausgehen konnte, sieht man schon daran, dass ausser SMA und der Bahn selbst bis heute niemand Einblick in diese Simulation erhalten hat. Die Eingabedaten sind zu grossen Teilen nicht öffentlich, damit kann man den Programmlauf und entsprechend dessen Ergebnisse nicht nachvollziehen. Wer diese Simulation als korrekt einstuft, kann dies nur aufgrund Vertrauens in die Bahn tun.
Eine weitere Strategie, vor der man sich in Acht nehmen sollte, ist die der Überschriften. Das Gutachten der SMA zum Stresstest ist da ein gutes Beispiel. Die Überschrift lautet „Ja“, danach folgen 20, 30, 40 Seiten mit „aber“.
Doch diese Aber interessiert niemanden. Insbesondere dann nicht, wenn die Bahn bereits Wochen vor der Veröffentlichung medienwirksam feststellt, dass der Test wohl bestanden wurde. Dem muss man rechtzeitig entgegen treten.
Dritte zusätzliche Falle ist die der Autorität. Sich auf die Angaben der Projektbetreiber zu verlassen, ist ein Kardinalfehler. Der Kardinalfehler jeglicher Faktendiskussion.
Da muss man teilweise auch ganz grundlegende Dinge in Frage stellen, z.B. ob ein behaupteter Zug die für ihn bestimmte Strecke überhaupt befahren kann.
Das wird erst jetzt, mehrere Jahre nach Beginn, langsam korrigiert. Zum Beispiel, indem die Ingenieure22 das Wasser aus den blauen Rohren selbst abzapfen und zur Analyse bringen. Wie man derzeit in den Medien sehen kann, zeigt das Wirkung.
Lieber Wolfgang (ich bin per du mit ihm) ich schätze deine Meinung immer sehr und ich gebe dir in großen Teilen recht. Besonders die interne Fehler- und Vergangenheitsanalyse sehe ich noch unzureichend. Dadurch bekommt man auch einen besseren Blick für die Zukunft, wenn man aus vergangenen Fehlern lernt.
Einen Punkt sehe ich aber anders. Du hast einen ergebnisoffenen Dialog auf Augenhöhe gefordert, und genau Den bekommen wir aber nicht. Es war nie die Absicht von Mappus, Grube und Gönner sich mit uns auf Augenhöhe zu unterhalten (auch wenn diese Leute alles getan haben, daß es so aussieht) und schon gar nicht ergebnisoffen. Mappus und Grube wissen daß S21 zum Schaden der Menschen und der Natur ist, aber gut für ihren Geldbeutel (oder zumindest für den Geldbeutel ihrer Freunde). Natürlich haben Sie kein Interesse an einem ergbnisoffenen Dialog, sie wissen daß sie die schlechteren Argumente haben. Deshalb war die gewählte Strategie von Mappus Gewalt, Gewalt die ich mir vor dem 30.09. nicht hätte vorstellen können. Wasserwerfer, Pfefferspray auf Schulkinder um einen schlechten Bahnhof durch zu prügeln.
Aber dann, nach dem scheitern der Gewalt-Strategie (gott sei dank), kommen die Grünen ins Spiel und führen uns in die Schlichtungefalle. Von Kretschmann kam der Vorschlag der Schlichtung. Wenn es in Wyhl gelungen ist, daß in der Mediation die Projektgegner ihre Fakten vermitteln konnten ist Das natürlich toll, aber für uns in Stuttgart war die Schlichtung katastrophal. Du führst ja selber aus wie schlecht sich Schlichtung, Stresstest und Volksabstimmung ausgewirkt haben, trotz besserer Argumente.
Wenn Leute die mit Wasserwerfern und Pfefferspray auf Schulkinder schießen, sich plötzlich mit uns an den „runden“ Tisch setzen wollen, um mal „auf Augenhöhe“ zu reden, hätten wir mißtrauisch sein sollen
Boris Palmer hätte darauf bestehen müssen, dass der Stresstest auch für K21 gemacht wird. Wenn man vergleicht muss man adäquate Maßstäbe anlegen.
Lieber Herr Dr. Sternstein,
mit großem Interesse habe ich Ihre Analyse gelesen – S 21 treibt auch mich um! Beim Lesen habe ich versucht, die Zeiten zu vergleichen. Es liegen ja bereits ca. 40 Jahre zwischen Wyhl u. S21.
Frage:
Kann es sein, dass die Politik damals noch eher am Gemeinwohl interessiert war als heute? Energie ist immer ein Thema, das ALLE betrifft. (Alternativen zu denken war noch neu.) Dass sie weniger von der Wirtschaft gesteuert wurde bzw. sich steuern ließ? (Merkels unsägliche „wirtschaftskonforme Demokratie“) Soweit meine Frage.
Heute dominieren Konzerne. Und ein Bahnhof o. Ä. ist wunderbar geeignet um Reibach zu machen, ohne dass es die Bundesbürger zunächst direkt betrifft. Vor der Schlichtung wurden bereits die gestellten Fallen spürbar. Und die PolyTück hat auch dazu gelernt. Sehr plump allerdings! (Die Lügen der Volksabstimmung als „demokratisch legitimiert“ zu bezeichnen klingt wie ein verbaler Wasserwerfer für mich!) Dieser monetären u. psychologischen „Kriegsführung“ hat ein normal denkendes Hirn zunächst nichts entgegenzusetzen.
Werden wir wachsamer! Ihre Ausführungen sind sehr wertvoll! Herzlichen Dank!
Nachtrag – apropos Fallen stellen – betrifft Rostbrühe:
Die StZ schrieb gestern: EBA schließt Rostbelastung nicht aus. Jetzt soll bis zum 17. Okt. ein „von der Bahn beauftragtes Labor regelmäßig . . . Proben entnehmen.“
Na prima! Da könnte man sich, falls man etwa Misstrauen hegen sollte, leicht den kurzen Weg zum nächsten Wasserhahn vorstellen. Eine Prise Bürostaub dazu – u. fertig fürs Labor. Dafür gibt’s dann ’ne dicke Prämie . . .
In den Behörden u. Gerichten (Häußler! Und lesenswert das Buch: „Politische Justiz in unserem Land“) scheinen die schwarzen Filzläuse mit Feuereifer zu werkeln. Ingenieure u. Juristen bügelt man einfach ab. Ist auch der Kostendeckel längst explodiert, die Kapazitätslüge klar erkannt: Die Behörden halten (noch?) dicht.
Wie könnte/sollte/müsste man sie knacken?
hallo Wolfgang und alle Mitstreiterinnen,
danke dir Wolfgang, für die interessante Gegenüberstellung der 2 Widerstandsbewegungen – S21 und Whyl –
Der große Unterschied wird in deinem letzten Satz deutlich – war Wyhl für die meinsten doch eine 1-Punktbewegung gegen die AKW- Politik ist der Widerstand gegen S21 für die meisten ein Protest gegen das Prinzip S21, das durch Lug, Betrug und
Faktenschaffen deutlich wird und durch starke Repressionen gegen die Aufständigen.
Positiv formuliert bedeutet das mit deinen Worten: Für den Aufbau einer ökologisch-sozialen Gesamtalternative zum globalisierten Kapitalismus.
Es geht tatsächlich um die Frage, wie wollen wir unser Leben weiter gestalten und welche Rahmenbedingungen brauchen wir dazu. Da steht alles auf dem Prüfstand. Ich teile deine Ansicht, dass auch 150 000 tausend Demonstrierende den Sack nicht zu machen können – Kohl 1983: “ Ihr demonstriert, wir regieren“ – Das ist auch bei S21 so. Nein, Widerstand wird dann zielführend, wenn durch viele große Widerstandsaktionen wie in Whyl mit Besetzungen auch wir in Stuttgart wieder deutlich machen, dass wir nicht zulassen, dass gegen den Willen von uns Menschen solche umweltzerstörende und verbrecherische Projekte durchgesetzt werden können. Wir hatten solche tolle und entschlossene Aktionen schon öfters in unserm Widerstand , z.b. mit dem Widerstandsdorf im Park, in den 2 Nächten bei den Besetzungen am Südflügel mit 1000-2000 Menschen bei klirrender Kälte, bei der großen Parkräumung am 14.2 mit 2000 Menschen, bei vielen Sitzblockaden von über hundert Leuten und den vielen Blockaden, wo sich 5-10 Menschen dem Weiterbetrieb der Baustellen wiedersetzten. Leider fehlen diese Aktionen in deiner Aufzählung. Wie in Mutlangen gegen Atomraketen und Aufrüstung, in Gorleben gegen AKWs und Endlager, bei dem Widerstand gegen Agrogentechnik mit Besetzungen und Feldbefreiungsaktionen , haben die direkten Aktionen einen großen Beitrag dazu geleistet, dass diese zerstörende Politk sich nicht gegen die Menschen durchsetzen ließ. Ich denke, wir sollten miteinander noch mehr überlegen, wie wir solche Aktionen mit vielen Menschen planen und durchführen –
Hallo,
herzlichen Dank für die mutige Analyse.
Durch den Vergleich lässt sich einiges lernen, sie hat aber auch einen Haken: Die gesellschaftliche Situation des Kampfes gegen das AKW Whyl ist eine gänzlich andere als wir heute haben.
Ende der 70er Anfang der 80er Jahre gab es in Folge der 68er Bewegung, des Aufschwungs gewerkschaftlicher Kräfte und schließlich der Neukonstituieren einer kommunistischen Partei (nachdem 1956 die KPD unter der antikommunistische Hetze Adenauers verboten wurde) ein Aufschwung kämpferischer und fortschrittlicher Bewegung. Hinter meinem Genossen Balthasar Ehret stand eine starke Partei mit Erfahrungen aus dem Kampf gegen den Hitlerfaschismus und gegen das Adenauer-Regime. Auch International standen die Zeichen anders. Der Kampf um gesellschaftlichen Fortschritt hat in vielen Bereichen getobt. Allein, wenn man die großen Auseinandersetzungen gegen Atomkraft betrachtet.
Unser Kampf gegen S21 und das dahinterstehende System ist weitgehend isoliert geblieben.
Zusätzlich sind heute die Kräfte, die für den gesellschaftlichen Fortschritt eintreten in der defensive, die Gewerkschaften schwach, Organisationen zerbrochen, die DKP ist leider nur noch eine sehr kleine Partei, oder zur anderen Seite Übergelaufene. Viele Erfahrungen sind in den letzten zwanzig Jahren auf unserer Seite verloren gegangen, während der Gegner gelernt hat.
Wir müssen heute wieder neu lernen und uns neu organisieren, dabei sollte man auch auf bewährtes zurückschauen und -greifen. Wichtig ist, dass wir aus unseren Erfahrungen und gerade aus unseren Fehlern lernen.
Solidarische Grüße
Björn Blach
P.S.: Der Vergleich der Schlichtung in Tarifverhandlungen hinkt doch sehr stark. Auch da sitzen 2 Parteien an einem Tisch von der die eine über die selben Machtmittel verfügt wie die Tunnelbefürtworter und die Gewerkschaften nichts weiter als ihre Organisation haben. Auch hier ist die Schlichtung nie etwas, was auf Augenhöhe erfolgt.