Rede von Tom Adler bei der 233. Montagsdemo am 11.8.

Tom Adler ist Stadtrat und Mitglied des Demoteams

Auch ständige Wiederholung macht noch keinen unumkehrbaren Baubeginn!

Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde von Vernunft und Kopfbahnhof,

für den 5. August 2014 hatten die Herren Grube, Kefer und Dietrich der Medienwelt, und damit dem Rest der Welt, ganz großes Kino in Aussicht gestellt, nämlich den jetzt aber absolut wirklich unumkehrbaren Stuttgart-21-Baubeginn in dieser Wüste, die einmal der mittlere Schlossgarten war, in der Baugrube 16.

Dass es die Grube 16 ist, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Warum? Weil mit der Grube 16 inzwischen zum 16. Mal von der Bahn und ihren politischen Grube-Gräbern ein Hype inszeniert wurde. Ein Hype um ein weiteres Potemkinsches Baufortschrittsdorf, mit dem über die grundlegenden, nicht reparierbaren Mängel des Tiefbahnhofprojekts hinweg getäuscht werden soll!

„Unumkehrbarer Baubeginn“ wurde schon getönt, als im Juli 2007 das ‚Memorandum of Understanding‘ unterzeichnet wurde von all diesen Herren, die heute in Brüssel oder in Rente sind, und im April 2009 die Finanzierungsvereinbarung, als am 2. Februar 2010 ein Prellbock angehoben wurde, und im August 2010, als der Nordflügel fiel, und am 1. Oktober 2010 – am Tag nach dem Schwarzen Donnerstag – als die ersten der großartigen Schlossgarten-Bäume für das GWM platt gemacht wurden.

Wir hörten „Unumkehrbar!“ von Heiner Geißler im November 2010 bei der sogenannten Schlichtung, dann wieder beim Stresstest – der nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatte – und 2011 nach der Volksabstimmung. Ab dem 30. Januar 2012 wurde der Südflügel und in der Nacht vom 14. auf den 15. Februar 2012 der Mittlere Schlossgarten zerstört, dieser perverse Fortschrittsbegriff wurde unübersehbar und das Projekt schon wieder für unumkehrbar erklärt. Genau wie beim Filderdialog im Juli 2012, bei dem das tatsächliche Ergebnis der so genannten Bürgerbeteiligung am Tag nach deren Abschluss gleich wieder kassiert wurde.

Am 4. Dezember 2013 wurde dann in Wangen unumkehrbar ein Tunnel begonnen, der in Wahrheit nichts als eine Grube ist, am 10. Juli wurde in Möhringen in Anwesenheit zahlreicher prominenter Herrenknechte eine Tunnel-Bohrmaschine getauft, und die gewünschte Doppelseite in den Stuttgarter Zeitungen hat dann der Öffentlichkeit scheinbar unumkehrbaren Baufortschritt dokumentiert.

Seit mittlerweile 7 Jahren wird dieses Baufortschritts- und Unumkehrbarkeits-Mantra unablässig wiederholt, es wird wider besseres Wissen wiederholt vor allem, um der Öffentlichkeit zu suggerieren, dass jeder Widerstand der Stuttgarter Protestbewegung zwecklos sei.

Wir wissen, dass die Fakten anders aussehen. Wir wissen aber auch, dass das alles nicht ohne Wirkung bleibt, wir wissen, dass auch früher aktive MitstreiterInnen zuhause bleiben, weil sie momentan keine greifbare Chance sehen, den Wahnsinn zu stoppen, und der Ministerpräsident und auch der Oberbürgermeister beteiligen sich daran ja inzwischen mit eigenen grünen Entmutigungs-Mantras Marke „Der Käs isch’ gessa“.
Liebe Freundinnen und Freunde, wir wissen aber umgekehrt genauso: das heißt nicht, dass die große Mehrheit der StuttgarterInnen das Projekt begrüßt und haben will. Das hat zuletzt auch die Bürgerumfrage der Stadt bestätigt.

Aber trotz der Macht dieser Unumkehrbarkeits-Inszenierungen jeden Montag auf die Straße zu gehen und auch dazwischen noch aktiv zu sein über viele Jahre, das übersteigt die psychischen Kräfte und Möglichkeiten der allermeisten Menschen.

Um wieder auf die Straße zu uns zu kommen, braucht es für sie mehr als ihre projektkritische Grundhaltung. Sie werden wieder zu uns stoßen und unsere Mobilisierungen anwachsen lassen, wenn äußere, elektrisierende Signale den Energieschub geben, der dafür nötig ist, wie damals 2009, 2010 und 2011.

Und diese Situationen werden unvermeidlich kommen, darüber kann kein Hype um Potemkinsche Baufortschrittsdörfer hinwegtäuschen, ungewollt bestätigt das sogar ein Herr Dietrich, als er versucht hatte, die erst groß angekündigte Grube-16-Show deutlich niedriger zu hängen!

Und die Herrschaften, an denen ja jede öffentliche Kritik abperlt, sind sich offenbar doch nicht so sicher, dass ihre Stuttgarter sich auf Dauer alles bieten lassen werden. Deshalb versuchen sie intensiv, mit sogenannter „Bürgerbeteiligung“ für die Gleisvorfeldbebauung das Murksprojekt mit Themen in Verbindung zu bringen, die sie für positiv besetzbar halten. Die vor kurzem gestartete Kampagne für eine Internationale Bauausstellung in Stuttgart von Haus & Grund, von der Immobilienwirtschaft und etlichen prominenten S21-Unterstützern geht in dieselbe Richtung.

Wir wissen:

  • Bis heute gibt es kein genehmigungsfähiges Brandschutzkonzept, schon im April hätte es die Bahn im Umwelt-Technik-Ausschuss präsentieren sollen, inzwischen ist von 2015 die Rede, noch nicht einmal die nachträglich ausgedachten Entfluchtungstürme von den Bahnsteigen sind genehmigt.
  • Bis heute gibt es kein machbares Konzept für die Verlegung des Nesenbachdükers und ohne Verlegung des Dükers – keinen Tiefbahnhof! Da kann die Bahn außer Grube 16 so viele Gruben ausheben, wie sie will!
  • Der Bauabschnitt Filderbahnhof mit allen Fallstricken muss ab September erst einmal in die öffentliche Anhörung und ist so wenig genehmigt wie die verdoppelte Grundwasserentnahme fürs Grundwassermanagement.
  • Und dann der Bundesrechnungshof – war da nicht was? Müsste die Kostenüberprüfung von S21 nicht schon seit Dezember 2013 vorliegen – warum tut sie’s nicht? Wird sie zurückgehalten, weil die Ergebnisse nicht ins Propaganda-Bild von Unumkehrbarkeit passen?
  • Auch mit den für die Mineralquellen hochriskanten Gründungs-Bauplänen für den Tunnelbahnhof wird sich der Gemeinderat wieder beschäftigen müssen, genau wie mit dem Rostwasser, dazu hat unsere Fraktion mehrere Anträge eingereicht.

 

Das sind nur einige der Probleme, die – verzeiht mir das grausame Bild – vergleichbar mit Tretminen, jeden Schritt beim sogenannten Bau-Fortschritt begleiten. Jeder Schritt wird die heute noch so selbstbewusst erscheinenden Projektunterstützer in allergrößte Probleme bringen.

Und da können wir zuversichtlich sein, dass die elektrisierenden Energieschübe entstehen, die die Menschen brauchen, um wieder zu uns zu stoßen, zu unseren Aktionen, zu unseren Demos. Denn unsere Bewegung braucht es, unsere Präsenz auf den Straßen mit vielen verschiedenen Formen des Widerstands ist unentbehrlich, um der Kritik am Stuttgart-21-Murks den Kristallisationspunkt zu geben, an dem sich auch Neues entwickeln kann!

Allein dass am vergangenen Dienstagvormittag in der Ferienzeit 700 DemonstrantInnen am Bahnhof ihre Ablehnung des Murksprojekts zum Ausdruck gebracht haben, plus den ganzen Tag über unübersehbare Aktionen zivilen Ungehorsams, all das zeigt, dass sich Bahn und Tunnelparteien zu früh gefreut haben. Unsere Protestbewegung ist und bleibt der Faktor, der Ihnen Schwierigkeiten bereiten wird!

Das gilt auch für die Stadtverwaltung! Diese Stadtverwaltung muss der Bahn auf die Finger schauen und hauen statt mit Sondergenehmigungen wie am Nordbahnhof ständig neue Zumutungen der Bahn für die Bürger zu decken! Heute haben wir Ausnahmezustand, wohin man schaut, und statt endlich mal ‚Stopp‘ zu sagen werden sämtliche Augen zugedrückt. Aber gerade Fritz Kuhn wurde nicht an die Verwaltungsspitze gewählt, um sich wegzuducken, sondern um genau hinzuschauen.

Bei seiner Amtseinführung sagte er wörtlich: „Ich habe im Wahlkampf versprochen, dass ich als OB im Rahmen des Rechts (…) für Transparenz sorgen werde und auch der Bahn, wenn es notwendig ist, auf die Finger schauen werde.“ – „Auch brauche ich kein Kommunikationsbüro, das nicht mit Kommunikation und Aufklärung, sondern eher mit Desinformation arbeitet.“

Seither erleben wir nicht Aufklärung und Transparenz, sondern Kapitulation in Raten, inzwischen feiert er auch „Tunnelanstiche“ mit, und das Amtsblatt – immerhin offizielles Organ der Stadt! – gibt 1:1 die schöne Welt der S21-Propaganda wieder. Von kritischer Begleitung zum Schutz der StuttgarterInnen keine Spur!

Sogar das müssen wir mit unserem öffentlichen Druck inzwischen selber leisten! Und weil wir dabei wissen, dass Stuttgart 21 nicht reformierbar ist und auch nicht unumkehrbar, hören wir nicht auf zu fordern, dass endlich der Ausstieg aus Stuttgart 21 geplant wird!

Oben und zusammen bleiben!

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Eine Antwort zu Rede von Tom Adler bei der 233. Montagsdemo am 11.8.

  1. Rainer sagt:

    „Der Käs isch’ vielleicht gessa“, aber noch lang nicht verdaut. Vielleicht wird es dem Esser bald so übel, dass er sich übergeben muss!

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