Beitrag von Irene Köberle, Gewerkschafter/-innen gegen S21, bei der Pressekonferenz „Kampagnenstart: Für unsere Stadtbahn!“ am 24.2.2014
Stadtbahn-Chaos = Stress für Arbeitnehmer
Als das Projekt Stuttgart 21 verheißungsvoll auf den Plan trat, waren zunächst auch die Gewerkschaften angetan – insbesondere von der Ankündigung, Stuttgart 21 würde Aufträge und Arbeitsplätze nach Stuttgart bringen. Sobald allerdings erste Bautätigkeiten in Form von Abrissarbeiten begannen, mischte sich unter diesen Optimismus zunehmend auch Ernüchterung und Empörung. Keine der angeblichen Segnungen durch Stuttgart 21 ist eingetreten. Die blumig angekündigten Arbeitsplätze kamen zwar, brachten aber ihre Arbeitskräfte selbst mit. Die Stuttgarter Arbeitsbevölkerung wartete vergeblich auf neue Jobs. Stattdessen kamen erst mal Billiglohnbauarbeiter, stellenweise sogar Illegale (wie beim Nordflügelabriss vom Zoll ermittelt).
Doch auch die Arbeitswelt außerhalb von Stuttgart 21 muss für das Projekt leiden. Besonders empfindlich betroffen sind jetzt alle, die darauf angewiesen sind, von Bussen und Bahnen täglich zuverlässig und pünktlich an ihre Arbeitsplätze gebracht zu werden, an Ausbildungsplätze, an Schulen und Universitäten, als Einpendler oder als Auspendler. Wurden sie durch das S-Bahn-Chaos der vergangenen Monate ohnehin schon genug gestresst, könnte Ihnen nun auch das bislang so zuverlässige Alternativangebot der SSB wegbrechen. Dem geplanten Bahnhofstrog ist aktuell die Stadtbahnhaltestelle Staatsgalerie im Weg, ein wichtiger Verteiler für insgesamt sechs Stadtbahnlinien. Ausgelöst durch die ständigen und nie verlässlichen Umplanungen der Bahn zu Stuttgart 21 droht nun zum S-Bahn-Chaos zusätzlich auch ein Stadtbahnchaos.
- In Folge der Verlegung der Stadtbahnhaltestelle müssen sich die Menschen auf ihrem Weg zur Arbeit durch wechselnde Umsteigebeziehungen, durch Baustellenumleitungen und Gedränge kämpfen. Sie sind gestresst, noch bevor sie überhaupt am Arbeitsplatz eintreffen und wenn sie nicht pünktlich sind, bekommen sie Stress mit ihrem Arbeitgeber.
- Familien, die bisher die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie nur durch hochorganisierte und getaktete Abläufe hinbekommen, werden bei jeder neuen Änderung komplett umplanen müssen. Kleine Kinder können unter Umständen nicht mehr alleine zur Schule geschickt werden.
- Beschäftigte der Stadt Stuttgart, die von OB Fritz Kuhn ab April 2014 mit einem kräftigen Zuschuss zum Umsteigen auf Busse und Bahnen motiviert werden sollen, werden sich wundern – und ärgern – wenn sie beim Umstieg auf die Stadtbahn auf chaotische Zustände treffen. Vor diesem Hintergrund ist es fraglich, wie viele der Umsteiger das wie lange mitmachen. Ein Bärendienst für das so wichtige und richtige Bemühen um Verringerung des Autoverkehrs und der Feinstaubbelastung in Stuttgart.
Nicht zuletzt die Kolleginnen und Kollegen von der SSB werden belastet. Ihr angesehenes und als zuverlässig bekanntes kommunales ÖPNV-Unternehmen gerät durch die für uns nicht nachvollziehbare Nibelungentreue des Vorstands zu Stuttgart 21 immer mehr in den Sog des Chaos der Bahn, von der die SSB völlig abhängig scheint. Immer wenn die Bahn umplant, muss in Folge auch die SSB alle fertig geplanten Baumaßnahmen wieder einstampfen und neu entwickeln.
Den größten Stress aber werden die Kolleginnen und Kollegen erleben, die im direkten Kontakt mit den Fahrgästen sind. Sie werden viel auszuhalten haben, und brauchen starke Nerven für die Auseinandersetzung mit der erbosten Kundschaft. Vor allem an diese Beschäftigten der SSB richtet sich unser Flyer der ‚GewerkschafterInnen gegen Stuttgart 21‘. Wir wollen ihnen signalisieren, dass uns klar ist, dass das Stadtbahn-Chaos nicht Schuld der SSB-Beschäftigten ist. Wir wollen mit den Kolleginnen und Kollegen ins Gespräch kommen, und sie zur betriebsinternen Diskussion anregen. Wir hoffen, dass dann die SSB der Bahn selbstbewusst entgegentritt und sich endlich wehrt, denn nur dann kann sie auch weiterhin ihren wichtigen Auftrag zur öffentlichen Daseinsvorsorge erfüllen. Es wird dabei nicht immer einfach sein, den wahren Verursacher des Chaos, also Stuttgart 21 zu benennen, weil bei der SSB das Projekt Stuttgart 21 scheinbar nicht in Frage gestellt werden darf.
Stuttgart 21 verwundet die Lebensadern unserer Stadt an ihren empfindlichsten Stellen. Wie lange kann und will ein lebendiger Organismus wie eine Stadt das aushalten? Und wie lange kann eine Stadt die Luft anhalten, ohne ernsthaft Schaden zu nehmen? Wir ‚GewerkschafterInnen gegen S21‘ fordern vom Stuttgarter Gemeinderat, die S21-Verträge zu kündigen, um den Arbeitnehmern, die in Stuttgart mit der Stadtbahn zur Arbeit fahren, das jahrelange Stadtbahn-Chaos zu ersparen, und um dieser Stadt eine Überlebenschance zu geben.
Alle Redebeiträge der Pressekonferenz vom 24.2.2014 als PDF-Datei.