Rede von Frank Schweizer bei der 206. Montagsdemo

Rede von Frank Schweizer, Netzwerk Kernerviertel, bei der 206. Montagsdemo am 20.1.2014

Liebe Freunde und Freundinnen des Kopfbahnhofs !

Ich begrüße Euch zur 206. Montagsdemo im Kernerviertel auf dem Urbansplatz. Es gilt weiterhin Köpfchen zeigen damit wir gemeinsam OBEN BLEIBEN ! Es gilt aber auch in diesen Tagen kühlen Kopf bewahren und das Ziel nicht auch den Augen verlieren. Es gibt in der Tat viele Wege zum Ziel, aber nicht immer ist der Weg allein das Ziel.

Es ist kein Zufall, dass wir heute am Urbansplatz stehen und protestieren. Wir protestieren weiter gegen ein unglaubliches Lügengebäude, das Vertreter der Bahn im Auftrag verantwortungsloser Politiker errichten. Diese Lügenbaumaßnahme ist noch perfider als jeder Tiefbahnhof.

Wir stehen hier im Kernerviertel, weil sich erste Anzeichen ergeben, dass nicht nur das fiktive Lügengebäude einstürzen kann, sonder tatsächliche auch reale Gebäude durch die Tunnelbaumaßnahme gefährdet sind.

Dort steht das Verwaltungsgebäude der Landewasserversorgung. Dort hat der Tunnelbau zu ersten Rissen geführt, wobei hier besonders behutsam vorgegangen worden sein soll. Zum Glück hat es die Landeswasserversorgung getroffen. Das ist eine Institution, die vom Oberbürgermeister Kuhn beaufsichtigt wird. Auch weitere kommunale Vertreter aus dem Land führen Aufsicht, viele von ihnen wollten ihren Bürger weis machen, dass das unsinnige Projekt Stuttgart 21 für die Landeshauptstadt zukunftsweisend sei. Das sind Politiker, die behauptet haben, dass Stuttgart 21 einen hohen Zeitgewinn bei vertretbaren Kosten bringt. Sie ließen die Bürger vor der Volksabstimmung in dem Glauben, der Tiefbahnhof wäre unabdingbar für diesen Zeitgewinn. Das ist gemeinschaftlicher Wählerbetrug in großem Ausmaß. Es ist eine Gesetzeslücke, dass diese Art von Betrug nicht bestraft werden kann. Das Gebäude der Landeswasserversorgung wird nur an einer Ecke unterfahren. So wie viele Gebäude. Daher werden an einer Stelle Setzungen verursacht, an anderen Gebäudeteilen nicht. Das führt zu Rissen. Meine Frau und ich sind Eigentümer eines Gebäudes, das hinter der Landeswasserversorgung liegt. Wir werden zweimal unterfahren, einmal durch den Fildertunnel und einmal durch den Tunnel nach Untertürkheim. Das heißt wird haben das doppelte Risiko in zeitlich unbekanntem Abstand.

Den betroffenen Eigentümern wird nicht vermittelt, wie weit die jeweilige Baumaßnahme fortgeschritten ist. Daher fordern die Eigentümer eine zeitnahe Berichterstattung über den Baufortschritt in den Tunneln. Soll sich ein Eigentümer einmal am Tag mit einem Hörrohr auf den Boden legen, um festzustellen, wie weit die Bohrungen in Richtung auf sein Grundstück fortgeschritten sind? Er muss es ja schließlich wissen, falls sein Grundstück untertunnelt wird, bevor eine Eintragung des Unterfahrrechts der Bahn erfolgt. Wir fordern daher eine täglich kontinuierliche Information über den Baufortgang. Die Stadt beteiligt sich mit ca 600.000 Euro pro Jahr an dem Informationsbüro für Stuttgart 21. Daher können wir auch eine transparente Informationspolitik erwarten und nicht nur Schönfärberei von Problemen bei der Bauausführung.

Die Häuser im Hangbereich des Kernerviertels stehen auf terrassierten Grundstücken. Die Terrassen werden durch Stützmauern von mehreren Metern gebildet. Diese Mauern sind bis heute noch nicht in das Beweisscherungsverfahren einbezogen worden. Ich nehme an, das wird nachgeholt bevor die Stützmauern der Kernerstrasse 36 und der Jugendherberge unterfahren werden. Das sind Gebäude, die der Stadt Stuttgart gehören. Dort gibt es jedoch keine Verwaltungsräte, die sich in die Entschädigungsprobleme einmischen können (wie bei der LWV). Ich kann den Stadträten nur empfehlen, die städtischen Behörden zu befragen, ob sie die Gestattung zur Unterfahrung dieser Gebäude bereits unterschrieben haben.

Inzwischen haben sich auch in der Jägerstrasse Probleme ergeben. Der Altbau der Industrie und Handelskammer soll nun abgerissen werden, weil es zu Schäden kommen kann. Damit ist die Organisation der Industrie im Großraum Stuttgart ebenfalls betroffen. Das wussten die dort Verantwortlichen aber bereits, als sie mehrheitlich für das unsinnige Projekt S21 vehement eingetreten sind. Nicht weit davon steht ein weiteres Baudenkmal, die ehemalige Reichsbahnverwaltung. Wir dürfen gespannt sein, wann für dieses Gebäude, das ebenfalls unterfahren wird ein Abbruchantrag gestellt wird. Der evangelische Oberkirchenrat ist mit dem Hauptsitz auf der Gänsheide und mit mehreren Gebäuden in der Gerokstrasse betroffen. Selbst die Dienstwohnung des evangelischen Landesbischofs wird unterfahren. Doch um die potentiellen Vermögensverluste der evangelischen Landeskirche werden sich die Synodalen schon noch kümmern.

Im Dezember habe ich an der Stützmauer der Haussmannstrasse festgestellt, dass sich ein Teilstück dieser Stützmauer weiter talwärts neigt. Jeder, der den talseitigen Fußweg der Hausmannstrasse begeht, kann die Neigung zur Talseite mit eigenen Augen sehen. Ein Vertreter des zuständigen Tiefbauamtes hat eine weitere Messung zugesagt, um die Veränderung der Schieflage zu überprüfen.

Ich bin mir fast sicher, dass das Risiko, dass die Stützmauer der Hausmannstrasse einstürzen könnte, nicht zu den 121 Risiken zählt, die Herr Azer aufgelistet hat. Ich möchte daran erinnern, dass viele Risiken in dieser Liste mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 49% bewertet wurden. Warum gerade 49% ? Bei einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 50 % hätten die Risiken den Projektpartnern mitgeteilt werden müssen. Mit dieser Bewertung konnte sich die Bahn eine Kostenschätzung ersparen. Ein längst bekannter Trick um das berühmte Kostenlimit nicht zu überschreiten.

Wenn es nicht beim Risiko bleibt und die Wahrscheinlichkeit eines Schadens zur Realität wird, geht das Gezerre mit dem Phantom Verursacher erst los.

Die Netzwerke sind daran interessiert das Phantom vor dem Ernstfall zu identifizieren. Daher haben die Netzwerke einmal mehr die Eigentümer eingeladen, um sich über die Ausgestaltung der sogenannten Gestattungsverträge und Haftungsregelungen zu informieren.

Wer ist denn nun der Verursacher, wenn ein Bauschaden eintritt. Die Baufirma oder deren Subunternehmer ? Ist die Bahn überhaupt Verursacher nach den „gesetzlichen Bestimmungen“ wie es so schön in den Gestattungsverträgen steht. Wer - bitte schön - klärt die Eigentümer auf, wo diese „gesetzlichen Bestimmungen“ stehen und welche Konsequenzen sich daraus ergeben ? Die Landsiedlung hat inzwischen das Handtuch geworfen und wird sich nicht mehr mit den hartnäckigen Hausbesitzern wegen der Gestattungsverträge herumschlagen.

Offenbar sucht die Bahn nun eigenes Personal für das Fingerhakeln. Die Eigentümer, die sich ohne eingehende Beratung über den Tisch ziehen lassen und unterschreiben, „sind selber schuld“ sagte ein erfahrener Rechtsanwalt am letzten Freitag im Rathaus. Im bestmöglichen Regelfall wird sich der geschädigte Eigentümer mit den Gutachtern der Haftpflichtversicherung der Bahn herumschlagen dürfen. Wohl dem, der eine gefüllte Kasse zum prozessieren hat. Die Netzwerke erwarten von den Politikern, dass die Hausbesitzer bei der Wahrung ihrer Rechte unterstützt werden.

Bei der Informationsveranstaltung wurde auch infrage gestellt, ob die bisher vorgeschlagene Ermittlung der Entschädigung eine Rechtsgrundlage hat. Ob diese Rechtsgrundlage erst noch geschaffen werden muss, bevor alle Eigentümer angemessen entschädigt werden können, wurde nicht eindeutig geklärt. Doch zur Klarstellung: Die meisten Eigentümer wollen überhaupt keine Entschädigung, weil sie keinen Tunnel wollen. Wer am Freitag keine Zeit hatte, ins Rathaus zu kommen, kann sich alle Vorträge bei fluegel.tv anschauen.

Für die folgenden Worte erwarte ich nicht unbedingt großen Beifall: Ich spreche gerne hier auf dem Podium, doch ich würde gerne zu noch viel mehr Menschen sprechen wollen, die gegen das unsinnige Projekt seit Jahren eintreten. Es gibt viele Orte in unserer schönen Stadt, wo der Protest zum Ausdruck kommen kann.

Wenn wir Erfolg haben möchten, müssen wir auf die Mitbürger zugehen und sie nicht vor den Kopf stoßen. Eine langjährige und sehr emsige Frau im Widerstand gegen S21 hat mir vor Weihnachten erzählt, dass ein Mitreisender in der S-Bahn sie wegen ihres Buttons angesprochen oder besser angepöpelt hat. Sie hat ihn ausreden lassen und gezielt seine Gründe für das Projekt abgefragt. Die Antworten sind mehr und mehr schwächer ausgefallen. Sie ist der Meinung dass sie einen eingefleischten Proler nachdenklich gestimmt hat.

Nicht jeder hat die Geduld zu solchem Handeln. Auch nicht alle, die seit langem gegen das Projekt sind, tragen die Buttons des Widerstandes. Diese Buttons provozieren Gespräche, die nicht immer angenehm doch aber sehr wichtig sind. Die Montagsdemos haben in den vergangen Jahren vielen Menschen sehr viele Informationen vermittelt. Informationen, die man in den Medien nicht erfahren hat. Der Informationsaustausch ist umso effektiver, je mehr Menschen erreicht werden. Die Zahl der Menschen, die sich dabei zusammenfindet ist eine wichtige Messgröße unseres Widerstandes. Daher sollte die Kundgebung dort stattfinden, wo die größtmögliche Zahl von S21 Gegner zusammenkommt.

Wir haben in den Netzwerken diese Problematik heftig diskutiert und sind mehrheitlich zu der Überzeugung gekommen, dass die Kundgebung auf dem Marktplatz die meisten Menschen anzieht. Dabei ist es unbenommen in welcher Gruppierung und welcher Anzahl die Teilnehmer dort eintreffen. Doch der Kulminationspunkt sollte der größte gemeinsame Nenner sein. Der Widerstand hat viele Gesichter. Es sollte uns aber gelingen, dass wir einmal in der Woche in alle Gesichter schauen können.

Mit den Laufdemos wurde zusätzlich auf andere neuralgische Punkte des Projektes allgemein und vor Ort bekannt. Einen solchen neuralgischer Punkt habe ich bereits angesprochen: Die Hausmannstrasse.

Das Kernerviertel ist bereits ein neuralgischer Ort, wird aber in Zukunft immer mehr belastet werden, wenn baubedingte Staus auf der Schillerstrasse oder Willy-Brandt-Strasse zu endlosen Schleichkolonnen durch das Kernerviertel führen. Diesen Schleichern sollte ein Riegel vorgeschoben werden.
Die Spatzen pfeifen es bereits vom Dach. Bei der Kommunalwahl in Stuttgart wird es wohl kein zweites Grünes Wunder geben. Unser Wahlrecht lässt es zu die Rangfolge in den Parteien deutlich zu verändern. Wir müssen in allen Parteien die Kandidaten unterstützen, die sich unmissverständlich gegen Stuttgart 21 erklären.
Wir sollten undogmatisch und flexibel die Kommunalwahl nutzen, um die Zahl der Gegner des unsinnigen Projektes S 21 im Gemeinderat und im Regionalparlament zu erhöhen. Lasst uns diese weitere Möglichkeit nutzen, damit wir weiterhin OBEN BLEIBEN.

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Eine Antwort zu Rede von Frank Schweizer bei der 206. Montagsdemo

  1. Rainer sagt:

    Vielen Dank Herr Schweizer , für Ihre Worte zu den kommenden Wahlen! Wahlen scheinen doch offensichtlich noch das Einzige zu sein, was auf Politiker Eindruck macht. Also lasst uns die Opposition stärken!

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