Rede von Jörg Munder, Regionssekretär DGB-Nordwürttemberg, auf der 201. Montagsdemo am 9.12.2013
Fahrpreiserhöhung der Deutschen Bahn – Bahnhof runter, Preise rauf
Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
in gewohnter Weise treffen wir uns hier wieder vor dem Hauptbahnhof, nach dem die Anordnung der Stadt vom Verwaltungsgericht verworfen wurde – zu Recht! Wie billig ist das denn, angebliche Umsatzeinbrüche des Einzelhandels einem Grundrecht auf Meinungs- und Koalitionsfreiheit gegenüber zu stellen! Aber dass man sich überhaupt so weit vorwagt, diese Gleichsetzung von Umsatz und Grundrechte zu denken, das wird heute mein Thema sein. Ich werde etwas zur kommenden Fahrpreiserhöhung sagen, da sieht man ja bereits den Zusammenhang.
Mein Name ist Jörg Munder, ich bin DGB-Regionssekretär. Angekündigt wurde ich auf manchen Webseiten als Generalsekretär. Ich bin mir nicht sicher, ob es eine Ehrung ist in einer Reihe mit den Generalsekretären dieser politischen Landschaft gedacht zu werden: Andrea Nahles, Hermann Gröhe, Alexander Dobrindt ...
So sicher wie jedes Jahr am 24. Dezember Weihnachten kommt, so sicher kommt zwar nicht die Bahn, dafür aber die Fahrpreiserhöhung. In diesem Jahr steigen die Preise im Nahverkehr um 2,9%, im Fernverkehr um 2,4%. Im Neusprech der Bahn heißt das in ihrer Pressemeldung: „DB verzichtet auf pauschale Preiserhöhungen: Die Hälfte aller Fahrten im Fernverkehr bleibt preisstabil“.
Nun wäre es verkürzt zu sagen, die Bahn braucht höhere Einnahmen, um die Mehrkosten von Stuttgart 21 zu finanzieren. So einfach funktioniert die Welt nicht, es gibt Verkehrswegepläne und es gibt eine Bundesländerhoheit beim Nahverkehr, um nur mal zwei wesentliche Parameter zu nennen. Aber es gibt auch die berechtigte Frage, wieso denn eigentlich die Preise steigen. Stimmt die Kasse nicht? Zu viel Geld verpulvert?
Eigentlich nicht. Denn für das gesamte Jahr 2013 rechnet der Konzern mit einem Betriebsgewinn von 2,2 Milliarden Euro. Ursprünglich geplant war ein neues Rekordergebnis von 2,9 Milliarden Euro. Davon geht dann immer noch was ab: Da die Bahn eine privatrechtlich organisierte Gesellschaft im alleinigen Besitz des Bundes ist, holt der Staat sich quasi als Rendite seinen Teil. Die Entnahme aus dem Gewinn der Bahn AG beträgt jährlich eine halbe Milliarde Euro. Diese Dividendenvereinbarung beruht auf einer mündlichen Abmachung zwischen dem früheren Bahnchef Hartmut Mehdorn und dem damaligen Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) als Teil des Sparpakets der Bundesregierung.
Noch immer könnte man sagen: Das ist so in einer Marktwirtschaft, alles in Bewegung und Preise können steigen. Aus gewerkschaftlicher Sicht legen wir kein pauschales Veto ein, wenn man sich darauf verlassen könnte, dass auch Löhne und Gehälter angemessen steigen. So kennt man es ja aus früheren Zeiten, wenn die Beschäftigten was verdienen, dann können sie auch mehr ausgeben, dann hat die Wirtschaft auch wieder was davon.
Genau das passiert aber nicht auf die Fläche gesehen: Seit Jahren sind die Reallöhne gesunken, während die Gewinne explodiert sind. Und da die Inflationsrate bei 1,2% liegt, heißt das, die meisten von uns zahlen nominal drauf, wenn sie das nächste Mal eine Bahnkarte kaufen, die etwa 2,9% teurer geworden ist. Und was uns alles vorgesetzt wird: Die Bahnpreise steigen um x%, weil sie vermutlich ausgewürfelt wurden. Wo ist der Zusammenhang zwischen Bedarf und Notwendigkeit?
In der Bundesrepublik gibt es an Netto-Privatvermögen ca. 8 Billionen Euro. Das reichste Zehntel unserer Bevölkerung besitzt davon 63% oder: ca. 5 Billionen. Im Vergleich dazu: die Staatverschuldung der BRD beträgt etwa 2 Billionen Euro. Und nun lässt sich natürlich auch erklären, dass die Nomenklatura, die den Reichtum privatisiert und zusammengerafft hat, auch meint sagen zu können, wie die Gesellschaft zu funktionieren habe. Wo Demonstrationen stattzufinden haben. Was die Kauflust der Menschen angeblich einschränkt: Nämlich die standhaften Protestierenden der Montagsdemo, die sich Woche für Woche nicht damit abspeisen lassen, was angeblich gut für uns ist und was nicht. Die sich einmischen in demokratische Prozesse, auch wenn es manchen nicht gefällt und auch wenn manche in diesem Montagsstau stecken bleiben.
Und nun wägt Ordnungsbürgermeister Schairer ab und sagt: Also Meinungsäußerung in Tateinheit mit Verkehrsbehinderung wiegt nicht so viel wie die hingeworfene Aussage der Stuttgart Einzelhändlerinitiative, „der Umsatz gehe Montags zurück“. Keine Zahl, kein Beleg, wo man dies nachvollziehen könnte. Und selbst wenn es so wäre: Als Verantwortlicher der 1. Reihe der Stadt Stuttgart wäre ich stolz darauf, dass sich Stuttgart jede Woche ein wachsames Publikum leistet, das sich nicht ungefragt alles vorsetzen lässt.
Und jetzt zum Einzelhandel, denn hier schließt sich die Klammer: Hier werden Beschäftigte auf Teufel komm raus ausgepresst. Im März hat der Arbeitgeberverband Einzelhandel den Tarif- und den Manteltarifvertrag gekündigt, weil er nicht zeitgemäß sei und solche Hemmnisse wie Abend- und Nachtzuschläge habe. Seit dem 1. Mai diesen Jahres gab es in Stuttgart über 80 Streiktage im Einzelhandel. Letzte Woche sind die Unternehmer eingeknickt und haben der Wiedereinsetzung des Manteltarifwerks und einer Lohnerhöhung um 5,1% zugestimmt. Aus purer Angst, das Weihnachtsgeschäft werde nachhaltig gestört.
Liebe Mitstreiterinnen, wo Bahnhof drin ist, steht Wirtschaft drauf. Es ist mittlerweile immer das gleiche Spiel: Es geht nicht mehr um Bedürfnisse, es geht nur noch darum, schamlos das Maximum an Rendite herauszupressen. Das ist beim S21-Projekt so, es ist bei Krankenhäuser so, um mal dieses Beispiel zu nehmen: Im Gesundheitswesen wird kein müder Euro mehr ausgegeben, obwohl ein Investitionsstau von über 6 Mrd. Euro in den Krankenhäusern besteht. Und obwohl die Beschäftigten dort auf dem Zahnfleisch gehen, gibt es keine gesetzlich vorgeschriebenen Personalmindestzahlen, und den Kassen wird die Möglichkeit eingeräumt, über Zu- und Abschläge und selektive Verträge mit einzelnen Krankenhäusern diese in einen noch stärkeren Dumpingwettbewerb zu treiben.
Und es ist weltweit so: Am 16. Dezember, einen Tag nach der Fahrpreiserhöhung, beginnt die dritte Verhandlungsrunde für ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU. Dort soll der weltweite Ausverkauf von Arbeitnehmerrechten und Sozialstandards beginnen. Dann könnte beispielsweise ein amerikanischer Investor Millionenforderungen bei der Bundesregierung einklagen, wenn er aus seinem frisch eingekauften Krankenhaus nicht die nötige Rendite bekommt, weil ihm beispielsweise die deutschen Löhne zu hoch sind oder die Tarifverträge ein Profithemmnis darstellen.
Ein Rundumschlag vom Stuttgarter Hauptbahnhof zum Welthandelsabkommen mit einer Ansage: Der Ausverkauf der Grundrechte findet statt auf allen Ebenen.
Deshalb: Bleibt wachsam und: oben bleiben!