Rede von Ebbe Kögel, AnStifter und K21 Kernen, auf der 197. Montagsdemo am 11.11.2013
Keine Narrenfreiheit für die Bahn
Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
Das Motto der heutigen Kundgebung heißt: ‚Keine Narrenfreiheit für die Bahn‘. Ich beginne mit ei-nem kleinen Gedicht:
Dsomm Wahldaag
Se liaget, dass d’Balgå sich biaget, versprechet vom Hemmel ra s’Blôô,
se schmiared dr Rotz omm dr Baggå ond hoissed de andre Schlawaggå,
se seied de oandsiche, môô…
Wen wähld mr no jeds dôô?
I geb dr en Rôôt: weil älle Bewerber am gleichå Tromm dsiaget,
nôo wählsch hald en Gottsnååmå de selle, môô d’Balgå sich et so arg biaget.
Dieses Gedicht stammt von Josef Eberle, der unter dem Namen Sebastian Blau Mundartgedichte veröffentlichte. Eberle war Antifaschist und von 1945 bis 1971 Herausgeber der Stuttgarter Zeitung (StZ). Aus dem Nichts heraus machte er diese – wie es in seinem Nachruf heißt – zu „einer der profiliertesten liberalen Zeitungen Deutschlands“. Wohlgemerkt: dieser Satz steht in der abgeschlossenen Vergangenheitsform.
Welches Kaliber der Eberle war, erzählte vor kurzem Werner Birkenmaier, früher Gerichtsreporter der StZ, in einem Artikel über die RAF-Zeit in Stuttgart:
„Ich habe Anfang der siebziger Jahre einen Artikel über Gudrun Ensslin geschrieben. Titel: ‚Ausbruch aus der schwäbischen Innerlichkeit‘. Die CDU setzte mich zu dieser Zeit auf ihre Liste der RAF-Sympathisanten gleich hinter Heinrich Böll…. Ich erinnere mich auch, dass Carl-Dieter Spranger von der CSU in einem Brief an den Verleger Josef Eberle meine Entlassung forderte. Wie gings aus? Prof. Eberle hat mich in sein Büro kommen lassen, mir den Brief vorgetragen und ihn dann in den Papierkorb versenkt.“ (StZ vom 11.10.13)
Das war in einer Zeit – ist schon eine Weile her – als die Herausgeber und Chefredakteure der StZ noch Rückgrat hatten und sich nicht bedingungslos in den Dienst des „grubisch-herrenknechtischen Komplexes“ und der S21-Propaganda stellten. Ein steiler Abstieg.
Die Ironie der Geschichte ist jetzt, dass das S21-Kommunikationsbüro vergangene Woche gegen die StZ eine einstweilige gerichtliche Verfügung erwirkt hat, um das wenige, was in der StZ an kritischer Berichterstattung noch stattfindet, auch noch mundtot zu machen. Leider hat die StZ dies ihren LeserInnen wochenlang verschwiegen und es wurde erst von der Kontext Wochenzeitung aufgedeckt. Ein großes Dankeschön an dieser Stelle an die KollegInnen von Kontext. Schön, dass es euch gibt.
Eine weitere Ironie der Geschichte besteht darin, dass diese Propagandaeinrichtung der DB hier am Arnulf-Klett-Platz auch noch von der Stadt Stuttgart und von der Region – und damit von den Steuer-zahlerInnen – mitfinanziert wird. Ich habe vor kurzem mal in einem Leserbrief geschrieben: Wenn eine Person beim Kommunikationsbüro oder bei der Bahn als PressesprecherIn eingestellt wird, lernt sie – bevor sie sich mit den bahntechnischen Problemen beschäftigt – zuerst einmal ein halbes Jahr lang TARNEN, TÄUSCHEN und LÜGEN. Nein, „lügen“ darf ich ja nicht sagen, das wäre ja „ehrenrührig“ für den Herrn Dietrich. Ich benutze also einen Ausspruch von meinem Onkel, der immer gesagt hat: „I will joo nedd saagå, dass kloogå isch, abr glaubå kåå mr s schiir nedd“. Also den Spruch müsst ihr immer mitdenken, wenn ich von „lügen“ rede oder den schönen Ausdruck „Luagabeidl“ gebrauche.
Wir hatten vor kurzem mit unserem „Initiativkreis Barrierefreiheit“ (ein Arbeitskreis zusammen mit der Diakonie Stetten, einer großen Behinderteneinrichtung bei uns) ein Gespräch mit Herrn Hantel, dem Leiter Station und Service für die Bahnhöfe der Region. Der hat uns gegenüber behauptet, die Pünktlichkeit der S-Bahn läge bei 94%. Alle, die regelmäßig Bahn fahren, wissen, dass diese Zahlen nicht stimmen können. Weil sie keine Verspätungen erfassen, die unter 4 Minuten liegen und vor allem, weil sie keine Züge erfassen, die komplett ausfallen.
Im Remstal haben wir schon seit Jahren folgende Situation: hat die S2 Richtung Schorndorf Verspätung, dann fährt sie nur bis Grunbach, also 5 Haltestellen vor dem Endbahnhof. Dort müssen alle Fahrgäste aussteigen und auf die nächste S-Bahn warten. Die Bahn, mit der sie gekommen sind, fährt sofort von Grunbach zurück nach Stuttgart, um weitere Verspätungen im System zu vermeiden – und taucht dann in der Statistik plötzlich als pünktliche S-Bahn wieder auf. Die Fahrgäste, die aussteigen mussten, können sehen, wo sie bleiben. Im Remstal haben wir außerdem das Problem, dass die Einstiegskante der S-Bahn-Türen 20 cm höher ist wie der Bahnsteig – eine gefährliche, teilweise sogar unüberwindliche Hürde für Rollstühle, Kinderwägen, Rollatoren und Menschen mit schwerem Gepäck.
Auch hier tut sich nichts – seit Jahrzehnten.
Vor einiger Zeit ging durch unsere Lokalpresse die Meldung, dass die Bahn auf der Rems-Strecke „Wohlfühlbahnhöfe“ schaffen wolle – alle, die wissen, wie unsere Bahnhöfe dort aussehen, haben schallend gelacht. Wir sollen 2019 eine interkommunale Gartenschau im Remstal bekommen und in diesem Zusammenhang ist der Begriff aufgetaucht.
Es hat sich dann nachträglich herausgestellt, dass dieser Begriff der DB von den beteiligten Gemeinden untergejubelt wurde. Das hat der bereits erwähnte Herr Hantel bei unserem Gespräch ausdrücklich betont. Schade, dass die Bahn diesen Begriff nicht in ihrem Repertoire hat.
Einen Fasnetsorden hat sich diese Woche aber Herr Grube verdient, der in einem Interview „einen Investitionsstau von über 30 Milliarden Euro bei Gleisen, Weichen und Stellwerken beklagt“ (StZ 4.11.13). Er fordert mehr Geld von der Politik, „weil die Schiene jahrzehntelang vernachlässigt wurde.“ Und – der Gipfel seiner Ausführungen: „Das Bestandsnetz hat Vorrang vor dem Aus- und Neubau.“ Geflissentlich verschweigt er, dass die Bahninfrastruktur seit Bestehen der Bahn-AG und dem Fit-Machen für den Börsengang systematisch gegen die Wand gefahren wurde. Und dass die für S21 rausgeschmissenen Milliarden auf Jahre viele wichtigere Vorhaben blockieren werden.
Und was machen unsere Politiker? Sie lassen sich diese Unverschämtheiten der Bahn gefallen und lassen sich regelrecht vorführen. So z.B. beim Verband Region Stuttgart, der die DB für den Betrieb der S-Bahn bezahlt. Er ist nicht in der Lage, die Zahlungen an die DB zu stoppen bzw. zurückzufordern, weil diese die vereinbarte Leistung nicht erbringt. Die Politiker des CDUSPDFDPGRÜNE-pro S21-Kartells sind wie Windhunde, die bei einem Rennen hechelnd einem falschen Hasen hinterherrennen. Auf diesem Hasen steht „Fortschritt“ geschrieben und der wird von der DB vor ihnen hergezogen. Sobald sie „Fortschritt“ hören, setzt der gesunde Menschenverstand komplett aus.
Zu diesem „Fortschritt“ hat der Liedermacher Walter Moßmann schon vor 30 Jahren, beim Kampf um das Kernkraftwerk in Wyhl, ein schönes Lied geschrieben, das ich euch in leicht abgewandelter Form hier vortragen will:
Der S21 -Nein-Rag
Beim Frühstück sitzen drei Kapitalisten
und ein Ministerpräsident.
Ein Bahnspezialist und ein hoher Polizist
und ein Typ vom DGB, der pennt.
„Ja ich plan für euch“ sagt der Spezialist
„einen Tiefbahnhof, na klar!
Dass der teuer ist und wahrscheinlich Mist,
vergess ich überm Honorar.“
Der Chef der Polizei erklärt: „Ich kann nicht
das Volk beschützen vor dem Dreck,
doch den Dreck kann ich schützen vor dem Volk, wenns rebelliert,
gebt mir Knüppel und ich schaff es weg!“
„Damit auch alles seine Ordnung hat“,
sagt der Ministerpräsident,
„geb ich euch im Namen des Volkes den Segen,
dafür halt ich mir ein Parlament.“
Dann singen alle sechs im Chor:
„Wir schaffen Arbeitsplätze, oh wie schön!“–
Davon wacht der DGB wieder auf und sagt:
„Dann kann ich ja beruhigt gehen!“
„Leider stinkt's zum Himmel“, sagt der Spezialist,
„an unserem Plan ist einiges faul –
wir brauchen einen Kerl, der ihn parfümiert,
mit einem schönen großen Lügenmaul.“
„Keine Bange“ sagt der Ministerpräsident
„dafür ist die freie Presse da,
wenn die Bahn kaputtsaniert wird,
schreibt sie Fortschritt, Fortschritt ja hurra.“
Dieser Fortschritt schreitet über Leichen fort,
Profitgier bewegt sein Hirn,
sein Maul frisst deine Arbeitskraft,
seine Scheiße sollst du konsumieren.
Beim Frühstück sitzen drei Kapitalisten,
und ein Ministerpräsident.
Ein Bahnspezialist und ein hoher Polizist
und ein Typ vom DGB, der pennt.
Die paar Herren hätten gern das Volk
am Zügel: stumm und als Stimmvieh,
sie verwandeln unseren Kopfbahnhof,
aber wir: verwandeln unseren Zorn in Energie.
Der Tiefbahnhof wird nicht gebaut – Obå bleibå!
Danke für das Gedicht von Eberle. Die Umsetzung des Schwäbischen in Schriftzeichen zeigt einmal mehr, was für eine saumässig schwierige Sprache doch Schwäbisch ist! Aber Verständnisschwierigkeiten gibt es glaube ich nicht. Und es ist die Eigenart des Schwaben, eigentlich, die Probleme irgendwie auf knitze Art zu lösen, wie uns die letzte Zeile bedeuten will: „I geb dr en Rôôt: weil älle Bewerber am gleichå Tromm dsiaget,
nôo wählsch hald en Gottsnååmå de selle, môô d’Balgå sich et so arg biaget“ Auf beiden Seiten, um so zum Frieden zu kommen. Nur diese gute Eigenschaft scheint unter der CDU komplett zugunsten undurchlässiger machtpolitischer Umsetzungen verloren gegangen zu sein und die grün-roten CDU-Platzhalter stehen in guter CDU-Tradition. Man erinnere sich an dieses Video, wo die Grünen Lösch und Sckerl das schwäbisch Knitze á la CDU produzieren http://www.bei-abriss-aufstand.de/2013/02/04/initiative-30-9-ubergabe-der-petition-im-stuttgarter-landtag-31-01-2013/