Prozessbericht: Sachbeschädigung auf Bahnplakat

Prozessbericht vom 1. Oktober 2013, Amtsgericht Stuttgart:  Freie Meinungsäußerung contra Sachbeschädigung
Beobachtet und kommentiert von Petra Brixel

Typische Szene am Bauzaun: Eine S21-Gegnerin, mit ihrem Fahrrad auf dem Weg zum Mahnwachendienst. Sie hat noch Zeit, fährt am Bauzaun an der Schlossgarten-Brache vorbei, sieht ein neues Lügen-Plakat am Zaun hängen. Sie steigt in Höhe Planetarium ab, holt spontan einen schwarzen Eddingstift heraus, schreibt etwas auf das Plakat, genau an der Stelle, wo hohe, alte Bäume auf 2 cm Substrat über dem Betondeckel wachsen. Sie schreibt „Bäume wachsen nicht auf Beton auf das Plakat. Vorbei kommende Passanten loben sie, Proler stoßen dazu, rufen die Polizei. Sie bekommt eine Anzeige wegen Sachbeschädigung; Strafantragsteller ist Wolfgang Dietrich, Vorsitzender der DB-AG.

Der Vorfall geschah an einem Sonntag im September 2012, vor gut einem Jahr.  Am 1. Oktober 2013 steht nun Cornelia M. vor Gericht, sie wird von Richter G. gebeten sich zu Sache zu äußern, nachdem Staatsanwältin N. die Anklage verlesen hat. Darin wurde erklärt, dass die Angeklagte am 2.9.2012 mit einem schwarzen Marker vier Plakate beschrieben habe, wobei ein Schaden von 560 Euro entstanden sei. Diese Sachbeschädigung zu ahnden liege im besonderen öffentlichen Interesse. Deshalb  werden 20 Tagessätze je 30 Euro als Strafmaß angesetzt. Sachbeschädigung ist ein Straftatbestand.
Richter G. bittet M., sich zur Sache zu äußern, unterbricht die Angeklagte jedoch bereits im ersten Satz und gibt ihr auch im Folgenden selten Gelegenheit, zusammenhängend ihre Einlassung vorzutragen. Verständnis- und Sachfragen verhindern, dass sich M. zu ihrer politischen Motivation äußern kann. Auch wenn dies möglicherweise nicht interessiert und keine Relevanz für die Rechtsprechung gehabt hätte, so wäre es angemessen und einem ruhigen Prozessverlauf zuträglich gewesen, ihr die Zeit zu geben, die sie brauchte.
M. erklärt, dass sie nur ein einziges Plakat und nicht vier beschrieben habe. Dies ist das Stichwort, Angeklagte und Staatsanwältin vor den Richtertisch zu bitten, um sich eine Reihe von Fotos anzusehen, auf denen beschmierte DB-Lobpreisungs-Plakate zu sehen sind. Dass nur ein einziges Plakat von M. beschrieben worden sein kann, ist sofort offensichtlich, denn sowohl Richter als auch Staatsanwältin erkennen, dass alle anderen Plakate eine völlig andere Schrift tragen. Wer ist auf die Idee gekommen, M. gleich noch drei weitere Plakatbeschriftungen zu unterstellen?
Nach ihrer Motivation gefragt, sagt M., dass sie – wie von Bahn und Regierung gefordert - in Dialog treten wollte, dass sie mehr Transparenz einfordern und Bürgerengagement wagen wollte. Sie sei empört gewesen angesichts der Dreistigkeit der Aussagen auf den Bahn-Plakaten am Bauzaun. Nach der Volksabstimmung sei sie so deprimiert und pessimistisch gewesen, dass sie sich geradezu aufgefordert gefühlt habe, ihre  Meinung direkt auf das Plakat zu schreiben. Dass die daneben hängenden Rosensteinpark-Plakate dazu beigetragen haben, ihre Beschriftung zu vollziehen - denn immerhin dürfe man ja auf diese Plakate schreiben – trägt sie deutlich vor.
Der Richter nimmt zur Kenntnis, dass M. ein emotionaler Mensch ist und ihre Handlung spontan geschah, herausgefordert durch ein Plakat, das den biologischen Tatsachen widerspricht (meterhohe Bäume wurzeln auf 2 cm Substrat). „Mit meinem gewachsenen politischen Bewusstsein konnte ich dieses unrealistischen Plakat nicht ertragen,“ sagt die Angeklagte.
„Sie sind emotional“, kommentiert der Richter. Und: „Aber ein Plakat ist etwas, was Ihnen nicht gehört.“ Daraufhin M.: „Ich sah darin keine Beschädigung, denn die unrealistische Aussage hat mich dazu getrieben, das nicht unkommentiert zu lassen. Und ich bin ja nicht die Einzige, die Plakate beschriftet.“
Nachdem es immer noch nicht zu einer umfassenden Einlassung über ihre Beweggründe gekommen ist in dieser Frage- und Antwortrunde,  kommt man auf die angefallenen Kosten des Schadens zu sprechen.(Das Plakat wurde nicht zerstört bzw. unbrauchbar, sondern nur durch einen einzigen, später schnell  verblassten Schriftzug verändert.) Die DB-AG in Form des Turmforums hatte für insgesamt 72 Plakate 12 792 Euro ausgegeben, also pro Plakat 177 Euro. Da man nun überzeugt ist, dass M. nur ein einziges Plakat beschriftet hat, kommt es in der Anklage zu einem Strafmaß von 20 Tagessätzen je 30 Euro für die verwerfliche Tat, plus 177 Euro für das Plakat.
Bis zu diesem Moment geht die Prozessführung so flott voran, dass die Zuschauer nicht ganz verstehen können, weshalb plötzlich … eine Einstellung des Verfahrens im Raum steht. Immerhin hat die Verhandlung bis dahin knappe 20 Minuten gedauert und es sollen eine halbe Stunde später noch zwei Zeugen ihre Aussagen machen. Doch Richter G. hatte sich nun ein Bild der Angeklagten gemacht, hatte ihre unkomplizierte Art in Einheit mit ihrer Unkenntnis von Prozessgepflogenheiten wahrgenommen. Will er das Verfahren schnell beenden? Findet er das alles selber ein bisschen übertrieben? Hat er Mitgefühl? Er trägt vor, dass die Angeklagte bislang strafrechtlich nicht aufgefallen sei und fragt unvermittelt: „Täten Sie einer Einstellung zustimmen?“ Ja, wer hätte denn nichts dagegen? Auch die Zuschauer reiben sich verwundert die Augen. Allerdings: Es würde eine Einstellung mit Auflagen sein. Diese Auflage ist dann:  300 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zu überweisen. Und da M. in dieser sich abrupt wandelnden Situation verwirrt ist, stimmt sie zu, den Betrag an die Bewährungshilfe gehen zu lassen.
Das ist der Staatsanwältin nun aber zu schnell, denn sie kann einer Einstellung nur zustimmen unter der Voraussetzung, dass C. die Einsicht zeigt, dass sie eine Sachbeschädigung gemacht hat, die sie nicht hätte tun dürfen.
Richter G. definiert das Problem: „Es geht ich Ihrem Fall um einen Konflikt zwischen Transparenz und Mitbestimmung einerseits und  Sachbeschädigung andererseits.“  Es wird ihr das Recht auf freie Meinungsäußerung zugestanden, aber nicht auf einem Bahn-Plakat.
An dieser Stelle nun hätte Richter G. einen Schnitt machen sollen, denn er und die Zuschauer merken deutlich, dass die Angeklagte angesichts der Wendung des Verfahrens und der neuen Option eine Pause bräuchte, in der sie sich bedenken und beraten kann. 10 Minuten Unterbrechung hätten dem bislang sehr zügigen Verfahren sicher nicht geschadet. Unerfahren in Prozessangelegenheiten aber, fordert  M. nicht von sich aus eine Bedenkpause. So fühlt sie sich quasi dazu gedrängt, den 300 Euro Bußgeld zuzustimmen.
Der Richter fasst zusammen: Die Angeklagte hat sich strafbar gemacht. Sie ist nicht vorbestraft. Sie hat nur ein einziges Plakat beschriftet. Die Schuld ist nicht so hoch, dass man ein Urteil braucht. Das Verfahren wird eingestellt unter Auflagen. Damit ist das Verfahren erledigt. Somit sind auch die 20 Tagessätze je 30 Euro vom Tisch.
Nachdem Angeklagte sowie Staatsanwältin diesem Vorschlag zugestimmt haben, ist das Verfahren beendet.

Was bleibt? Cornelia M. wird nun die Möglichkeit eines Einspruchs überprüfen, denn 300 Euro erscheinen ihr zu viel, zumal es in der Verhandlung nie um ihre persönlichen Verhältnisse ging.
Zurück bleibt auf dem Flur des Amtsgerichts eine Zuschauergemeinde, die heftig diskutiert. Wie konnte es sein, dass die Anklage sich auch auf Plakate bezog, die völlig andere Schriften aufwiesen? Warum musste dieser Prozess in so einem Eiltempo geführt werden, ohne die Chance einer Bedenkpause? Warum hat die Polizei einen blauen Markierungsstift eingezogen, wenn das Plakat aber schwarz beschriftet wurde? Und was geschah mit den beiden Zeugen, die eine halbe Stunde nach Prozessende ratlos vor der Tür zum Gerichtssaal standen?
„Bäume wachsen nicht auf Beton“! Wie wahr! Doch wer will schon die Wahrheit lesen, wo selbst MP Kretschmann sagte, in der Demokratie entscheide nicht die Wahrheit, sondern die Mehrheit. 

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7 Antworten zu Prozessbericht: Sachbeschädigung auf Bahnplakat

  1. Werner Roth sagt:

    Auch dies bestätigt wieder: WIR LEBEN IN EINER BANANENREPUBLIK http://paper.li/bananenrepublik/1313474606 und die JUSTIZ macht was sie will – 1. Schnell ohne Urteil Verfahren beenden! 2. Dabei wird vor Nötigung und Erpressung nicht zurückgeschreckt! 3. Gerechtigkeit bleibt auf der Strecke! 4. „Gericht“ kommt NICHT von GERECHT sondern von (HIN-)RICHTEN! 5. Und dabei wird noch auf EIGENINTERESSEN geachtet: ZAHLUNGEN an FREUNDE? BEKANNTE?

  2. Nina sagt:

    Es wäre gut,wenn Prozessunerfahrene sich doch für Verhandlungen vorab Hilfe holen-(AK-Jura)-ganz speziell hier in Stuttgart.

    Es hat sich deutlich gezeigt, dass der Richter diese Unerfahrenheit ausgenutzt hat.
    Gute Richter tun das nicht.(keine Zeit für Überlegungen geben, ständiges Unterbrechen.)

    Cornelia, wende Dich nach diesem „Urteil“ nochmal an AK-Jura. Es wurde angedeutet,dass die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht überprüft wurden. Da könnte sogar dieses Bußgeld höher sein als die Strafbefehlshöhe, wenn es Tagessatzhöhe von 5 Euro geworden wären plus weniger Tagessätze.
    Natürlich ist eine Einstellung immer besser.
    Ansonsten kann man wieder nur den Kopf schütteln darüber,was hier Cornelia noch „untergeschoben“ werden sollte.

  3. beate würtele sagt:

    wir zahlen die S 21 Werbung mit Personal, spenden für unseren Widerstand, stellen unsere Freizeit für den Protest zur Verfügung und dann wird nach Häusslermanier verurteilt, obwohl die Folie zum Antworten auffordert. Fehler müssen korrigiert werden, denn es laufen auch Kinder und jugendliche am verschandelten, zerstörten Exschloßgarten vorbei.
    In der Sängerstrasse wurde das ganze Wohngebiet in Staub versetzt, das bleibt straffrei.

  4. Thomas A sagt:

    Verglichen mit den Prozessberichten von vor einem Jahr scheint der Versuch das verlorene Augenmaß zu finden einzukehren. Leider wurde nicht goutiert, daß das Plakat inhaltlich deutlich verbessert, also aufgewertet wurde. So wie wir seit Jahren das Projekt S21 für die db, das Land und die Stadt unentgeltlich reparieren.
    Auch als Nichtbotaniker ist mir klar, daß es keine Betonflachwurzler gibt bei einheimischen Bäumen. Gibt es vielleicht schon Bananenstauden die auf Beton wachsen ?

  5. Rosana sagt:

    Dass es den Herrenknechten nichts ausmacht, sich immer wieder so jämmerlich zu blamieren – oder sind sie so doof, und merken es vielleicht gar nicht?!

  6. Chefschwabe sagt:

    Mit welchem Recht werden denn fremde Plakate neu beschriftet???
    Ach ja, weil ich gegen den Bahnhof bin darf ich ALLES!!!
    Stimmt, dass sind ja die demokratischen Regeln…..

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