Rede von Matthias von Herrmann, Parkschützer, auf der 192. Montagsdemo am 7.10.2013
Der politische Preis für Stuttgart 21
Wir sagen immer wieder folgendes: Die Bewegung gegen S21 muss dafür sorgen, dass die S21-Betreiber den politischen Preis für ihr Festhalten am Tunnelwahnsinn bezahlen müssen und dass dieser politische Preis hoch sein muss. Doch was ist der politische Preis überhaupt?
Grundsätzlich strebt jede Partei nach der Regierungsmacht. Das ist nicht verwerflich, sondern ganz natürlich in unserem politischen System, wo Mehrheiten entscheiden. Auch wir S21-Gegner hätten gerne in den Parlamenten die Mehrheit und damit die Macht, S21 zu stoppen.
Diese politische Macht zu verlieren oder bei einer Wahl nicht mehr gewählt zu werden, ist das, was Parteien und Politiker am meisten fürchten. Daher starren sie auch immer auf Meinungsumfragen und Sonntagsfragen. Die Angst der Politiker und der Parteistrategen, nicht mehr gewählt zu werden, steigert sich vor einer anstehenden Wahl ganz besonders. Und diese Angst ist für Politiker und Parteistrategen der Antrieb und die Motivation zu handeln – und zwar so, dass es dem Wähler vermeintlich gefällt, so, dass man in der Öffentlichkeit gut dasteht.
Manchmal geht es sehr schnell, die Gunst des Wählers zu verlieren. Das haben u.a. die Grünen in letzter Zeit erfahren – nach einer unglaublichen Wahlerfolgsserie hier im Süd-Westen: 2009 größte Fraktion im Gemeinderat, 2011 die Landtagswahl und 2012 die Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart. Jetzt bei der Bundestagswahl ging es erstmals gründlich bergab. Daher wollen wir hier und heute unseren Beitrag leisten, um ein weiteres Grünen-Debakel bei den im Mai 2014 anstehenden Gemeinderats- und Regionalwahlen zu vermeiden: Denn ganz offensichtlich müssen wir manchen Grünen-Politikern noch einmal sagen, was grüne, aber auch was soziale oder sozialdemokratische Politik mit Blick auf S21 bedeutet. Und das wollen wir gerne tun.
Gut und ermutigend ist aber immerhin, dass dies nicht für alle Grünen Abgeordneten und Amtsträger gilt: Manche der Grünen-Politiker wissen durchaus, was ihre Wähler in Bezug auf Stuttgart 21 erwarten. Es gibt in allen Parlamenten und Institutionen nicht nur grüne Zauderer und Bedenkenträger. Es gibt auch mutige Politiker, die weiterhin gegen S21 sind, die weiterhin in ihrer Fraktion den Mund aufmachen, die hier bei der Montagsdemo Stellung beziehen gegen den Tunnelwahnsinn.
Nun stellt sich die Frage: Wie geht es weiter nach der Bundestagswahl? Wie kommt jetzt der politische Preis ins Spiel? Die alte Fußballer-Regel, etwas abgewandelt, lautet: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Ich habe es gerade schon einmal angesprochen, am 25. Mai 2014 ist gleichzeitig Europawahl, Regionalwahl und Gemeinderatswahl in Stuttgart.
Konzentrieren wir uns auf die Gemeinderatswahl: Hier im Stuttgarter Gemeinderat stellen die Grünen die größte und damit wichtigste Fraktion, sie stellen sogar mehr Abgeordnete als die CDU. Außerdem stellen die Grünen den Oberbürgermeister, er ist Chef der Verwaltung. Wenn die Grünen bei der Gemeinderatswahl einen ähnlichen Absturz wie jetzt bei der Bundestagswahl vermeiden wollen, dann müssen sie die politische Macht nutzen, die sie in Händen halten. Also stellt sich die Frage: Was können und was sollen die Grünen mit so viel politischer Macht gegen Stuttgart 21 tun?
Dazu haben wir sieben Vorschläge, die ich Ihnen und den Grünen Gemeinderäten und Parteistrategen hier vorstellen will. Kopieren und nachmachen ist nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht!
1. Rosensteinpark schützen: Der Schlossgarten wurde umsonst zerstört – das darf sich im Rosensteinpark nicht wiederholen! Die Bahn darf keinen weiteren Baum fällen, solange sie weder den Brandschutz, noch die Gesamtfinanzierung geklärt hat. Das können und müssen die Grünen jetzt durchsetzen!
- Die Grünen auf Stadt- und Landesebene müssen dazu die Ausnahmeregelung im Planfeststellungsbeschluss 1.5 auf Seite 346 („Befreiung vom Naturschutz Rosensteinpark“) anfechten. Dort heißt es: „Gegenüber dieser überragenden Verkehrsbedeutung [von S21] haben die Schutzinteressen, die mit dem Landschaftsschutzgebiet verfolgt werden, zurückzutreten.“. Die Leistungslüge wurde von Dr. Christoph Engelhardt ausführlich bewiesen, sie ist sowohl dem OB wie auch der Landesregierung hinlänglich bekannt. Es besteht also keine „überragenden Verkehrsbedeutung“, der Schutz des Rosensteinparks muss weiterhin oberste Priorität haben.
- OB Kuhn und MP Kretschmann können als zwei von fünf Projektpartner den Lenkungskreis einberufen, um die Finanzierung und den Brandschutz zu klären. Dies muss die Vorbedingung sein für alle weiteren Zugeständnisse wie z.B. Rodungen im Rosensteinpark.
- Land und Stadt dürfen der Bahn keine weiteren Maßnahmen auf öffentlichem Grund – wie z.B. das Fällen von Bäumen – erlauben, solange nicht alle offenen Fragen zufriedenstellend geklärt sind.
2. Brandschutz ernst nehmen: OB Kuhn und der Gemeinderat müssen die erneuten Bedenken der städtischen Branddirektion ernst nehmen und einen Totalstopp von S21 verfügen, bis der Brandschutz geklärt ist. Dazu müssen OB Kuhn und die Landesregierung den Lenkungskreis einberufen.
3. Siebte Planänderung zum Grundwasser: Stadt und Land müssen darauf bestehen, dass die Bahn ein geotechnisches Gutachten für das Kernerviertel erstellen lässt. Die massiven Kritikpunkte der Stadt an der 7. Planänderung müssen weiterhin thematisiert und beachtet werden.
4. Stadt und Land dürfen kein weiteres Geld an die Bahn zahlen, solange weder die Gesamtfinanzierung noch der Brandschutz gelöst sind. Dies gilt besonders im Hinblick auf die Haushaltsberatungen 2014, die gerade im Gemeinderat laufen.
5. Stadt und Land müssen eine Feststellungsklage zu den Mehrkosten und zur Mischfinanzierung einreichen, um endlich juristische Klarheit zu schaffen, was die eventuelle Zahlungspflicht von Stadt und Land angeht. Bis vor drei Jahren vertraten die Grünen, allen voran Winfried Kretschmann, die Auffassung, dass die Mischfinanzierung verfassungswidrig sei. Dann dürfen die Grünen es jetzt nicht einfach weiter laufen lassen. Außerdem ist es völlig ungeklärt, wer die Mehrkosten zahlen soll, die jetzt im Raum stehen. Das permanente Mantra „Mir gäbet nix“ hat keinen juristischen Wert und vor Gericht wenig Bestand, diese Worthülse ohne Konsequenzen ist unglaubwürdig. Nur eine bei Gericht eingereichte Feststellungsklage ist glaubwürdig.
6. Bürgerentscheid unterstützen und nicht, wie OB Kuhn zuletzt, die Entscheidung über das Bürgerbegehren von 2011 weiter verzögern.
7. Die Stadt muss die Hausbesitzer aufklären über die nachteiligen Unterfahrungsverträge, welche die Bahn den Hausbesitzern unterjubeln will. Die Juristen zu S21 haben hierbei gute Vorarbeit geleistet, darauf kann die Stadt zurückgreifen, das kann Stadt nutzen.
Hintergrund: Die Bahn braucht das Unterfahrungsrecht unter einem Haus, um darunter einen Tunnel graben zu dürfen. Doch die Bahn kommt mit unzumutbaren Verträgen daher. Sie versucht, die Baurisiken auf arglose Eigentümer abzuwälzen, sie bietet völlig inadäquate Entschädigungszahlungen an. Gleichzeitig will die Bahn keinerlei Risiken übernehmen. Die Bahn nutzt es also aus, dass die meisten Eigentümer juristisch unerfahren sind. Dabei hofft sie, dass die Eigentümer ihre Verfügungsgewalt über ihre Grundstücke für‘n Appel und ‘n Ei aufgeben.
Die Eigentümernetzwerke versuchen, die betroffenen Eigentümer zu informieren und zu unterstützen. Es wäre aber Sache der grün regierten Stadtverwaltung, hier ihre Bürger zu schützen und zu informieren. Dazu muss die Stadt von der Bahn die Beweislastumkehr und die vollständige Haftung der Bahn einfordern. Es darf zu keiner Risikoübernahme der Hausbesitzer kommen.
In den nächsten sieben Monaten werden wir zusammen mit Ihnen immer wieder bei den Grünen im Gemeinderat nachfragen, ob die Hausaufgaben erledigt wurden. Denn vor der Gemeinderatswahl braucht niemand Wahlversprechen, sondern Taten, an denen wir die Politiker messen können.
Grüne Gemeinderäte, handelt gegen Stuttgart 21, handelt zum Schutz der S-Bahn-Fahrer, zum Schutz der Alten und Behinderten, zum Schutz der Leuze-Schwimmer, zum Schutz der Hausbesitzer, zum Schutz aller Stuttgarter Bürger. Handelt!
Ob die Grünen oben bleiben, lieg in ihrer eigenen Hand. Wir S21-Gegner bleiben oben!
endlich mal wieder eine realistische Sicht: zu glauben, dass eine Bundestagswahl oder Europawahl nach dem Kriterium S21/K21 entschieden wird, war ebenso naiv wie vermessen; also Konzentration auf Gemeinderat in Stuttgart ist eine richtige Strategie