Rede von Klaus Tochtermann, AK Tribunal, auf der 189. Montagsdemo am 16.9.2013
Liebe Freundinnen und Freunde des Rechtsstaates,
der 30. September 2010, der Schwarze Donnerstag, ist noch immer nicht aufgearbeitet. Wie gewohnt drücken sich die abgewählten Parteien um ehrliche Antworten. Viel schlimmer aber ist, wie die heute Regierenden sich feige hinter koalitionspolitischen, parteilichen Ängsten verstecken – und schweigen.
Unnachgiebig aber bearbeitet die Politische Abteilung der Staatsanwaltschaft die Fälle, die S21-Gegner betreffen.
Heute möchten wir Euch vom Fall ‚Werner‘, dem Fußtritt-Fall berichten.
Werner war am 30.9.2010 im Mittleren Schlossgarten. Er kam mehr als Beobachter, nicht als Demonstrant. Nahe am Park-Café sah er, wie die schwarz vermummte Polizei Demonstranten abdrängte, um den Weg für die Gittertransporter frei zu machen.
Werner sah, wie ein reglos am Boden liegender Demonstrant von einem Polizisten mit einem Fußtritt gegen die Beine traktiert wird. Zur Rede gestellt, verweigert der Polizist seine Personalien. Schwarz vermummt ist er nicht zu erkennen.
Werner gibt am 3. Oktober 2010 seine Beobachtungen als ‚Zeugenwahrnehmung‘ an die Staatsanwaltschaft Stuttgart weiter, zu Händen von Oberstaatsanwalt Häußler.
Am 22. Oktober 2010 wird er zu einer Zeugenvernehmung ins Polizeipräsidium geladen. In einer polizeilichen Videosequenz wird ihm gezeigt, wie er einem vermummten Polizisten Vorhaltungen macht.
Die Sache ruht nun bis 2012. Nach mehrfachen Mahnungen erhält Werner nach 25 Monaten, am 18. November 2012 von der Staatsanwaltschaft die Einstellungsverfügung zu seinen Beobachtungen.
Zur Begründung wird behauptet, dass die Polizei sich gegen massiven Widerstand des Demonstranten wehren musste. ‚Unmittelbarer Zwang‘ sei daher gerechtfertigt gewesen. Trotz der Warnung, Pfefferspray einzusetzen, hätte der Widerstand des Demonstranten nicht nachgelassen und plötzlich sei dieser zu Boden getaumelt.
Der beschuldigte Polizist erinnert sich nicht, mit Pfefferspray gesprüht zu haben. Allerdings bestätigt die Staatsanwaltschaft, dass die Videosequenzen zeigen, wie der Demonstrant nach dem Pfeffersprayeinsatz eines Polizisten rücklings zu Boden geht und liegen bleibt. Dies zeigt uns die Brutalität des Polizeieinsatzes.
Der Polizist hält es allerdings für möglich, dass der Demonstrant nur simuliert haben könnte. Der inkriminierte Fußtritt ist auf den Videosequenzen nicht zu erkennen, weil die Sicht durch Personen verdeckt ist.
Der beschuldigte Polizist erklärt, den Demonstranten nicht getreten zu haben. Auf 6 ellenlangen Seiten rechtfertigt nun die Staatsanwaltschaft den Einsatz von Pfefferspray und befasst sich nicht etwa mit dem beobachteten Fußtritt.
- So diente der Pfeffersprayschuss demnach dazu, eine Zeitverzögerung beim Aufbau der Sperrgitter zu verhindern.
- So sei eine vorübergehende Gesundheitsbeeinträchtigung darum hinnehmbar gewesen.
- So hätte Wegtragen wiederum zu viel Zeit gekostet.
- So seien ein etwaiger Schlagstockeinsatz oder eine Festnahme wesentlich härtere Mittel gewesen.
Der gar nicht zur Frage stehende Pfeffersprayeinsatz wird ausführlich gerechtfertigt. Der von Werner beobachtete und bezeugte Fußtritt wird jedoch nicht berücksichtigt, weil er in der Videosequenz nicht zu erkennen ist. Außer Werner gibt es keine Zeugen. Objektiv konnte der Fußtritt nicht nachgewiesen werden. Mit anderen Worten, die Aussage des Zeugen Werner wird für nicht glaubwürdig gehalten. So lässt sich ein Ermittlungsverfahren einstellen. Eine Beschwerde gegen die Einstellung wird vom Generalstaatsanwalt verworfen.
Liebe Freundinnen und Freunde des Rechtsstaates, wieder sehen wir, wie durch Lavieren mit Gesetzen und Vorschriften Recht zu Unrecht gewandelt wird und wie Gerechtigkeit zu Ungerechtigkeit werden kann. Durch entsprechende Kennzeichnungspflichten hätten die Ermittlungen auf die rechtlich richtigen Wege geleitet werden können.
Durch richtig eingehaltene Einsatzvorschriften wäre das ganze Desaster des 30. September 2010, des Schwarzen Donnerstags, zu verhindern gewesen.
Wir fordern darum von Justizminister Stickelberger und auch von Innenminister Gall, die Kennzeichnungspflicht für ALLE Polizisten sofort und bei jedem Einsatz vorzuschreiben.
Wir fordern darum von Innenminister Gall, den unsinnigen Rahmenbefehl sofort aufzuheben.
Hat denn der „getretene“ sich gemeldet oder Anzeige erstattet? Falls nicht, kann es wohl vom betroffenen als nicht so schlimm wahrgenommen worden sein.