Rede von Dipl.-Ing. Hans Heydemann, Ingenieure22, bei der 70. Montagsdemo gegen Fluglärm in Frankfurt a.M.
Liebe Frankfurter Freunde und vom Frankfurter Großflughafen Betroffene!
Was hat Stuttgart 21 mit Frankfurt zu tun?
Stuttgart21 ist das Vorhaben der Deutschen Bahn, den bewährten und leistungsfähigen Stuttgarter Kopfbahnhof mit seinen 17 Gleisen durch einen unterirdischen Durchgangs-Bahnhof mit nur noch 8 Gleisen und vielerlei Mängeln, aber ohne genehmigungsfähigen Brandschutz zu ersetzen. Hierfür müssen 62 km Zulauftunnel durch geologisch heiklen Untergrund gebohrt, die Stuttgarter Mineralquellen gefährdet, Teile der Stuttgarter Innenstadt zerstört und dafür 6,8 Mia. € öffentliche Gelder verschwendet werden! Es könnten auch 11 Mia. € werden - unverschämt viel Geld für einen lausigen unterirdischen Bahnhof!
Wegen vorhandener S-und U-Bahntunnel kann dieser nur als Schiefbahnhof mit 15 ‰ Gefälle gebaut werden, 6mal mehr als nach EBO zulässig! Das südliche Bahnsteigende wird 6,60 m tiefer liegen als das nördliche. Ein Kinderwagen oder ein Rollstuhl können auf dem abschüssigen Bahnsteig ungewollt wegrollen und zu einem tragischen Unfall führen.
Ein am Bahnsteig haltender Zug kann aufgrund menschlichen oder technischen Versagens unvermittelt wegrollen und dabei Personen verletzen, wie dies im Kölner HBF mit 7,88 ‰ Gleisneigung immer wieder vorkommt. Bei Stuttgart-21 mit einer doppelt so großen Neigung schließt die Bahn das aber aus – mit Warnschildern zur überhöhten Gleisneigung!
Von den Befürwortern wird Stuttgart21 als großer Fortschritt gepriesen:
Der Durchgangs-Tiefbahnhof S-21 werde ein Nadelöhr im Eisenbahnnetz beseitigen, die Lücke in der transeuropäischen Magistrale Paris-Bratislava schließen und gar die Leistung des Stuttgarter Bahnhofes verdoppeln. Mit diesen unhaltbaren Angaben wurde ein EU-Zuschuß von 114 Mio. € für das S-21-Vorhaben zu Unrecht erschlichen.
Doch das Bundesgericht wollte unsere Klage hiergegen gar nicht erst annehmen!
Beim Stuttgarter Bahnhof gibt es aber gar kein Nadelöhr; vielmehr würde mit dem geplanten 8-gleisigen Tiefbahnhof S-21 ein solches erst geschaffen!
Von „doppelter Leistung“ ist schon lange keine Rede mehr, würde dies doch bedeuten, daß in der Spitzenstunde 76 Züge abgefertigt werden müßten – auf nur 8 Gleisen!
Im 17-gleisigen Stuttgarter Kopfbahnhof können aber nicht nur die derzeit fahrplanmäßigen 38 Züge in der Stunde abgefertigt werden, sondern bis zu 50, und dies bei guter Betriebsqualität; mit signaltechnischen Verbesserungen sogar 56 Züge.
Doch selbst die von der Bahn mit dem Streßtest vor zwei Jahren angeblich nachgewiesene 30%ige Leistungssteigerung des Tiefbahnhofes auf 49 Züge in der Stunde bliebe unter der Leistungsfähigkeit von 50 Zügen im bisherigen Kopfbahnhof; der Streßtest selber hat sich als größter technisch-wissenschaftlicher Betrug herausgestellt, wie von Dr. Christoph Engelhard nachgewiesen. Tatsächlich ist der Tiefbahnhof nur für 30 Züge je Stunde geplant; die oberste Grenze liegt bei 33 Zügen in der Stunde! S-21 stellt einen unzulässigen, nicht genehmigungsfähigen Rückbau von Eisenbahn-Verkehrsanlagen dar.
Mit dem neuen Tiefbahnhof werde der Wirtschaftsstandort Stuttgart nachhaltig gestärkt, hieß es, 20.000 Arbeitsplätze würden durch S-21 neu entstehen und zusätzliche Steuereinnahmen bringen. Wie das geschehen soll, wurde nicht erklärt!
Und schließlich sei Stuttgart21 ja auch ein herausragendes Umweltschutz-Projekt!
Der vormalige Stuttgarter OB Schuster hatte allen Ernstes erklärt, der künftige Tiefbahnhof werde ein Null-Energie-Projekt sein, welches weder Heizung noch Klimatisierung erfordere – als ob der bestehende Kopfbahnhof je beheizt oder klimatisiert würde! Hingegen keine Rede davon, daß allein die ständig erforderliche Beleuchtung des Tunnelbahnhofes sowie der Betrieb der 32 Rolltreppen und der 12 Aufzüge 2 ½ mal soviel elektrische Energie verbrauchen werden wie der bestehende Kopfbahnhof! Auch kein Wort davon, daß alle Züge beim Herausfahren aus dem Tiefbahnhof gegenüber dem oberirdischen Kopfbahnhof 17 m Höhenunterschied zusätzlich überwinden müssen, was bei über 600 Zügen tagtäglich einen beachtlichen Energie-Mehrverbrauch ergibt. Dazu kommt ein zusätzlicher Energieverbrauch der Züge durch den erhöhten Luftwiderstand im Tunnel.
S-21 würde jährlich 385 Mio. Kilometer Autofahrten überflüssig machen; so eine Studie mit fragwürdigen Annahmen über Umsteiger auf die Bahn. Warum gerade bei S-21 so viele vom Auto auf die Bahn wechseln sollten, nicht aber bei einem modernisierten Kopfbahnhof, bleibt ein Rätsel.
Die Zerstörung des Schloßgartens, bisher grüne Lunge der Stuttgarter Innenstadt, wird damit abgetan, als Ersatz für die abgesägten 286 großen, alten Bäume würden doch 5.000 neue Bäume gepflanzt! Daß dies irgendwann auf Ausgleichsflächen 20 km außerhalb von Stuttgart erfolgen soll, wird jedoch nicht dazu gesagt, auch nicht, daß diese Bäumchen erst in hundert Jahren eine vergleichbare biologische Wirkung entfalten wie die gefällten Großbäume.
Eigentlich ist S-21 gar kein Bahnprojekt. Der damalige Bahnvorstand Ludewig hatte 1999 verkündet: „ Stuttgart 21 bauen wir nicht, das rechnet sich nicht!“, wenige Wochen später war er abgelöst! Ein Schelm, wer hier Böses denkt. Es kam der Herr Mehdorn als Nichteisenbahner, der bekanntlich die Bahn an die Börse bringen sollte und nun für S-21 „Vorkasse“ einforderte – und auch erhielt, indem ihm bereits 2001 der damalige Stuttgarter OB Schuster schon mal voreilig die Gleisflächen für 459 Mio. € abkaufte, diese der Bahn aber weiterhin zur unentgeltlichen Nutzung überließ.
Weil der hoch verschuldeten Stadt Stuttgart das Geld dafür fehlte, verkuppelte sie kurzerhand die Trinkwasserversorgung und das Abwassernetz samt Klärwerk an einen US-amerikanischen Investor und leaste diese in einem zweifelhaften Cross-Border-Leasing-Geheimvertrag zurück.
Nun werden die Stuttgarter die Zerstörung ihrer Innenstadt und die Verwüstung des Schloßgartens sowie die Gefährdung der Mineralquellen durch das S-21-Vorhaben alleine ausbaden müssen, da sind Frankfurter und andere außen vor.
Doch an den Milliarden Baukosten werden auch die Frankfurter wie alle Bundesbürger beteiligt – über höhere Steuern, verringerte staatliche Leistungen und laufend erhöhte Fahrpreise. Irgendwie muß das Geld ja zusammenkommen! Sicher ist hingegen, daß diejenigen, die uns das eingebrockt haben, dafür nicht aufkommen werden – und auch nie jemals zur Rechenschaft gezogen werden! Das werden unsere Kinder und Enkelkinder tragen müssen.
Das Land Baden-Württemberg will jetzt 11.600 Lehrerstellen streichen – die so eingesparte Summe im Landeshaushalt entspricht in etwa dem Finanzierungsanteil des Landes am Vorhaben S-21 von rd. 900 Mio. €! Die versprochene Verbesserung der Bildung wird für das sinnlose Prestige-Vorhaben S-21 geopfert.
Auch die Bahn spart: Um die für S-21 und andere Investitionsabenteuer benötigte Finanzierung aufbringen zu können und die Bilanzen für den geplanten Börsengang aufzuhübschen, sparte Mehdorn an den Instandhaltungs- und den Personalkosten – die Auswirkungen kriegen wir alle zu spüren! Wochenlang war der Zugverkehr zwischen Frankfurt, Mainz und Wiesbaden nachhaltig gestört, der Mainzer HBF zeitweise ganz vom Zugverkehr abgehängt, weil dort Fahrdienstleiter im Stellwerk fehlen. Das ist indessen nicht auf Mainz und auch nicht auf Fahrdienstleiter beschränkt –überall bei der Bahn herrscht Personalmangel; Mainzer Verhältnisse können jederzeit an jedem anderen Bahnhof auftreten.
Kaputtgespart hat die Bahn auch die Instandhaltung. Die früher übliche regelmäßige Wartung und Instandsetzung wurde unter Mehdorn eingestellt; erst bei aufgetretenen Schäden wird repariert, die Bahn fährt nur noch auf Verschleiß. Das sparte zunächst Personalkosten und verbesserte so Mehdorn´s Bilanz. Doch die Folgen zeigten sich bald, zunächst bei der Berliner S-Bahn, die zeitweilig nur noch einen Notbetrieb fahren konnte und bis heute nicht wieder den vollen Betrieb erreicht hat.
Kaum noch ein Zug fährt heute ohne gestörte Türen, ausgefallene Klima-Anlagen oder nicht funktionierende Toiletten. Entlassenes Fachpersonal ist eben nicht ohne weiteres zu ersetzen.
Über zwanzig Jahre hin hat die Bahn Stations- und Trassengebühren für die Instandhaltung des Stuttgarter Hauptbahnhofs vom Land kassiert, insgesamt 1,5 Milliarden € –diesen aber verlottern lassen! Man wollte ja einen neuen Bahnhof bauen – für weiteres Geld, versteht sich. Heute nach den zerstörenden Eingriffen für das S-21-Vorhaben ist der Stuttgarter Bahnhof nur noch eine traurige Ruine, bewältigt aber dennoch den fahrplanmäßigen Verkehr, wenn auch nicht mehr mit gleicher Pünktlichkeit und Qualität wie früher, als noch alle 17 Gleise uneingeschränkt zur Verfügung standen.
Wie stümperhaft die Bahn vorgeht, zeigte sich schon beim Abbruch der Flügelbauten, als das Bahnsteigdach vom Einsturz bedroht war und zusätzliche Abstützmaßnahmen erforderlich wurden. Und die Verkürzung des Gleisvorfeldes für S-21 hatte wegen zu enger Kurvenradien 6 Zugentgleisungen z.T. mit Personenschäden zur Folge; Gleis 10 war monatelang gesperrt.
Auch den ehrwürdigen Frankfurter Hauptbahnhof wollte man mal als F-21 in einen Tiefbahnhof umbauen, ebenso Leipzig und München, alle großen Kopfbahnhöfe Deutschlands sollten vor zwanzig Jahren als sogen. 21er-Projekte unter die Erde, um Platz zu machen für gigantische Immobilien-Projekte, denn das war deren eigentlicher Zweck!
Doch der damalige hessische Finanzminister nahm der Bahn die angegebenen 3 Mia. € Baukosten nicht ab; damit hatte sich F-21 erledigt. Ähnlich ging es mit München21 und Leipzig21.
Nur Stuttgart 21 wird noch weiterverfolgt – auf Druck der hiesigen Politikspitze aus CDU, SPD und FDP! Ein Abbruch des Vorhabens ist immer noch möglich: die eigentlichen Baumaßnahmen haben noch gar nicht begonnen; bisher wurde nur abgerissen.
So unterschiedlich die Dinge beim Frankfurter Großflughafen und bei Stuttgart21 auch sind, eines haben sie gemeinsam: sie dienen nicht dem Wohle der betroffenen Bevölkerung, sondern allein großen Wirtschaftsunternehmen. Dafür werden wir von der Politik belogen!
Dagegen laßt uns gemeinsam weiterkämpfen!