Rede von Dr. Winfried Wolf, Verkehrswissenschaftler aus Berlin, auf der 181. Montagsdemo am 22.7.2013
Über die Sickerwirkung der Wahrheit – oder: warum Stuttgart 21 nicht gebaut werden wird!
Liebe Freundinnen, liebe Freunde,
einige der Veranstalter, darunter Tom Adler, schlugen mir vor, ich solle eine „Mutmacher-Rede“ halten. So etwas ist sicher angesagt; wir befinden uns tatsächlich in einer schwierigen Phase unseres Kampfes gegen Stuttgart 21. Doch auch in dieser kritischen Situation brauche ich – und brauchen viele von uns hier vor dem Bonatz-Bau – diesen „Mut“ nicht.
Ich bin fest davon überzeigt: Stuttgart 21 wird nicht zu Ende gebaut werden. Auch im Jahr 2020 und im Jahr 2025 werden die Eisenbahn-Züge in diesem Kopfbahnhof ankommen, ihre Reise fortsetzen oder auch ihre Fahrt hier und damit oberirdisch beginnen.
Dabei trage ich keine rosarote Brille, das ist kein Zweckoptimismus. Es sind derzeit drei Gründe und drei Komplexe, weswegen ich diese feste Überzeugung habe, dass S21 scheitern wird.
Der erste Komplex ist der Bauprozess und der Baustress. Der zweite Komplex betrifft die Euro-Krise und die absehbare Pleite von weiteren Baukonzernen. Der dritte Komplex betrifft die Wahrheit, genauer gesagt die Sickerwirkung der Wahrheit und dies konkretisiert am Beispiel der Kapazitäts-Lüge.
Bauprozess, Baustress und Kostenexplosion – zum ersten Komplex.
Einer unserer zentralen Kritikpunkte lautete immer: „Stuttgart 21 ist mit Dutzenden, wohl mit hundert und mehr Risiken verbunden. Dieses Projekt ist bereits rein technisch und ingenieurmäßig nicht beherrschbar.“
Auf diesem Gebiet haben wir in den letzten Jahren ja viele absurde Dinge erlebt. Um nur einen Aspekt hervorzuheben: Dass das nach deutschem und EU-Recht „eigentlich“ nicht zulässige Gefälle im S21-Tiefbahnhof erst in der Schlichtung für ein breiteres Publikum bekannt wurde, ist im Wortsinne unterirdisch. Und es ist im Übrigen sogar die Landesregierung, die ein solches Gefälle bereits einmal explizit als „eigentlich nicht zulässig“ bezeichnete.
Das wurde in den letzten Tagen nochmals verdeutlicht. Der eigentliche Bau von Stuttgart 21 hat ja noch gar nicht wirklich begonnen, und da haben wir die folgende Situation:
- Das Projekt ist auch heute – 17 Jahre nach der ersten Machbarkeitsstudie und sechs Jahre nach der Planfeststellung – noch nicht durchgehend planfestgestellt. Bei strategisch entscheidenden Streckenabschnitten des Projekts weiß der Bauherr, die Deutsche Bahn AG, schlicht und einfach nicht, „wie das bloß gehen soll“. So im Fall des Flughafen-Bahnhofs auf den Fildern.
- Es gab in jüngerer Zeit exakt ein halbes Dutzend Zugentgleisungen im Gleisvorfeld des Stuttgarter Kopfbahnhofs, die allesamt auf Vorarbeiten für S21, auf die beginnende Zurücknahme der Kopfbahnhofsgleise zurückzuführen sind.
- Am vergangenen Dienstag gab es – so die ‚Stuttgarter Zeitung‘ in der heutigen Ausgabe – die „peinliche Blamage“ im Fall der Anhörung zum Grundwassermanagement. Auch die Bahn musste eingestehen, dass der Sitzungsleiter Partei ist, dass es sich hier schlicht um einen „Proler“ handelt. Der Termin platzte. Dabei geht es um die Kleinigkeit, dass die Deutsche Bahn AG inzwischen davon ausgeht, dass beim Bau von S21 rund die doppelte Menge Grundwasser der bislang genehmigten abgepumpt werden muss.
- Und dann vorgestern das neue S-Bahn-Desaster. Das ist zwar nur ein Aspekt der S-Bahn-Misere, der direkt und indirekt mit S21 zu tun hat. Doch das, was an diesem Tag passierte und die Art und Weise, wie dies von der Presse kommentiert wurde, waren dann doch bezeichnend. Die heutige ‚Stuttgarter Zeitung‘ (Ausgabe vom 22. Juli 2013; W.W.) schreibt: Mit dem neuerlichen stundenlangen S-Bahn-Ausfall werde „die Frage aufgeworfen, wie solche Störungen bewältigt werden können, wenn wegen Stuttgart 21 künftig die Gäubahn nicht mehr als Umfahrung zur Verfügung steht und auch keine S-Bahnen mehr alternativ oberirdisch im Hauptbahnhof halten können.“
Die Antwort auf die – wohl eher rhetorische – Frage der ‚Stuttgarter Zeitung‘ lautet: Mit S21 wird es regelmäßig zu einem S-Bahn-Chaos kommen. Dann gilt immer öfter: „Rien ne va plus – Nichts geht mehr.“
Und im Rahmen dieses fortgesetzten Baustresses ist auch eines so sicher wie das Amen in der Kirche: Die Kosten für das gesamte Projekt Stuttgart 21 werden weiter explodieren und sich bald der 10-Milliarden-Euro-Marke annähern.
Bald weitere Pleite von Bauunternehmen? Wann ist Hochtief an der Reihe?
Kommen wir zum zweiten Komplex, zur Euro-Krise und zum absehbaren Kollaps weiterer Baukonzerne: Mitte Juni gab es die Pleite des österreichischen Baukonzerns Alpine. Es handelt sich dabei immerhin um ein wichtiges Bauunternehmen, das Teil des Konsortiums zum Bau der S21-Tunnelbauten ist. Die Alpine-Pleite wurde hier in Stuttgart kaum registriert. Klar, die Bahn und die anderen Projektbetreiber wiegelten ab: „Ein kleiner Fisch; keine Relevanz für S21.“ Das ist auch ohne die Hintergründe, auf die ich zu sprechen komme, Unsinn. Die Alpine-Pleite ist Ausdruck eines weiteren Knirschens im gesamten S21-Bauprozess. Es handelte sich immerhin um den zweitgrößten öster-reichischen Baukonzern. Dabei gibt es als Hintergrund spannende Konstellationen dieser Baukonzerns-Pleite, die für die Zukunft von Stuttgart 21 wichtig sind.
Alpine war ein unabhängiger österreichischer Baukonzern – bis 2006. In diesem Jahr, kurz vor der Finanzkrise und wenige Monate vor dem Aufbrechen der gigantischen spanischen Immobilien-Blase, übernahm der spanische Baukonzern FCC das österreichische Bauunternehmen. In einer neuen Ausgabe der österreichischen Wochenzeitschrift „Profil“ wurden spannende interne Alpine-FCC-Dokumente veröffentlicht. Danach trieb die neue spanische Mutter ab Ausbruch der Finanzkrise die neue Tochter in einen extremen Kurs mit dem „Geschäftsmodell“ weltweite Expansion und systematisches Dumping. Warum agierte die Alpine-Mutter so? Erstens als Resultat der internationalen Finanzkrise, bei der – schlicht um zu überleben – jeder danach trachten muss, den anderen durch eine nochmals aggressivere Politik auszustechen. Und zweitens als Antwort auf die spanische Immobilienkrise. In Spanien stehen seit 2009 – und auch heute noch – mehr als eine Million neu gebaute Häuser und Appartements leer. Naturgemäß gibt es aktuell kaum noch Neubauten. Die Politik der Troika tut ein übriges. Inzwischen werden auch fest vereinbarte Beton-Großprojekte gestoppt. Dies setzt alle spanischen Baukonzerne unter einen enormen Druck. Diese bewegen sich am Rande des Zusammenbruchs.
Die Behauptung, Alpine sei da ein kleines Licht und für S21 nicht relevant gewesen, ist da bereits äußerst fragwürdig. Vor allem fragen wir: Und was ist mit dem Baukonzern Hochtief? Gibt es nicht deutliche Parallelen zwischen FCC-Alpine und ACC-Hochtief? Immerhin steckt Hochtief ganz dick im S21-Geschäft. Schließlich wurde Hochtief Mitte 2011 vom spanischen Baukonzern ACC übernommen.
Im Februar 2013 – also vier Monate vor der Alpine-Pleite – fand sich in der ‚Wirtschaftswoche‘ ein spannender Artikel zum Verhältnis ACC/Hochtief. Auf mehreren Seiten wurde die Frage abgehandelt, wie ACC „Hochtief ausschlachten“ und gegen die Wand fahren lassen kann. Obgleich die ACC-Kontrolle ja erst wenige Monate währt und ACC erst noch dabei ist, die Kommandostrukturen so umzubauen, dass „durchgestellt“ werden kann, fand jetzt bereits ein flotter Personalwechsel mit elf von Bord gegangenen Top-Managern statt.
Und ACC und Hochtief sind nochmals ganz andere Hausnummern wie FCC und Alpine. ACC ist der derzeit größte Baukonzern in Europa; er zählt ohne Hochtief 161.000 Beschäftigte und setzt 38 Milliarden Euro um. Das Unternehmen Hochtief kommt auf weitere 79.000 Beschäftigte und 25 Milliarden Euro Umsatz. Auffallend ist: Hochtief bekam von der Deutschen Bahn AG im März 2012 den Zuschlag zum Bau der „Zuführung Bad Cannstatt zur unterirdischen Durchgangsstation“, also zur Tunnelbaustrecke Bad Cannstatt - Stuttgart Hauptbahnhof (tief). Das war ein Dreivierteljahr nach der definitiven Übernahme von Hochtief durch ACC.
All das könnte nochmals gesteigert werden: Seit einigen Wochen wird Spanien durch einen gigantischen Korruptionsskandal um den ehemaligen Schatzmeister der Regierungspartei PP, Senor Luis Bárcenas, erschüttert. Dieser kann sogar zum Sturz der amtierenden Regierung von Mariano Rajoy führen. Bárcenas hat über viele Jahre hinweg ein umfangreiches System der Politiker-Schmierung errichtet; das Geld stammte vor allem von Baukonzernen, die auf diese Weise wiederum an Großaufträge, darunter den Bau von Hochgeschwindigkeitsstrecken, kamen. Fachleute in Madrid gehen davon aus, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis in diesem Zusammenhang der Name ACC fällt und der Baukonzern selbst in den Strudel dieser Staats- und Regierungskrise gerissen wird.
Das ist eine einigermaßen komplizierte Materie; ich werde dazu hoffentlich bald mehr schreiben können. Der Fall ist in seiner Komplexität aber auch typisch für Stuttgart 21.
Grün-rote Landesregierung und Landesverkehrsminister sagen klipp und klar: Stuttgart 21 ist ein Rückbau
Womit ich beim dritten Komplex bin – bei der Wahrheit, bei der „Sickerwirkung“ der Wahrheit und bei der Konkretisierung dieses Aspekts am Beispiel der Kapazitätslüge.
Der Slogan „Lügenpack“ ist hier in Stuttgart ja kein hohler Spruch. Dieser wurde gut und immer wieder neu konkretisiert. Die Lügenpack-Parole hat damit ihre volle Berechtigung; da wird kein Stroh gedroschen.
Im Zentrum dieser Behauptung stand schon immer die Kapazitätsfrage. Ich habe dieses Thema bereits in dem ersten Buch zu Stuttgart 21 – im Jahr 1996 – aufgegriffen und dort festgestellt. „Stuttgart 21 wird eine geringere Kapazität haben als der bestehende Kopfbahnhof“. In den Büchern „Wem gehört die Stadt?“ und „Die Antwort auf Heiner Geißler“, die 2010 und 2011 von Volker Lösch, Sabine Leidig, Walter Sittler, Egon Hopfenzitz und mir herausgegeben wurden, haben wir diese Behauptung weiter belegt, unter anderem, indem wir – damals vor allem durch Andreas Kleber dokumentiert – erstmals alte Fahrpläne aus den 1960er Jahren vorlegen konnten, die diese größere Kapazität des bestehenden Kopfbahnhofs schwarz auf weiß (oder auch schwarz auf „bahn-gelb“) belegen. Im April diesen Jahres veröffentlichten wir dann mit dem Büchlein „Empört euch – neue Argumente gegen Stuttgart 21“ erstmals den Beleg aus dem entscheidenden S21-Gutachten, verfasst von Prof. Wulf Schwanhäußer, wonach dieser S21-Befürworter selbst feststellte, dass maximal „32,8 Züge“ im S21-Bahnhof in einer Stunde zu leisten sind. Dr. Christoph Engelhardt hat diese Beweise in jüngerer Zeit nochmals verfeinert und wasserdicht präsentiert.
Das alles ist ganz ausgezeichnet. Allerdings hat man auch oft den Eindruck, man befinde sich in einer Gummizelle oder in einem hermetisch abgeschlossenen Raum, aus dem unsere Argumente nicht herausdringen oder im Nichts verpuffen. Ich glaube, dass das nicht zutrifft; dass unsere Argumente schon „sickern“ – dass es aber unklar ist, wann genau diese „Sickerwirkung“ zum Durchbruch führt.
Ich will hier mal zur Stärkung dieser Sickerwirkung einen anderen Weg gehen. Ich will mit den O-Tönen und mit dem Wortlaut der Landesregierung unsere zentrale Aussage „Lügenpack“ begründen. Und ich will dann noch ergänzend mit den Worten des amtierenden Landesverkehrsministers darlegen, warum beim S21-Projekt gelogen wird, dass sich die Schwellen biegen, nämlich weil man schlicht und einfach ein riesiges Spekulationsprojekt – einen Immobiliendeal – durchziehen will.
Zur grün-roten Landesregierung: Wir schreiben den 13. September 2011. Das war ein halbes Jahr nach der Landtagswahl, wenige Wochen nach dem manipulierten Stresstest und wenige Wochen vor der Volksabstimmung. An diesem Tag brachte die grün-rote Landesregierung in das Landesparlament einen „Gesetzentwurf (…) über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bauprojekt Stuttgart 21 (S-21-Kündigungsgesetz)“ ein. Der Sinn des Ganzen war: Dieser Antrag sollte abgelehnt werden. Und damit sollte der Weg zu einer Volksabstimmung frei gemacht werden. Wegen dieser trickreichen Intention schrieb man in den Gesetzestext wohl Dinge, die man ansonsten als grün-rote Landesregierung nicht sagt. Nämlich: die Wahrheit oder entscheidende Mosaiksteine für die S21-Wahrheit. In diesem Gesetzentwurf heißt es auf Seite 6: „Für das ursprüngliche Versprechen, das Projekt Stuttgart 21 führe zu einer deutlichen Leistungssteigerung im Bahnverkehr, ist die Deutsche Bahn AG den Nachweis schuldig geblieben. Im Gegenteil: durch die geringe Gleiszahl sind Einschränkungen in der Betriebsqualität zu erwarten. (…) Andererseits hat sich während des laufenden Umbaus des Gleisvorfeldes mit zahlreichen Gleissperrungen erwiesen, dass der bestehende Kopfbahnhof über erhebliche Kapazitätsreserven und eine hohe Flexibilität verfügt. Der Kopfbahnhof besitzt über der aktuelle Zugzahl hinaus noch Kapazitätsreserven (…) im Umfang bis zu 49 Zügen, bei einer Modernisierung auch darüber hinaus. (…) Die Betriebsqualität des Gesamtsystems der S-Bahn droht sich (mit S21; WW.) zu verschlechtern.“
Wohlgemerkt: Das sind alles Originalzitate der grün-roten Landesregierung. Diese Sätze wurden von der Grünen Partei in vollem Umfang und formal zumindest auch von der SPD mitgetragen. Die Landesregierung als solche brachte diesen Gesetzesantrag am 13. September 2011 in den Landtag ein – Drucksachennummer 15/496.
Damit stellt sich die Frage: Wenn auch Rot-Grün weiß, dass da ein Rückbau stattfinden soll – warum wird dann dennoch gebaut? Und warum werden dann mindestens 6,8 Milliarden Euro in den Sand bzw. in den Gipskeuper gesetzt, warum werden also Milliarden Euro Steuergelder für eine Deinvestition ausgegeben?
Das zu erklären haben bereits viele versucht. Eigentlich von der Logik und den Fakten her durchaus mit Erfolg. Der Kollege Josef-Otto Freudenreich, der Freund Volker Lösch und auch ich haben das wiederholt dargelegt und faktenreich unterfüttert. Stichwort: Maultaschen-Connection. Spannend finde ich, wenn wir hierzu das Wort Winfried Hermann erteilen. Dieser hielt vor noch nicht allzu langer Zeit hier im Stuttgarter Raum eine Rede, aus der ich mir erlaube zu zitieren: „(Heinz) Dürr hat sich Anfang der 90er Jahre (…) seinem neuen Unternehmen (der Bahn; W.W.) gewidmet und ist dann durch die Welt gefahren und hat dann festgestellt, dass es in New York zwar eine Eisenbahn gibt, aber man diese nicht sieht. In Tokio gibt es eine Eisenbahn, aber man sieht sie nicht. Dann ist dem Herrn Dürr ein Licht aufgegangen – das hat er mir eines Tages erzählt. Ja, das hat er mir erzählt: Herr Hermann, da ist mir ein Licht aufgegangen, da sind wir mit dem Hubschrauber über Stuttgart geflogen, über die Gleise. Dann ist mir klar geworden: Das sind ja Filetstücke, mitten in der Stadt! Wenn wir den Bahnhof unterirdisch machen, wie in New York, dann verkaufen wir das Gelände zu den besten Preisen, den Quadratmeter zu 10.000 Mark oder mehr… Das war das Konzept, das Dürr für Stuttgart und viele andere Orte als genial angesehen hat. Und fortan war er der Treiber. Es ist ihm dabei gelungen, fünf weitere schwarze Herren aus dem Großraum Stuttgart einzuspannen. Das ist ein seltsamer Fall in der Geschichte, dass sechs Schwaben rechtzeitig an der gleichen Stelle etwas zu sagen haben.“ Im Folgenden nennt Hermann den damaligen MP Erwin Teufel, den damaligen Landesverkehrsminister Schaufler, den damaligen Bundesverkehrsminister Wissmann, den damaligen Direktor des Regionalverbandes Stuttgart Steinacher und den damaligen OB Rommel.
Weiter Hermann im O-Ton: „Also, sechs schwarze Herren, alle befreundet, alle aus dem Großraum Stuttgart, alle sprechen schwäbisch, aber sitzen an den Schalthebeln der Macht. Die haben gesagt: Stuttgart bauen wir jetzt zum Leuchtturmprojekt.“
In der gleichen Rede sagt Hermann, dass er und die Grünen immer wussten, dass S21 einen Rückbau bedeutet – und dass das auch die Projektbetreiber wissen. Hermann: „Wir haben (…) sehr schnell festgestellt, dass Stuttgart 21 entscheidende Nachteile hat, dass es für den regionalen Nahverkehr (…) eher Nachteile hat. Übrigens haben wir damals nicht mit einem achtgleisigen Durchgangsbahnhof kalkuliert. Am Anfang waren in der Diskussion zwölf Gleise. Dann hieß es: zu teuer. Dann waren es zehn Gleise: zu teuer. Jetzt ist man bei acht Gleisen. Wohlgemerkt: Am Anfang haben auch die Betreiber des Konzepts gesagt, das geht ja unmöglich, dass ich einen Kopfbahnhof mit 16 Gleisen auf acht Stehgleisen abwickle. Wo ich ja nicht mit acht Gleisen raus und rein fahre, sondern wir fahren ja durch eine Röhre rein und mit einer (Röhre) raus, Nord-Süd und dann noch Ost-West. (…) Deswegen ist der Engpass nicht nur der Bahnhof mit seinen acht Gleisen, sondern vor allem die Zufahrtstrecken sind die Engpässe. Das haben wir sehr früh herausgearbeitet und seitdem arbeite ich daran, mache ich Öffentlichkeitsarbeit.“
Klarer, als von Winfried Hermann formuliert, kann man es kaum auf den Punkt bringen: Es geht um einen Immobilien-Deal. Es war für die Grünen und für Winfried Hermann schon immer klar, dass es sich um einen Rückbau handelt. Das wussten laut Hermann auch die Projektbetreiber.
Und vor allem – und das ist meines Erachtens entscheidend: Winfried Hermann erklärt hier persönlich vor einem größeren Publikum, dass ihm all das Heinz Dürr im persönlichen Gespräch anvertraute. Hermann bürgt damit persönlich dafür, dass ihm Heinz Dürr persönlich den Grundcharakter von Stuttgart 21 als gewaltiges Immobilien-Geschäft darlegte.
Nur eines stimmt jetzt nicht mehr so ganz – der letzte zitierte Satz aus der Winfried-Hermann-Rede: „Das haben wir sehr früh herausgearbeitet und seitdem arbeite ich daran, mache ich Öffentlichkeitsarbeit.“
Die zitierte Rede wurde schließlich am 4. Februar 2011 gehalten. Das war fünf Wochen vor der Landtagswahl. Hermann sagt derlei zumindest seit Anfang 2013 nicht mehr. Und das einzige, was sich im Zeitraum Februar 2011 bis heute geändert hat, das diese veränderte Einschätzung erklären kann, ist die Gehaltsklasse, in die Hermann aufstieg, und das Amt, dem er inzwischen vorsteht.
Übrigens: Die zitierte Winfried-Hermann-Rede findet sich auf der persönlichen Website von Winfried Hermann, bzw. sie befand sich dort vor wenigen Tagen. Sollte sie dort aus dummen Gründen dort verschwinden: Ich habe einen Ausdruck – auch der Landesverkehrsminister kann bei Bedarf von mir eine Kopie bekommen.
Stuttgart 21 und die Staatsräson
Ein Hinweis zum Schluss. Dieser Grundcharakter von Stuttgart 21 als gigantischer Immobilien-Deal ist natürlich auch heute noch existent. Allerdings kam inzwischen ein Aspekt hinzu: die Staatsräson. Oder in den Worten des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble, der ja CDU-stammes-geschicht-lich zu dieser Maultaschen-Connection zu rechnen ist: „Es gibt ein gesamtstaatliches Interesse an dem Projekt Stuttgart 21“.
Im Klartext: Die politischen Betreiber von Stuttgart 21 können und wollen nicht zulassen, dass eine demokratische Bewegung gegen ein zerstörerisches Großprojekt erfolgreich ist. Sie wissen: Die Erfolge gegen das Atomkraftwerk im badischen Wyhl, gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage im bayerischen Wackersdorf, gegen den Schnellen atomaren Brüter im westfälischen Kalkar und der wunderbare anhaltende Widerstand gegen ein atomares Endlager in Gorleben hatten eine so gewaltige Ausstrahlung, dass sie erheblich zum formal beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie beigetragen haben.
Schon gar nicht kann man „sowas“ vor einer Bundestagswahl zulassen. Daher fragten und sagten Merkel-Ramsauer-Grube im April 2013, als die neue Kostenexplosion von Stuttgart 21 einen Ausstieg nahelegte: „Zwei Milliarden Euro mehr? Macht nichts – das ist ja nicht unser Geld. Hauptsache, es wird solange weitergebaut, bis alle in der Bewegung gegen Stuttgart 21 zermürbt und demoralisiert sind.“
Doch genau das wird nicht passieren. Wir wissen: Stuttgart 21 ist zerstörerisch – ist eine Milliarden-Euro-Deinvestition. Die S21-Betreiber bei der Bahn, in der Bundesregierung und zunehmend auch maßgebliche Leute in der Landesregierung sind ein Lügenpack. Es gibt eine Sickerwirkung dieser unserer Wahrheit – wir müssen da am Ball bleiben. Im Grunde müsste man in der Landeshauptstadt offensiv und im Großformat plakatieren: „Frau Merkel, Herr Grube, Herr Ramsauer – Sie betrügen und belügen. Sie setzen 7 bis 10 Milliarden Euro Steuergelder für einen Kapazitätsabbau ein, für Zerstörung und Vernichtung von Urbanität und Lebensqualität. Sie verstoßen damit gegen Gesetze bzw. Sie verletzen Ihren Amtseid. Bitte verklagen Sie uns wegen Verleumdung – das hätten wir gerne gerichtlich festgestellt! Zerren sie uns vor den Kadi, wenn wir daran festhalten und sagen: Sie sind das LÜGENPACK.“
Winfried Wolf ist u.a. aktiv bei Bürgerbahn statt Börsenbahn (BsB) und beim Bündnis Bahn für Alle. Er ist Chefredakteur von Lunapark21 –Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie.
Sehr geehrter Herr Wolf,
schon mit meinen Schreiben vom 10.04.2012 per Einschreiben-Rückschein an die DB-AG habe ich die fünf Bahnvorstände der Lüge und des Betrugs bezichtigt. Ich habe diesen Vorwurf auch öffentlich gemacht, indem ich dieses Schreiben – auch per Einschreiben-Rückschein – an verschiedene Zeitungen gesandt habe. Ich bin nicht vor den Kadi gezerrt worden; leider. Also stimmt der Vorwurf.
Danke für Ihre Rede!
Mit freundlichen Grüßen
Jobst Knoblauch