(aus Zeitgründen nicht gehaltene zweite) Rede von Volker Lösch bei der Großdemo am Samstag, 15.6.2013 auf dem Stuttgarter Schlossplatz
der widerstand bleibt
liebe freundinnen und freunde des kopfbahnhofs !
ob in instanbul 2013, in frankfurt 2012 und 2013
oder in stuttgart 2010 :
sie kriegen uns nicht klein !
sie machen uns keine angst ,
sie werden uns nicht los -
weder hier, noch anderswo .
unter dem vorwand, gewalttäter oder blockierer zu bekämpfen, soll immer wieder polizeiliche gewalt legitimiert werden. aber die taktik der staatsgewalt gegen bürgerproteste ging und geht nicht auf :
der widerstand in der türkei wächst, in frankfurt kamen eine woche nach der gewaltsam aufgelösten blockupydemo 12.000 menschen, um gegen die kriminalisierung zu demonstrieren, der politisch gewollte wasserwerfereinsatz im september 2010 hat mappus das amt gekostet, und unseren widerstand gegen S21 maximal angekurbelt !
auch die betrügerischen aspekte des prinzips stuttgart 21,
die permanten lügen und desinformationen ,
führen nicht zu gewolltem erfolg .
ob es um die merkelsche europapolitik ,
die stuttgarter schlichtungsgespräche ,
ob es um erdogans gesprächsangebote
oder um die manipulierte voksabstimmung in BW geht -
der betrug wird jeweils durchschaut, analysiert und bewertet .
das führt bei einigen zu resignation und rückzug ,
aber eben nicht zum ende der jeweiligen bewegungen !
denn ein immer größer werdender teil
der bürgerinnen und bürger
spezialisiert sich weiter, lernt dazu, sammelt neue argumente
und bleibt somit hartnäckig und aktiv dem protest verbunden !
und deshalb wollen die großen parteien
stuttgart 21 aus dem bundestagswahlkampf heraushalten ,
keinerlei anlass für eine öffentliche diskussion liefern ,
denn sie wissen genau :
der protest würde dadurch nur weiter angekurbelt .
soziale bewegung
aber ist dieser protest nicht schon permanent da ?
ist er nicht bereits zu einer konstante geworden ?
in stuttgart zum beispiel ,
wo er sich schon länger nicht nur gegen den bahnhof richtet ?
entsteht hier womöglich etwas größeres, weitreichenderes ?
kann man in stuttgart bereits von einer sozialen bewegung sprechen ?
jede neue soziale bewegung muss sich ihr selbstverständnis ,
ihre vorstellung von zielen und mitteln, ihre praxis neu erarbeiten .
seit 175 stuttgarter montagsdemonstrationen ,
( seit mehr als drei jahren ! )
treffen sich montag für montag bei einem festen ritual
jeweils mindestens 2000 menschen ,
und ungefähr 4 mal im jahr nehmen an großdemonstrationen
weitere zigtausend teil .
liebe freundinnen und freunde ,
wir gehen seit drei jahren mit unseren sorgen,
unseren ängsten, unserer kritik, unserer wut auf die straße -
und wir spüren, sehen und fühlen seit drei jahren, dass wir damit nicht allein sind !
wir machen gemeinsame erfahrungen ,
vollziehen gemeinsam die gründe für unsere empörung nach ,
und formulieren diese erfahrungen dann politisch .
und somit erfüllen wir- soziologisch gesehen -
das klassische merkmal einer kritischen öffentlichkeit ,
die sich in diskursiven prozessen selbst erzeugt .
und dabei wiederholen wir uns nicht im immergleichen ,
unsere protestbewegung verändert sich fortschreitend
aus sich selber heraus !
durch unseren kampf bilden sich neue kräfte. gesellschaftsverändernde, aufklärerische kräfte, kräfte, die weiterwirken, die ausstrahlen. und damit haben wir eine verantwortung, die wir auch gerne wahrnehmen : wir gehen, so oft wir das können auf die straße, in die öffentlichkeit. wir sind heute auch deshalb hier, um diesen kräften einen ausdruck zu geben, denn wir brauchen sie, diese neuen sozialen kräfte - sie zu entfalten, ist das dringlichste gebot der stunde !
von der differenz zum miteinander
liebe mitstreiterinnen und mitstreiter, erinnern wir uns :
wir haben in bezug auf ein lokales ereignis begonnen .
aber schon am anfang ging es nicht nur um den bahnhof ,
die debatten um sinnvolle nutzung des öffentlichen raumes
wurden von beginn an geführt .
erinnern wir uns auch daran :
wir waren zunächst extrem verschieden ,
uns durchaus selber fremd .
cdu-wähler trafen auf linke, konservative auf progressive .
aber dann haben wir die ersten gemeinsamen schmerzerfahrungen gemacht :
wir wurden von projektbefürwortern und politikern
nicht ernstgenommen ,
mitspracherechte wurden uns vorenthalten .
und diese erfahrungen haben uns stark gemacht ,
sie wurden zum verbindenden kitt ,
der diese große bewegung inzwischen zusammenhält .
diese erfahrungen haben den konflikt politisiert ,
und ihn über das bahnhofsthema hinaus
zu einem streit um politische formen gemacht .
denn für viele von uns geht es inzwischen um die frage ,
mit welcher methode politische entscheidungen durchgesetzt werden ,
wie wir unser recht auf mitsprache geltend machen können ,
wie wir als urbane gemeinschaft
unsere großen themen, das gemeinwohl betreffend ,
einbringen und mitprägen können .
folgendes zitat stammt von christoph engelhardt :
"wenn S21 durchgeht, gibt es keine schranken mehr .
dann treten wir in ein dunkles zeitalter, in einen neuen feudalismus ein."
langer atem
und der kampf gegen diesen "neuen feudalismus" verbindet uns mit all den anderen bürgerbewegungen im in- und ausland :
wir kämpfen in hamburg, in berlin, in frankfurt und in münchen, in der türkei und in italien, im rheintal und in stuttgart gegen dasselbe dunkle zeitalter, gegen diesselbe methode, gegen dasselbe system, in dem politische entscheidungen von nicht legitimierten lobbyistengruppen bestimmt werden ! stuttgart 21 ist kein einzelfall !
natürlich lässt sich nicht voraussagen ,
wie das alles weitergehen wird .
das wesen von offenen prozessen ist ja gerade ,
dass sie nicht planbar, nicht vorausbestimmbar sind .
aber neue protestdynamiken können sich jederzeit entwickeln .
und auch hier in stuttgart kann es passieren ,
dass schnell wieder mehrere zehntausend auf die straße gehen .
ein stimmungswechsel zeitigt oft erst allmählich wirkung .
denkt an den beginn der kernkraftproteste in den siebzigern ,
das ist 40 jahre her, und heute ist die kernkraft am ende !
vielleicht kann man in 10 oder 20 jahren sagen :
"das hier war mal der ausgangspunkt dafür, dass sich etwas verändert hat ."
und vielleicht erwächst aus den noch einzelnen widerständen
eine internationale bewegung .
man braucht dafür einen unterbau, der lokal verankert ,
und ein thema, das nicht lokal, sondern international ist ,
und vereinheitlichend wirkt .
und wir - haben beides !
vom kleinen ins große und vom großen ins kleine
liebe mitstreiterinnen und mitstreiter .
wir reden hier über eine ungeheure kraft ,
über eine faszinierende aufbruchsenergie ,
die große möglichkeiten bereithält !
den zweiflern aus den eigenen reihen möchte ich entgegnen :
nein, es ist kein gemischtwarenladen, der hier vorgestellt wird !
nein, die prinzip-debatte lenkt nicht vom kampf gegen den bahnhof ab !
das schiere gegenteil ist der fall :
wir können durch das beschreiben eines prinzips, durch das benennen einer methode
die potentiale unserer bewegung entscheidend erweitern !
wenn wir das große solidarisch und klug vernetzen ,
dann gibt uns das kraft und mut für die bekämpfung des kleinen !
wenn wir das überregionale gemeinsam angehen ,
dann bekommen wir für das lokale die nötige rückendeckung !
wenn wir uns durch das außen thematisch und intellektuell erweitern ,
dann schärfen wir nach innen unser profil !
es wird für unseren protest entscheidend sein ,
inwieweit wir das projekt stuttgart 21
als prinzip einer politischen ökonomie thematisieren können ,
die nicht nur in stuttgart wirkt .
und es wird auch entscheidend sein ,
ob sich die verschiedenen lokalen protestbewegungen
zu einer überregionalen außerparlamentarischen bewegung
zusammenschließen werden ,
und ob sich diese bewegung etablieren kann !
albrecht müller hat es bereits erwähnt :
der satz der woche kommt aus der türkei ,
erdogan hat ihn erfunden :
“ihr könnt machen, was ihr wollt, unsere entscheidung ist gefallen.”
das ist so, als wenn ich zu meinen schauspielern sagen würde :
"heute dürft ihr mal alle machen, was ich will !"
“ihr könnt machen, was ihr wollt, unsere entscheidung ist gefallen.”
ein unglaublicher satz, ein spreng-satz ,
der die türkei direkt in die eu katapultieren wird :
liebe regierung erdogan, jetzt habt ihr es geschafft ,
denn nun seid ihr mit merkel und co endlich auf augenhöhe !
bewusstsein schaffen
liebe frau merkel, lieber herr erdogan ,
liebe freunde und freundinnen des autokratischen !
mit der ausweitung unseres protests ,
mit der vernetzung unserer bewegungen ,
mit der sammlung unserer kräfte ,
mit dem zusammenschluss unserer themen ,
werden wir unsere kreise weiter ziehen .
es wird uns gelingen ,
ein in der öffentlichkeit wachsendes bewusstsein dafür zu schaffen ,
dass eure politik des neoliberalismus
die alle angeht, alle betrifft, und die die meisten benachteiligt ,
deshalb ein rasches ende finden muss !
wir werden ein bewusstsein dafür schaffen ,
dass ihr die verursacher der unübersehbaren
gesellschaftlichen missstände seid !
wir werden ein bewusstsein dafür schaffen ,
dass ein politischer richtungswechsel erfolgen muss !
denn wir brauchen ein europa ohne euch .
ohne die merkels, ohne die erdogans, ohne die orbáns, ohne die putins - und wie sie alle heißen, die freundinnen und freunde der marktkonformen, der gelenkten, der entstellten, der verkrüppelten, der schein-demokratie .
fest steht allerdings :
ohne öffentlichen druck wird sich nichts ändern .
nur über öffentlichen druck ist euch beizukommen ,
und für diesen öffentlichen druck werden wir sorgen !
immer mehr und immer öfters ,
immer gemeinsamer und immer stärker !
und das sei hier und heute versprochen :
unser kampf, der wird euch auf die füße fallen !
wehrt euch, vernetzt euch !
liebe mitstreiterinnen und mitstreiter
kämpfen wir gegen stuttgart21 weiter ,
und lassen wir die anderen daran teilhaben :
interessieren wir uns füreinander !
benennen wir gemeinamkeiten !
tauschen wir rednerinnen und redner aus !
laden wir uns gegenseitig ein !
formulieren wir visionen !
besuchen wir einander !
planen wir gemeinsame aktionen !
wenden wir uns solidarisch
gegen das zerstörerische prinzip stuttgart21
gegen die zynische methode merkel !
liebe istanbuler, liebe frankfurter, liebe turiner
und liebe hamburger, liebe berliner, lieber stuttgarter,
liebe europäerinnen und europäer :
wenn die klügeren nachgeben ,
dann regieren die dummen die welt .
deshalb gilt für uns : wehrt euch, vernetzt euch !
denn dann werden wir eines gemeinsam erreichen :
wir werden - oben bleiben !
wir erleben hier, wie die deutsche bahn mit freundlicher hilfe der politik , mit freundlicher hilfe unseres ministerpräsidenten, – der konsequent von demokratischer legitimation spricht , da wir eine volksabstimmung hatten , die man aber inzwischen unter wahlbetrug abhaken kann – wir erleben hier , wie die deutsche bahn ohne rechtliche legitimation fakten schafft , mit denen sie uns, und dann wiederum unsere parlamentarier erpresst , den irrsinn stuttgart 21 gegen recht und vernunft weiterzubauen !