Rede von Dr. Norbert Bongartz, Oberkonservator i.R., Co-Sprecher des Aktionsbündnisses gegen S21, bei der Großdemo gegen Stuttgart 21 am 15.6.2013 auf dem Stuttgarter Schlossplatz
Liebe unerschütterliche, nicht resignierende S21-Widerspenstige,
liebe „Ihr-werdet-uns-nicht-los“-Partner und Partnerinnen,
liebe Freundinnen und Freunde!
Ich begrüße Sie im Namen des Aktionsbündnisses gegen S21. Seien Sie uns herzlich willkommen zu unserer außerfahrplanmäßigen Samstags-Demo hier auf dem Schlossplatz.
Unsere Großdemos hatten bisher dann ein großes Echo, wenn am Bahnhof einmal wieder irgend-etwas Skandalöses geschehen war. Ein solches Aufreger-Ereignis gibt es derzeit bei S21 nicht. Ganz im Gegenteil: Alle Verantwortlichen sind derzeit konzertiert darum bemüht, das Konflikt-Thema unter der Tischplatte zu halten. Woran wir das erkennen können?
- Unsere Leitmedien sind einerseits voll von all den Skandalen, die das gleiche Strickmuster haben wie Stuttgart 21, von Euro-Hawk bis zum Großflughafen BER, ja bis zum Gezi-Park in Istanbul, der uns heute auch noch beschäftigt, wegen der vielen Vergleichbarkeiten.
- Aber hier, wo man die Konsequenzen aus alledem ziehen könnte, ja müsste, hält sich die Presse auffallend zurück. Es gibt nur dürre Worte über unsere Demos mit Tausenden Bürgern + Bürgerinnen, kaum abwägende eigene Auseinandersetzung mit all den weiter völlig ungeklärten Problemen des Projekts. Fast alle der Pressemitteilungen oder Stellungnahmen des Aktions-bündnisses oder der Parkschützer fanden eine Beachtung.
- An dem unseligen „Weiter so“ - als ob alles ,was bei S21 passiert, rechtens wäre - beteiligt sich auch unsere Justiz: Schweres Geschütz fährt sie auf gegen mutige Bürger, die sich friedlich wehren und traut sich nicht an die Großen ran: Ihre Verfahren werden auf die lange Bank ge-schoben, den berechtigten Betrugsvorwürfen weicht sie mit Winkelzügen aus. Mit hahne-büchenen Argumenten werden Verfahren eingestellt, so wie kürzlich die Strafanzeige des Ex-Richters Christoph Strecker gegen die 115 Mio von Berlin erschlichenen EU-Subventionen für S 21. Die abenteuerliche Begründung: Bei der Subvention sei es gar nicht auf eine höhere Leistungsfähigkeit des Tunnelbahnhofs angekommen!
- Auch die Landes-Politik tut alles, um S21 unter der Decke zu halten. Funkstille herrscht von den Tunnelparteien bis hin zu Kretschmann und Kuhn in der Kostenfrage, obwohl weiter völlig ungeklärt ist, wer die jetzigen und künftigen Mehrkosten letztlich zahlt. Es ist auch mehr als verdächtig, dass der Lenkungskreis kaum mehr tagt; er besteht wohl nur noch dem Namen nach. Obwohl längst hieb- und stichfest erwiesen ist, dass die angebliche Kapazitätssteigerung beim Tiefbahnhof eine einzige Betrugsgeschichte ist, wird hartnäckig dazu geschwiegen. Vor der Bundestagswahl sind fast alle Kandidaten bereit, Kreide zu fressen, um es sich mit keinem möglichen Koalitionspartner zu verderben.
In Berlin sieht es kaum anders aus: Nicht nur die Vertreter der Regierungskoalition, auch die Berliner Rot-Grünen halten sich bedeckt. Man will sich wohl allseits den Streit vom Hals halten, der die hiesige Landespolitik so arg strapaziert hat. Das Motto heißt wohl auch hier: Einfach weiter so, um Ärger zu vermeiden.
Wir demonstrieren daher heute aus dem Grund, dass die Verantwortlichen alle bisherigen konkreten Anlässe für eine Kurskorrektur unter den Teppich gekehrt haben. Sie versuchen sich durchzumogeln, an uns vorbei.
Ich meine: Je zweckloser sie unseren Widerstand erscheinen lassen wollen, umso sinnvoller und notwendiger ist er!
Wir wollen nicht tatenlos bei diesem „Einfach weiter so“ zusehen, das auf unsere Kosten geht und auf Kosten der Zukunft dieser Stadt und einer ökologischen Verkehrswende?
Wir haben es in Stuttgart mit dem derzeit schlimmsten der abschreckenden Infrastruk-tur- Projekte in Deutschland zu tun. Drum gilt für uns im Bundestags-Wahlkampf: Keine Unterstützung der S21-Drahtzieher, denn das verantwortungslose S-21-Prinzip findet sich bei vielen anderen Großprojekten in unserer Republik!
Das Strickmuster der jeweiligen Drahtzieher ist offenbar immer das Gleiche: Sie setzen Investoren- und Spekulanteninteressen über die Interessen des Gemeinwohls, sie manipulieren die Fakten, erschleichen sich den Baubeschluss mit niedrigen Kosten. Danach erreichen sie aufgrund teurer Fakten die angebliche oder tatsächliche Unumkehrbarkeit; es gibt ja genug Steuergelder, auch wenn diese anderswo fehlen werden, dreimal dürfen Sie raten, wo wohl?...
Wenn schon die mangelhafte Brandschutzsicherheit des geplanten Bahnhofs zu einer wenn nicht geplanten so doch nicht verhinderten Lebensgefährlichkeit dieses Neubauprojektes führt, so ist das allein schon aus diesem Grund nicht zu verantworten. Was die Stadt beim Fernsehturm anpacken mußte, muß beim Bahnhof mit gleicher Intensität geschehen!
Wir müssen also weiter beharrlich gegen das Blendwerk in unserer Stadt angehen. Das anfänglich vielleicht blendende Gedankenspiel, die Bahn in der Versenkung verschwinden zu lassen, wurde in derart blendend helle Visionen gekleidet, dass sich zu viele von diesem Projekt dauerhaft haben blenden lassen. Nachdem aber alle die inzwischen erkannten Schattenseiten des Murks-Projekts zutage getreten sind: Wie haben sie es nur geschafft, alles was gegen S21 spricht aus ihrem Bewusstsein auszublenden?? Wenn bei diesen Menschen die Selbstheilungskräfte offenbar verloren gegangen sind, so können und wollen wir denen zeigen, wie man unser krankes, längst nicht mehr legitimes Projekt und das ebenso kranke System kurieren könnte.
Wie genau wir das heute mit dieser Kundgebung, mit unseren Gästen, der Musik und der anschließenden Demo tun werden, erläutert uns gleich Nadja Stübiger, die schon bereit steht, Sie als Moderatorin durch unser Programm zu führen.
Vorher möchte ich mich im Namen des Aktionsbündnisses noch beim Demoteam bedanken. Es sind ja immer wieder andere Konstellationen und Personen, die planend voran gehen, die sich all die Arbeit machen, und dabei auch Frustrationen und Konflikte durchstehen müssen.
Danke diesmal auch an unseren Prominenten-Beirat, so nenne ich mal die Bekannteren unter uns, die verstärkt wurden von FreundInnen aus dem Montagsdemoteam und den aktiven Parkschützern und Parkschützerinnen.
Redetext als PDF - bei der Mahnwache in gedruckter Form erhältlich