Aktuell ein Kommentar von Hans Peter Schütz online bei STERN:
Trotz aller Kritik – der Bahn-Aufsichtsrat will Stuttgart 21 weiter bauen lassen. Dass es so weit kommen konnte, ist einer seltsamen schwarz-grünen Allianz geschuldet.
Genasführte: die Wähler
Wichtige Helfer im Milliarden-Poker um Stuttgart 21 waren (...). Denn ein Aktenvermerk der Landesregierung belegt, dass Kretschmann rechtzeitig wusste, wie die Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 ausfallen würde. Öffentlich war davon die Rede, dass sich in Spitzenzeiten 40 bis 50 Züge pro Stunde durch den Tiefbahnhof schleusen lassen würden. Tatsächlich ist jedoch nur ein statistischer Wert von 32,8 Zügen pro Stunde zu erwarten – ein Aufkommen, das sogar noch unter der Maximalauslastung des Kopfbahnhofs liegt. Von diesem Problem müssen die Grünen und ihr Ministerpräsident Kretschmann gewusst haben – aber sie haben eisern darüber geschwiegen. Mehr noch: Im Vorfeld der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 war das Argument, der neue Bahnhof hätte eine höhere Abfertigungskapazität, von zentraler Bedeutung. (...)
Es ist zu vermuten, dass die Volksabstimmung zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, wäre die Wahrheit von den Grünen öffentlich gemacht worden. Aber sie haben geschwiegen. (...)
Nutznießerin: die Kanzlerin
(...) Kretschmanns Glaubwürdigkeit ist beschädigt (...) Wem das nützt, ist klar: Der CDU und ihrer Kanzlerin Angela Merkel ... den ganzen Artikel im Stern lesen HIER.
Für eine historische Aufarbeitung, wer wann was gewusst hatte und nicht gesagt hat und die Gründe dafür ist es jetzt noch zu früh. Es geht darum S21 zu stoppen und das damit verbundene Unrecht. Oder will hier jemand mit dem derzeitigen Scherbenhaufen Wahlkampf machen?
Das was die Befehlsempfänger von Angie gestern gemacht haben, ist nicht vorrangig das Weitermachen mit S21, sondern zunächst (fast) nur die Erneuerung des Nerobefehls, d.h. die vorsorgliche Verhinderung dass bei einem Projekt-Abbruch (und der kommt so sicher wie das Amen in der Kirche, der Projekt-Abbruch zum möglichst spätesten Zeitpunkt ist sogar das eigentliche Ziel schon immer gewesen) möglichst keine Möglichkeit für eine Rückgängigmachung der bisherigen Zerstörungen besteht.
Sobald also der Grube anfängt die eigentliche Grube zu graben (d.h. die Genehmigung für die Grundwasserentnahme bekommt – und unter den jetzigen Bedingungen (Klage der DBAGkel gegen die Projektpartner) müssten Kuhn und Hermann, Kretschmann und Schmid eigentlich ihre jeweiligen sog. obersten Genehmigungsinstanzen erst einmal anweisen bis zur Klärung der Klagen die Sachen ruhen zu lassen), würde bei einem Abbruch aus wohl kalkuliertem Trotz die entstandene Ruine für sehr lange Zeit eine Ruine bleiben.
Damit hätten die Projektbetreiber exakt das eigentliche Ziel, die Zerstörung öffentlicher Infrastruktur und Öffentlichkeit an sich, erreicht. Und welche bessere Ausrede könnte es für die DBAGkel geben wenn es auch nur um geringfügigste Instandsetzung von Schieneninfrastruktur irgendwo in Deutschland geht, als dass die Stuttgarter ja alles Geld verbraucht hätten.
Aber auch diesbezüglich haben die heutigen Raubritter des ewig gleichen Feudalismus falsch kalkuliert:
Wenn offenbar wird, dass der Bund, die DBAGkel, nie die Absicht hatten etwas anderes als verbrannte Erde in Stuttgart zu hinterlassen (man denke nur an Herrn Thierse und sein Verhältnis zu den Süd- / Südwestdeutschen), wird es selbst aus der Südwest-CDU heraus eine zumindest unterschwellige Seezessionsbewegung geben (weg vom Norddeutchen Bund, tendenziell hin zu einer Region innerhalb der EU – ähnlich wie z.B. die Lega Nord oder gar Südtirol usw. und ähnlich wie Schottland (z.B. Sean Connery) schon jetzt vorhersagt, dass, wenn UK aus der EU aussteigt, Schottland sich unabhängig erklären und schnurstracks seinerseits in die EU eintreten wird). Damit stünde der Bund und damit alle Kostgänger Süddeutschlands seinerseits ziemlich im alt-germanischen Regen und dazugehörigen Sumpflandschaften.
Wenn Baden-Württemberg, oder wie jetzt aktuell Bayern und Hessen in Sachen Länderfinanzausgleich, sich (u.a. um die durch den Bund angerichteten Ruinen zu beseitigen) und sei es nur finanziell auch nur ein wenig von den norddeutschen Bettlern los sagt/en, werden die Baden-Württemberger, die Bayern und die Hessen sehr, sehr schnell auf den Geschmack kommen. Und sowohl die Bayern als auch die Baden-Württemberger verbindet z.B. weit mehr mit den Österreichern (übrigens ebenso was die Finanzkraft anbelangt) als mit den ewigen Kostgänger der norddeutschen Sumpflandschaften.
Aber wie gesagt, die gestrige Fehlentscheidung ist für die tatsächliche Situation in Stuttgart gar nicht so wichtig. Sie bestätigt nur, dass es nie darum gegangen ist/war, in Stuttgart irgend so etwas wie eine Infrastruktur, schon gar nicht für Öffentlichen Verkehr, zu errichten, sondern immer nur um Zerstörung selbiger. Daran wird selbst ein Abbruch des Projekts (der halt jetzt wieder etwas später erfolgen wird) nichts ändern – es würde nur sichtbar werden um was es wirklich geht / gegangen ist.
Die Charakterlosen gehören an den Pranger. Ein jedes nach seiner Art. Ohne Rücksicht auf den Namen und den Stand. Zu jeder Zeit.
Die Grünen brauchen den Kapitalismus – sonst sind sie überflüssig wie alle anderen politischen Kräfte, deren Macht und K(l)assenlage darauf aufbaut, die Mehrheit der Menschen weiterhin im Würgegriff der Profit- und Verwertungszwänge einer kleinen Minderheit zu halten. Und der Kapitalismus in seinem aktuellen, imperialistischen Stadium, braucht eben auch parasitäre Großprojekte – mit denen öffentliche Gelder in die Taschen von Konzernen und Banken geleitet und immer wieder neue Spekulationsblasen erschaffen werden, zur Stabilisierung (eigengesetzlich) fallender Profitraten – wie die Luft zum Atmen.
Wie lange schüren interessierte oder sehr schlecht informierte Kreise eigentlich noch die Illusion, der Kampf gegen S21 sei isoliert von grundlegenden sozialen Fragen und Kämpfen in dieser Gesellschaft zu führen und zu gewinnen? Das Projekt ist in der historischen Krise des Kapitalismus eben keineswegs „irrational“, sondern nur aus eben dieser Systemanalyse heraus richtig zu verstehen und einzuorden. Daher wird auch die zweihundertste Montagsdemo, so gut und wichtig sie vom Prinzip her ist (die Frage ist nur: Mit welchem politischen Ziel? Mit welcher Art von Organisierung?), und das tausendste Appellieren an die „Grünen“ nichts daran ändern, dass dieser Kampf in die Gewerkschaften, in die Betriebe getragen und mit anderen sozialen Kämpfen, gegen die Krise usw. direkt verknüpft werden muss, um jemals erfolgreich sein zu können.