Freispruch eines K21-Aktivisten am Landgericht

Am Mittwoch, 13. Februar 2013, fand am Landgericht Stuttgart eine Berufungsverhandlung wegen Beleidigung statt. Guntram K. war zuvor in erster Instanz vom Amtsgericht in einem Strafprozess für schuldig befunden und mit 25 Tagessätzen je 30 Euro bestraft worden. Dagegen hatte er Einspruch eingelegt.
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Die spannende und überaus interessante Verhandlung dauerte von 13:30 bis 18:00 Uhr, anwesend waren der Angeklagte K., sein Anwalt Z., Staatsanwalt Fuchs, Richterin K. und zwei Schöffen. Am Ende fiel ein Urteil, wie es in der K21-Bewegung selten vernommen wird, aber doch zeigt, dass es möglich ist: Freispruch aufgrund von "In dubio pro reo" (im Zweifel für den Angeklagten).
Der Vorwurf des Staatsanwalts: Beleidigung zweier Sicherheitsleute der Firma Hölscher am 16. August 2011 vor dem Tor des Grundwassermanagements (GWM ). Es sollen Worte wie Arschloch, Wichser, Nullnummer, Nazilakai, Nazitrupp und andere gefallen sein. (Da Richterin K. und Staatsanwalt Fuchs diese Begriffe mehrfach zitierten, erlauben wir uns, sie auch auf BAA zu nennen).
Da ein größerer Raum im Landgericht offenbar nicht zur Verfügung stand, konnten nicht alle 50 solidarischen Prozessbeobachter zuschauen und etwa 15 mussten den Saal wieder verlassen. Das bei manchen Verhandlungen freundlicherweise gestattete Stehen im hinteren Bereich war hier leider nicht erlaubt.
Zu Beginn des Verfahrens machte die Richterin das Angebot einer Einstellung des Verfahrens mit Auflagen, d.h. Zahlung eines Geldbetrags von 500 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung. Der Staatsanwalt willigte hierin ein, mit der Einschränkung, dass das Geld nicht an den BUND, an die Polizeigewerkschaft o.ä. gehe. Der Angeklagte lehnte allerdings das Angebot ab, da es ihm um sein Recht, um seine Ehre und die Wahrheit gehe, denn er habe die genannten Worte niemals gebraucht. Somit wurde der Prozess begonnen.
Die Ausgangslage: Die Firma Hölscher hatte Sicherheitsmann L. und seine Kollegen zur Bewachung des Objektes GWM eingesetzt. Er und ein inzwischen verstorbener Kollege hatten die Strafanzeige wegen Beleidung gegen K. gestellt, wobei sich im Laufe der Verhandlung der Eindruck aufdrängte, dass eher sein Kollege die treibende Kraft gewesen war und er sich der Strafanzeige dann angeschlossen hatte.
Sinngemäß seien hier ein paar Aussagen des Sicherheitsmannes L. dargestellt:
Der Vorfall sei in der Zeit nach dem 20.6.2011 gewesen, als das Geländer gestürmt worden sei, so dass ab dem 16.8. der grobmaschige Bauzaun gegen einen engmaschigen ausgetauscht wurde. Es sei eine Zeit fortwährender Demonstrationen mit einem Haufen Beleidigungen gewesen, die er weggesteckt habe. Nur das mit den Nazis gehe gegen seine Ehre. Es handele sich also eigentlich um eine Sammelanzeige gegen K. wegen diverser Beleidigungen, denn K. sei der Bauleitung und ihnen als einer der Hauptaktivisten vor dem Bautor besonders aufgefallen. Die Sicherheitsleute seien von der Bauleitung angewiesen worden, sich neutral zu verhalten und sich nicht provozieren zu lassen. Die Bauleitung habe auch immer wieder Fotos gemacht. Die Polizei habe ihnen gesagt: Wenn ihr nichts macht, können wir auch nichts machen. Aber lasst Euch das nicht gefallen.
Aufgrund dieser Aussagen wurde deutlich, dass L. und sein Kollege ohne die "Anregung" der Polizei keine Anzeige erstattet hätten.
Polizeikommissars J., der die Anzeige am 16.8.2011 aufgenommen hatte, erläuterte den Ablauf des angeblichen Vorfalls, betonte aber, dass er die genaueren Infos nur über die Aussagen der Sicherheitsleute gehabt habe. Weiter sinngemäß: Auffällige Personen - wie K. - habe man immer mehr im Fokus. Herr K. sei als Aggressor, als aufbrausend, provokant und durch verbale Entgleisungen bekannt, deshalb habe er ihn auch mehr im Auge.
Die Zeugen St. K. und H. M. bekräftigten dann als Mitdemonstranten K.s Auftreten bei Protestaktionen; er sei deutlich, konsequent, engagiert, offensiv, wenn nötig lautstark, aber nie beleidigend. Zeugin St. K. erläuterte die Funktion von Bezugsgruppen, wozu u.a. ein stetes Feedback und das Aufpassen aufeinander im Sinne des Aktionskonsenses zum Schutz gehöre. Zeuge W. als Einsatzleiter der Polizei bestätigte diese Charakterisierung des Angeklagten im Wesentlichen.
Verteidiger Z. betonte in seinem Plädoyer, dass der Nachweis der Beleidigung zu dünn sei. Es liege nahe, dass mit der Sammelanzeige, in die der nach dem Todes des Kollegen als einziger Ankläger verbliebene Sicherheitsmann offensichtlich hineingezogen worden war und die ihn argumentativ überfordere, ein oftmals am Bautor anwesender und verbal herausragender Demonstrationsteilnehmer abgestraft werden solle. Er plädierte auf Freispruch.
Staatsanwalt Fuchs führte aus: Es sei klar, dass das dargelegte Wir-Gefühl einer Bezugsgruppe nahe lege, dass sie eines ihrer Mitglieder um jeden Preis schützen würde, vermutlich auch mit einer Falschaussage. Und das Temperament des Angeklagten K., das ihn auch zu Übertretungen des Gesetzes wie Nötigungen und womöglich auch anderem bringe, sei erwiesen. Zu vermuten sei auch, dass er Funktionsträger wie Polizei-Einsatzleiter W. höflicher begegne als Geringpositionierten. Hieran ändere auch die teils widersprüchliche Aussage des Sicherheitsmannes nicht. Er forderte die erstinstanzlich vom Amtsgericht verhängte Strafe von 25 Tagessätzen à 30 €.
Als kurz vor 18:00 Uhr nach viertelstündiger Beratung mit Richterin und Schöffen das Urteil erging, kam verhaltener Jubel auf: Freispruch. In der Begründung wurden die starken Zweifel an den Aussagen des Sicherheitsmannes betont, dass es nur das Urteil „Freispruch“ mit dem Zusatz „in dubio pro reo“ geben könne. Die Richterin meinte, die Aussagen des Zeugen Sicherheitsmann L. reichten mit ihren Unklarheiten und Widersprüchen für eine Verurteilung nicht aus, denn er konnte sich nicht konkret erinnern. Und der Zeuge Polizeikommissar J. konnte zu den Vorfällen nur vom Hörensagen sprechen und die angeblichen verbalen Entgleisungen nicht konkretisieren. Die Glaubwürdigkeit der Zeugin St. K. wurde von der Richterin ausdrücklich hervorgehoben.
Prozessbeobachterin und Text: Ulrike Braun

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5 Antworten zu Freispruch eines K21-Aktivisten am Landgericht

  1. Colère sagt:

    Klasse. Sehr gut zusammengefasst, Ulrike. Vielen Dank! Wir haben Grund zur Zuversicht: Wir bleiben OBEN!

  2. Roland Adam sagt:

    Danke für die gute Zusammenfassung

  3. Anni Berta Zeh sagt:

    Es ist doch eigenartig, dass man solche Sätze wie nachfolgend zitiert, nie liest, wenn über Polizisten und Wachleute im Einsatz verhandelt und berichtet wird. Ganz abgesehen davon, dass man überhaupt sehr selten über Polizisten liest, die vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden.

    Hier das Zitat aus dem obigen Bericht:
    „Staatsanwalt Fuchs führte aus: Es sei klar, dass das dargelegte Wir-Gefühl einer Bezugsgruppe nahe lege, dass sie eines ihrer Mitglieder um jeden Preis schützen würde, vermutlich auch mit einer Falschaussage.“ [Ende des Zitats]

  4. Nina Picasso sagt:

    Staatsanwalt Fuchs irrt –
    Hätte Guntram wirklich diese Beleidigungen ausgesprochen, dann hätte er die Strafe bezahlt.
    Denn Beleidigungen gegen Polizisten etc. sind von unserem Aktionskonsens ausgeschlossen.
    Es hätte ihn von daher keiner „um jeden Preis“ schützen müssen.
    Eine gute Richterin, die die Aussagen vorurteilsfrei interpretiert hat und das Urteil: in dubio pro reo“ gefällt hatte.
    Glückwunsch an Dich Guntram:-)

    • Uwe Mannke sagt:

      Von einem repressiven Staat muss dann gesprochen werden, wenn politisch Aktive für die Taten bestraft werden, die sie gar nicht begangen haben. Dafür gibt es in Stuttgart kaum Beispiele. Die große Unklarheit herrscht in Zusammenhang mit Taten, die wenn sie straffrei blieben, auch zB. von Rechtsradikalen in einem anderen Zusammenhang verübt werden könnten. Bedenklich ist eine Staatsanwaltschaft, deren erklärtes Ziel es ist, S21-Gegner mit solchen Prozessen zu schikanieren, während sie auf der anderen Seite Schwerverbrecher der SS von einem Gerichtsprozess verschont, weil die Aussicht auf Verurteilung gering ist; bemerkenswert ist, mit welcher Akribie das dann begründet wird. Auch S21-Gegner haben einen Anspruch darauf, dass Prozesse nicht nicht schikanös initiiert werden.

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