Liebe Obenbleiberinnen und Obenbleiber.
Liebe Selbstdenker.
Es ist ein Skandal, dass ich auch heute noch genügend Anlass habe, hier etwas zum Thema Brandschutz zu sagen, weil der Tiefbahnhof so mangelhaft geplant ist.
Mir fällt dazu leider viel mehr ein, als ich heute ansprechen kann. Ich bin sehr froh, dass ich für Teile meines heutigen Beitrags zwei mit dem Projekt verbundene Co-Autoren gewinnen konnte, bei denen ich mich herzlich bedanke. Zum einen ist dies der Projektsprecher Wolfgang Dietrich, der auf der Desinformationsseite direktzu Stuttgart 21 eine Antwort auf eine Anfrage zum Brandschutz veröffentlicht hat. Und zum anderen ist es die Firma Gruner, die im Auftrag der Bahn AG eine Stellungnahme zu deren Brandschutzkonzept erstellt hat. Diese Stellungnahme war allerdings nie für die Öffentlichkeit bestimmt. Ich habe nun einige öffentliche Aussagen von Herrn Dietrich den geheimen Aussagen der Firma Gruner gegenübergestellt und Herrn Dietrich um eine Klärung dieser Widersprüche gebeten. Seine Antwort habe ich inzwischen sogar in Rekordzeit erhalten und werde auch darauf eingehen. Ich gebe nun also jeweils sinngemäß die Aussagen von Herrn Dietrich und die der Firma Gruner wieder.
Herr Dietrich hatte geschrieben:
Gutachten und Entrauchungsversuche an mehreren Modellen haben gezeigt, dass die Rauchentwicklung auf den unmittelbaren Bereich des Brandherdes begrenzt und die übrige Bahnhofshalle praktisch rauchfrei gehalten werden kann.
Gruner sagt aber genau das Gegenteil:
Der angenommene Vorteil des Systems, dass Rauch zurückgedrängt wird, kehrt sich schließlich erwartungsgemäß in den Nachteil um, dass zunehmend Rauchgase in die Gehschicht eingemischt werden und somit schließlich die gesamte Bahnhofshalle verraucht wird. Dies konnte bereits der (mittlerweile nicht mehr im Brandschutzkonzept
enthaltenen) Aufstellung der Ergebnisse aller Simulationsläufe entnommen werden - dort ergibt ein Simulationslauf, dass nach spätestens 24 Minuten die gesamte Bahnhofshalle (d.h. Stege A, B und C) verraucht ist. Es wird somit toleriert, dass flüchtende Personen kontaminierte Luft atmen.
Das ist also wirklich genau das Gegenteil: Während Herr Dietrich behauptet, dass die Bahnhofshalle praktisch rauchfrei bleibt, sagt die Firma Gruner, die gesamte Bahnhofshalle sei nach spätestens 24 Minuten verraucht.
Konfrontiert mit dieser Gegenüberstellung antwortete mir Herr Dietrich, dass die Firma Gruner über die einschlägigen Regelungen in Deutschland hinausgehe. Eine geringfügig verrauchte Schicht im Fluchtweg könne toleriert werden. Die entsprechenden Grenzwerte würden eingehalten werden. Damit toleriert die Bahn also das Einatmen von Rauch!
Und während die Firma Gruner die strengere Versammlungsstättenverordnung heranzieht, begnügt sich die Bahn mit den weniger anspruchsvollen anerkannten Regeln der Technik für unterirdische Personenverkehrsanlagen.
Aber sind denn bis zu 16.000 Menschen im Tiefbahnhof keine Versammlung?
Übrigens macht die Firma Gruner in ihrer Stellungnahme später noch einen ungeheuerlichen Vorschlag:
„Durch die Gruner AG wird bis Ende des Monats ein vollständiger Entwurf des übergeordneten Sicherheits- und Rettungskonzepts für den Talkessel erstellt und danach
DB-intern abgestimmt, damit dieser dann ggf. zumindest auszugsweise oder – und jetzt kommt's - unter Auslassung der bisher erzielten Simulationsergebnisse bei gleichzeitigem Verweis auf laufende Nachbesserungen nach außen präsentiert werden kann.“ Zitat Ende.
Das muss man sich mal vorstellen: Hier wird vorgeschlagen, dass die Simulationsergebnisse – die schlecht ausgefallen sind - bei der Präsentation einfach weggelassen werden!
So sollten also die Projektpartner und die Öffentlichkeit systematisch getäuscht werden!
Wenigstens ist das hier mal deutlich dokumentiert!
Aber warum reagiert eigentlich keiner der Projektpartner auf solche unglaublichen
Täuschungsmanöver der Bahn?
Ist das die von der Regierung versprochene konstruktiv kritische Projektbegleitung?
Zur Evakuierung sagt Herr Dietrich:
Mit der zuverlässigen Entrauchung geht die Evakuierung der Bahnhofshalle einher. In den ersten Minuten der Evakuierung steht die Selbstrettung im Vordergrund. Der allergrößte Teil der Reisenden verlässt die Station über die zahlreichen Treppen und Zugänge.
Das sieht Gruner allerdings ganz anders:
Die nun vorgelegten Simulationsergebnisse zeigen deutlich erhöhte Personendichten im Bereich vor den Treppen von den Bahnsteigen.
Eine genaue Bestimmung dieser Personendichten ist nicht möglich, d.h. es können sich je nach Verhalten der Personen auch noch deutlich höhere Dichten ergeben.
Im ungünstigsten Fall liegt die maximale Stauzeit vor den Treppen bei 19 Minuten...
Angesichts der problematischen Entrauchungssituation ... und der Tatsache, dass am betroffenen Bahnsteig ggf. ein brennender Zug steht, sind diese Werte äußerst kritisch. ... In Verbindung mit den ermittelten Personendichten ist daher kaum davon auszugehen, dass gesundheitsgefährdende Dichten und Drücke bei einer Evakuierung des Stuttgarter Hauptbahnhofs ausgeschlossen werden können.
Gruner sagt also, dass sich vor den Treppen die Menschen bis zu 19 Minuten lang so massiv stauen könnten, dass es zu Verletzungen oder Schlimmerem kommen kann,
besonders wenn daneben ein Zug brennt und eine Panik ausbricht. Für Herrn Dietrich ist das alles kein Problem – er schreibt mir: Im Brandschutzkonzept wird nachgewiesen, dass die Selbstrettung in allen Szenarien sicher durchgeführt werden kann.
Ich frage mich da wirklich, ob Herr Dietrich die Stellungnahme der Firma Gruner überhaupt gelesen hat?
Herr Dietrich zur Rettung mobilitätseingeschränkter Menschen:
Mit der Fremdrettungsphase setzt ein weiterer Baustein des Sicherheitskonzepts an. Aus allen vier Himmelsrichtungen können Rettungskräfte auf kurzen Wegen in den Bahnhof
strömen, um den Brand zu bekämpfen und einzelne verbliebene Reisende zu evakuieren.
Bei Gruner klingt das deutlich anders:
Darüber hinaus ist festzuhalten, dass immer noch keine stringente plangrafische Darstellung des Konzepts und der Fluchtwegführung vorliegt. Die Fremdrettungsphase wird nicht ausreichend berücksichtigt und die verschiedenen Schnittstellen zu Tunnelstrecken sowie angrenzenden Gebäuden werden weiterhin nicht ausreichend gewürdigt.
Auch hier beruhigt uns Herr Dietrich wieder mit Allgemeinplätzen:
Für die Deutsche Bahn AG habe die Sicherheit der Reisenden höchste Priorität. Und darüber hinaus werde das Eisenbahn-Bundesamt mit Argusaugen auf die strikte Einhaltung aller einschlägigen Regelwerke achten.
Und warum wehrt sich die Bahn dann jetzt mit Händen und Füßen gegen die Anwendung der Versammlungsstättenverordnung, wenn doch die Sicherheit höchste Priorität hat?
Und was ist mit den kurzen Wegen für die Feuerwehr?
Gruner vermisst hierfür exakte Planungen.
Gruner bemängelt auch, dass die Fluchtwege, selbst mit zusätzlichen Fluchtreppenhäusern, mit bis zu 45 Metern viel zu lang sind.
Aber was bedeuten lange Fluchtwege im Bahnhof und mobilitätseingeschränkte Menschen auf den Bahnsteigen für die Arbeit der Feuerwehr?
Dazu habe ich folgende Einschätzung:
1. Einsatzkräfte müssen bereits ab der Rauchgrenze, also noch im sicheren Bereich, Atemschutzgeräte anlegen. Ab diesem Moment gilt der Einsatzgrundsatz, dass zur
Sicherheit für den Rückweg mindestens doppelt so viel Atemluft verbleiben muss, wie bis zum Erreichen der Einsatzstelle verbraucht wurde. Bei starker körperlicher Anstrengung reicht eine übliche Atemluftflasche für etwa 17 Minuten. Dauert der Hinweg unter diesen Bedingeungen z.B. 3 Minuten, dann bleibt nur noch eine Einsatzzeit von 8 Minuten. Ab 5,6 Minuten Hinweg bleibt nach dieser Rechnung gar keine Zeit mehr für den Einsatz. Mit Zweiflaschengeräten verdoppeln sich diese Zeiten immerhin in etwa. Kurze Fluchtwege sind also auch für die Einsatzfähigkeit der Feuerwehr entscheidend!
Im Jahr 2001 dauerten die Löscharbeiten an einem brennenden ICE-Triebkopf im Bahnhof Offenbach übrigens unter optimalen Bedingungen 5 Stunden. Dort brannten knapp 3000 l Transformatorenöl und auch Leichtmetall, das sich mit Wasser nicht löschen lässt. Das Fazit der Feuerwehr war damals, dass dieser Einsatz in einem Tunnel unbeherrschbar gewesen wäre.
Aber wie schnell kann die Feuerwehr zur Einsatzstelle gelangen, wenn ihr die vom Eisenbahn-Bundesamt angenommenen, ca. 16.000 fliehenden Menschen auf den Treppen
entgegenkommen und es am unteren Treppenende bereits zu gefährlichem Gedränge kommt?
Werden verlegte Feuerwehr-Schläuche im Gedränge und bei schlechter Sicht zu tödlichen Stolperfallen?
2. Menschenrettung hat immer Vorrang vor der Brandbekämpfung. Es werden also zunächst viele Einsatzkräfte gebunden, falls mobilitätseingeschränkte Personen die sieben Meter hohen Treppen hochgetragen werden müssen, wie Bahnvorstand Kefer das auch schon per Lautsprecherdurchsage den Mitreisenden und dem Bahnpersonal vorschlagen will.
Das ist extrem anstrengend und braucht viel Zeit und Luft. Diese Belastung wird für eine Einsatzkraft kaum mehrmals in direkter Folge möglich sein.
3. Wie soll die Fremdrettung aus angeblich "sicheren" Bahnsteigbereichen nach oben durch verrauchte Bereiche erfolgen, ohne dabei die Gesundheit der zu rettenden Personen zu gefährden? Diese tragen ja keinen Atemschutz!
Es bleiben eine ganze Menge Fragen offen.
Viel mehr als Nebelkerzen waren die Antworten der Projektbetreiber bisher nicht.
Aber wir Selbstdenker lassen uns nichts vormachen.
Wir fordern deshalb vom Eisenbahn-Bundesamt und von der Branddirektion Stuttgart, dass sie sich nicht unter Druck setzen lassen und ihre gesamte Fachkompetenz kompromisslos für die Sicherheit der Menschen einsetzen.
Faule Kompromisse sind nicht verantwortbar.
Wir würden sie erkennen und niemals akzeptieren.
Als nächstes werden wir sehen, ob die Bahn als Wetterschutz für das zunächst entglaste Bahnhofsdach nun tatsächlich stellenweise die von der Stuttgarter Feuerwehr kritisierten Baumarktplanen einsetzten wird.
Stuttgart 21 ist eben nicht das bestgeplante, sondern das am besten beobachtete Projekt!
Der Brandschutzskandal beim Berliner Flughafen sollte doch für alle abschreckend genug sein denn er beweist, dass am Ende beim Brandschutz auf das Prinzip Hoffnung kein
Verlass ist.
Deshalb fordern wir: Stoppt endlich das Projekt, bevor alle schon jetzt bekannten Planungsmängel auch in Beton gegossen werden .
Murks bleibt Murks und wir bleiben oben!
Dipl.-Ing. Karsten vom Bruch, Ingenieure22 für den Kopfbahnhof
Rede HIER und das Brandschutz-Gutachten HIER, beides als PDF.
Im Brandfall zur Hauptverkehrszeit: dort, wo man sich gerade befindet die Ruhe bewahren , tief und ruhig durchatmen und den Anweisungen des Personals oder den Lautsprecherdurchsagen Folge leisten. Halt, der Strom wurde abgeschaltet. Daher besser an der Stelle, wo man sich gerade befindet tapfer ausharren bis das Personal kommt und Anweisungen erteilt, denen Folge zu leisten ist. Danach durch die Glubschaugen des Himmels Kefer und Grube im tristen Erdental zuwinken. Es ist alles bestens geregelt.
Technische Frage in die Runde: was haben die Öle in den Triebköpfen als brandhemmendende Additive oder aus was und zu welchen Anteilen bestehen diese Öle genau. Das sollte man wissen, um die Giftigkeit des Rauchgases abschätzen zu können.
Weshalb sollte denn der Strom auf dem Bahnhof abgestellt werden, wenn tatsächlich eine Lok brennen sollte?
Der Brandschutz im Hbf ist ganz einfach zu gewährleisten: Jedem Bahnkunden wird beim letzten Halt vor Stuttgart ein volles Gießkännle ausgehändigt. Voilà, geht doch! Immer dieses Ingenieure.