Rede von Hans Heydemann, Ingenieure22 für den Kopfbahnhof, auf der 135. Montagsdemo am 13.8.2012
Wussten Sie schon, dass die Stadt Stuttgart bereits im Juli letzten Jahres ein geotechnisches Gutachten von der Bahn gefordert hat? Umweltamt, Umweltminister und Baubürgermeister Hahn, alle sind sich einig, dass die Sicherheit des Kernerviertels bislang nicht ausreichend berücksichtigt ist. Doch die Bahn will davon nichts wissen und lässt ihren Gutachter, Prof. Dr. Wittke, in einer dürftigen 3½ seitigen Stellungnahme erklären, im Kerner-Viertel seien weder Hangrutsche noch Gebäudeschäden aufgrund von Gelände-Setzungen zu erwarten.
In einer Bezirksbeiratssitzung im April diesen Jahres erklärten die Bahnvertreter, ein geotechnisches Gutachten für das steile Kernerviertel halte man für unnötig, die Risiken seien 'fernabliegende Eventualitäten'. Doch um welche geht es dabei?
Um die riesige Baugrube trocken zu halten, müssen 6,8 Mio. m³ Grundwasser bauzeitlich abgepumpt werden. Dadurch sinkt der Grundwasserspiegel um etliche m ab, und zwar nicht nur im Schlossgarten, sondern auch im angrenzenden Hangfuß des Kernerviertels.
Das hat Folgen für die Standsicherheit des Hanges. Wird nämlich dem Untergrund Wasser entzogen, können dabei feinste Teilchen ausgeschwemmt werden; die bislang feuchten Bodenschichten fallen trocken. All dies führt zu Setzungen mit Rissbildungen an den Gebäuden. Zudem verringert sich dadurch die Festigkeit des Bodens am Hangfuß; ein Nachgeben und Abrutschen des Hanges ist dann nicht mehr auszuschließen – mit schwersten Schäden als Folge!
Um die Grundwasser-Absenkung nicht zu groß werden zu lassen, wird der größte Teil des abgepumpten Grundwassers über Schluckbrunnen wieder in den Untergrund eingeleitet, so auch am Kernerplatz und am Schützenplatz, jeweils mehrere hunderttausend m³. Der Untergrund ist hier recht heikel; es besteht die Gefahr, dass die z.T. schräg aufeinanderliegenden Schichten am Hang dabei durchnässen und dadurch ihre Standfestigkeit verlieren, sodass der ganze Hang ins Rutschen gerät und dabei alles mit sich reißt!
Gelangt Wasser an die Anhydrit-Schicht, quillt diese auf, und es kommt zu Geländehebungen, ebenfalls mit Rissbildungen an den Gebäuden. Und wer kommt für diese Schäden dann auf? Die Bahn sicherlich nicht; die will noch nicht einmal die Beweislast tragen! Am Ende werden die Betroffenen alles selber übernehmen müssen!
Sollte gar die 10 m hohe Stützmauer an der Hausmannstraße nachgeben und einstürzen, werden die darunter stehenden Häuser verschüttet, es wird Tote und Verletzte geben! Ähnliches geschah vor drei Jahren in Nachterstedt unweit Magdeburg, als dort am 18.7.2009 nachts plötzlich ein riesiges Stück Land in den benachbarten Tagebau abrutschte, den man geflutet hatte. Dabei wurden zwei Wohnhäuser mit in die Tiefe gerissen; es gab drei Tote, die ganze Siedlung musste aufgegeben werden. Ursache für den Hangrutsch: Die fortdauernde Durchfeuchtung der unteren Bodenschichten durch den künstlichen See. Niemand hatte damit gerechnet; die Experten der Grubenverwaltung hielten alles für sicher.
Auch in Stuttgart sind früher schon Hangrutsche aufgetreten, etwa an der Wera-Straße im Kernerviertel, am Kriegsberg bei der IHK sowie an der Happoldstraße in Feuerbach. Und ausgerechnet an diesen Stellen will die Bahn die S-21-Tunnel bauen!
Erinnert sei auch an die misslungene Probebohrung Nr. 203 im Sommer 2009 in der Haußmannstraße oberhalb des Kernerviertels im Bereich der Jugendherberge, die wegen unerklärbarer Wasserverluste eiligst abgebrochen und mit Beton verschlossen wurde, um einen möglicherweise drohenden Hangrutsch zu vermeiden. Dort sind 200.000 l Bohrwasser in unbekannten Hohlräumen verschwunden und unterhalb an der Werastraße wieder zutage getreten.
Beim Bau des Hasenbergtunnels für die S-Bahn im Bereich Universität gab am 26. Feb. 1981 plötzlich das Gestein nach; der letzte Tunnelabschnitt brach auf ganzer Länge ein, die Tunnelfräsmaschine wurde verschüttet, die Bewohner von 6 Häusern mussten eiligst in Sicherheit gebracht werden. Ursache: vorher nicht erkannte Spannungen im Gebirge. Die Folgen: erhebliche Mehrkosten, ein Jahr Zeitverzug! Der Gutachter, der dies nicht erkannt hatte, war Prof. Dr. Wittke, derselbe, der heute für den Fildertunnel im Anhydrit und das Kernerviertel bescheinigt, dass doch alles sicher sei! Hat der Mann in den 30 Jahren seither nichts dazugelernt? Oder ist er nur noch von der Bahn bezahlter „Scheinselbstständiger“?
Die im Anhydrit verlaufende Nordröhre des Wagenburgtunnels konnte bis heute nicht fertiggestellt werden, weil schon während der Bauzeit 1954 dort Quellungen auftraten. Der Fildertunnel ist in unmittelbarer Nähe geplant!
In der Stuttgarter Zeitung war kürzlich zu lesen, dass beim Bau des Engelberg-Tunnels bei Leonberg, der auf etwa 430 m Länge durch Anhydrit verläuft und ein Dauersanierungsfall seit Anbeginn ist, 100 Wohnhäuser, z.T. 80 m über dem Tunnel gelegen, Risse bekommen haben und zwei Häuser so schwer beschädigt wurden, dass diese abgebrochen werden mussten.
In Amsterdam wurde 2002 gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung mit dem Bau der Nord-Süd-Metrolinie begonnen, die 2011 in Betrieb gehen und nicht mehr als 1,4 Mia. € kosten sollte. Seit 2008 sind die Bauarbeiten eingestellt, nichts geht dort mehr, nachdem in einem Tunnelstück Wasser eingedrungen und dieses behelfsweise wieder mit Sand verfüllt wurde, um weitere Schäden zu verhindern. Mehrere Häuser sind dabei bis zu 20 cm abgesackt und unbewohnbar geworden. Niemand weiß, wie es weitergehen soll; die Kosten sind auf 2,4 Mia. € gestiegen, Amsterdam hat sich in die Pleite gebohrt.
Sollen wir mit S-21 ähnliche Erfahrungen machen müssen mit Gebäudeschäden oder gar abrutschenden Hängen? Nein Danke!
Es ist immer und überall dasselbe: Erst wird alles heruntergespielt und schöngeredet; wenn dann etwas schiefgeht, will keiner die Verantwortung dafür übernehmen. Nie werden die Verantwortlichen je dafür zur Rechenschaft gezogen.
Jetzt müssen wir alles dafür tun, dass es ohne geotechnisches Gutachten keine Zustimmung zur beantragten 7. Planänderung gibt. Hinterher wird es zu spät sein! Die Stadt muss darauf bestehen, dass das von ihr geforderte Gutachten auch tatsächlich gemacht wird. Darauf müssen wir unsere Gemeinderäte und auch alle Bürgermeisterkandidaten verpflichten. Die Stadt muss sich weigern, ohne ein solches Gutachten zu den beantragten Änderungen Stellung zu nehmen.
Dieses geotechnische Gutachten der Bahn muss für alle zugänglich veröffentlicht werden. Und es muss vom geologischen Landesamt Freiburg geprüft werden, so wie es Minister Untersteller ganz richtig angekündigt hat.
Und wir werden weiter auf der ganz einfachen und wirklich sicheren Lösung all dieser Probleme bestehen: Verzicht auf den Kellerbahnhof mit seinen 66 km Tunnels samt allen Risiken und Unzulänglichkeiten und Erhalt des Kopfbahnhofs!
Bei der Sitzung Bezirksbeirats-Mitte 16.04.2012 hat einer der Mitarbeiter der Bahn-Projektbau eine direkte Einsichtnahme bei den Gutachten zur Grundwassermenge abgelehnt. „Man wolle dem EBA nicht vorgreifen.“ Aber auf nachhaken durch Fr.Kienzle meinte er „man könne sich direkt ans EBA wenden.“
Die sitzen da so vereinsamt in ihrem Büro und freuen sich sicher über soziale Kontakte.