Rede von Dr. Dietrich Heißenbüttel, Journalist, Kritiker und Kunsthistoriker, bei der 127. Montagsdemo am 18.6.2012
Das Problem der Stadtzerstörung, das in den vergangenen Jahren unzählige Stuttgarter auf die Straße getrieben hat und das mit der Demolierung des Wahrzeichens Hauptbahnhof und des Schlossgartens seinen traurigen Höhepunkt erreicht hat, beginnt mit der Privatisierung öffentlichen Eigentums, in diesem Fall in erster Linie des ehemaligen Güterbahnhofsgeländes. Bereits 1986 erwog die Bahn, das Gelände zu veräußern.
1994 war die damalige SüdwestLB, die heutige Zentrale der LBBW, fertiggestellt. Im selben Jahr trat das Eisenbahnneuordnungsgesetz in Kraft und sämtliche Stuttgarter Zeitungen meldeten auf ihren Titelseiten, dass eine „Machbarkeitsstudie“ in Auftrag gegeben werden, die die Umwandlung des Kopfbahnhofs in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof prüfen solle.
Ein Jahr später erwarb die Deutsche Gesellschaft für Immobilienfonds (Degi) das Zeppelincarré, wo die SüdwestLB vorher ansässig gewesen war, zum Preis von 261 Millionen Euro (nach Auskunft des Stuttgarter Immobilienbriefs). Damit begann die groß angelegte „Revitalisierung“ ganzer Straßenquadrate des Stuttgarter Innenstadtgebiets, die, während sich die Montagsdemonstranten Woche für Woche am Bahnhof versammelten, die halbe Innenstadt – und nicht nur die – auf den Kopf gestellt hat.
Der repräsentative Haupteingang zum Killesbergpark: Kahlschlag. Kronen-Carré, Postdirektion, das ehemalige TWS-Gebäude – heute Bülow-Carré –, das riesige Gelände an der unteren Königstraße, in dem der Peek & Cloppenburg sitzt, der ehemalige Stammsitz der Landesgirokasse, genannt Phoenixbau, bis hinauf zur Paulinenbrücke, wo weitere 21 000 m² Büros, 24 000 m² Läden – und insgesamt 105 Wohnungen geplant sind.
Es ist nicht so, dass dies alles einem Bedarf folgt. Rund um die Straßenschneisen der autogerechten Stadt hängen überall Transparente: Provisionsfreie Büroflächen, Quadratmeter in ihrer schönsten Form, 4000 m² freie Flächen kurzfristig verfügbar, Schöner können die Aussichten nicht sein – 5000 m² revitalisierte Bürofläche zu vermieten … 460 000 m² leer stehende Büroflächen waren im April 2008 – also vor der Pleite des Bankhauses Lehmann Brothers – nach Auskunft des Bankhauses Ellwanger und Geiger nicht mehr vermietbar
Wenn mit dem Gerber und dem ECE an der Heilbronner Straße die zwei größten innerstädtischen Shoppingmalls eröffnen, werden die Stuttgarter real nicht mehr in der Tasche haben als heute. Sie können ihr Geld allenfalls anderswo ausgeben. Das bedeutet, die innerstädtischen, eigentümergeführten Geschäfte werden eines nach dem anderen zumachen. Viele der Traditionsgeschäfte gibt es ja bereits nicht mehr, wie z.B. Steinmann oder Martz oder sie haben ihre Innenstadtläden geschlossen oder überleben nur als Marke wie Feinkost Böhm. Schildknecht „Stuttgarts erstes Möbelhaus“ ist insolvent.
Dies kommt nicht von ungefähr. Wenn anderswo, etwa im Stilwerk, immer weitere Geschäfte für Möbel eröffnen, die sich von Ikea und Inhofer unterscheiden sollen, geht die Rechnung für diejenigen, die sich den Kuchen jetzt mit anderen teilen sollen, nicht mehr auf. Bevor das Areal hinter dem Königsbau an Stilwerk abgegeben wurde, war die Stuttgarter Hauptpost gerade komplett renoviert worden. Die wurde dann abgerissen, die Post bekam nur noch ein muffiges Kabuff, und in den oberen Etagen begannen schon drei Jahre nach der Eröffnung die Schwierigkeiten. Das Stilwerk, „Drehscheibe für Einrichtung, Design und Lifestyle“ hatte der Stadt ein günstiges Angebot gemacht, dort die Stadtbücherei unterzubringen. Die hat abgelehnt, weil das Gelände A1 – der ehemalige Güterbahnhof, seit mehr als einem Jahrzehnt leer stand. Heute verbergen Schilder, die Umbau und Wiedereröffnung ankündigen, nur notdürftig, dass die Läden kaum an den Mann zu bringen sind.
Erfolge verkünden das Postquartier und das Bülow-Carré an der Stelle der früheren Technischen Werke. Dort hat ein „Ankermieter“, das Anwaltsbüro Gleiss & Lutz, das Stefan Mappus beim EnBW-Deal beriet, die Hälfte der Büroflächen gemietet. Im Fall der früheren Postdirektion ist es das Land selbst, das die Hälfte der Büros mietet. Die Postdirektion befindet sich dort nicht mehr, seit das Gebäude 1976 im Zuge des S-Bahn-Baus baufällig wurde und bis auf den letzten Stein ab- und wieder aufgebaut wurde. Zuletzt hat der Investor Hines aus Texas das Gebäude für 100 Millionen erworben und angeblich für 130 bis 140 Millionen Euro der Baden-Württemberg-Stiftung verkauft, einer 100%igen Tochter des Landes mit dem Aufsichtsratsvorsitzendem Winfried Kretschmann. So lässt sich mit öffentlichen Geldern die Fiktion aufrecht erhalten, dass Immobilien im Talkessel heiß begehrt seien.
Das sind sie nur bedingt. Aber im weltweiten Finanzkapitalismus gibt es auf der einen Seite Verlierer, die nicht wissen, wovon sie leben sollen, und auf der anderen Gewinner, die nicht wissen wohin mit ihrem Geld. Nach den Finanzkrisen 1997 und 2001 hat sich herumgesprochen, dass reine Finanzspekulationen ein riskantes Geschäft sind. Seither stürzen sich die Investoren auf Immobilien. Die Frage ist nicht, ob sich die Bauten verkaufen oder vermieten lassen, sondern ob sich Anleger davon überzeugen lassen, ihr Geld dafür zur Verfügung zu stellen. Stuttgart geht es wirtschaftlich verhältnismäßig gut, in anderen Städten gibt es höhere Leerstandsraten. Damit ist die Stadt für Investoren ein gefundenes Fressen. Das muss nicht immer gut ausgehen. Nach Auskunft des Immobilienbriefs hat die Degi, die das Zeppelincarré 1991 für 261 Millionen erwarb, es 2007 für nur 150 Millionen verkauft.
Übrigens hat die Dresdner Bank, die die Degi-Immobilienfonds als Tochter der Allianz ursprünglich ins Leben gerufen hat, während der Krise 2008 ihre eigenen Anteile schnell wieder zur Seite geschafft und die Fonds an ein Aberdeen Investment aus Schottland verkauft. Die Anleger, die nun ebenfalls ihr Geld herausziehen wollten, kamen zu spät. Die Fonds waren, wie es das Gesetz in besonderen Fällen zulässt, für die nächsten zwei Jahre geschlossen. Momentan werden sie abgewickelt, das heißt der gesamte Besitz wird verkauft und ihren Anteilen entsprechend an die Anleger verteilt. Selbstverständlich nur ein Teil ihrer Anlagen. Aber die Allianz, die ihnen nun einen angeblich günstigen Vergleich anbietet, ebenso wie die Bauunternehmen und andere Beteiligte, haben mit den Immobilien ein gutes Geschäft gemacht.