Die Cannstatter gegen Stuttgart 21 berichten von der Reaktion der Bahn auf eine Flyerverteilaktion im Cannstatter Bahnhof:
2 Jahre Hausverbot im Cannstatter Bahnhof für das Verteilen des Tunnelblick
"Die Repression gegen den S21 Widerstand hat viele Facetten. Die Ausübung des Hausrechts in Bahnhöfen durch die Bahn AG ist nur eine davon. Davon betroffen zwei Aktive der Cannstatter Initiative gegen S21, die - wie mehrere Male zuvor - Ende April im Cannstatter Bahnhof die neueste Ausgabe des Tunnelblick an Bahnreisende und Passanten im Cannstatter Bahnhof verteilten. Die „Stationsaufsicht“ beließ es nicht dabei, den bahn-eigenen Sicherheitsdienst mit 3 Mann herbeizuzitieren, sondern setzte auch noch 4 Mann + eine Frau der Bundespolizei in Bewegung, um diese missliebige Form der Öffentlichkeit gegen das Projekt S21 zu unterdrücken.
Die Flugblattverteiler wurden aufgeklärt, dass Flugblatt verteilen nur mit Erlaubnis der Bahn möglich sei, ob denn eine solche eingeholt worden wäre. Dies wurde verneint. Die Aktiven betonten, dass sie auch nicht vorhätten, bei der Bahn um Erlaubnis zu bitten, sondern es als ihr gutes Recht auf freie Meinungsäußerung betrachteten, Flugblätter zu verteilen. Dies sei auch durch höchstrichterliche Rechtsprechung gedeckt.
Schließlich hatte das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil von Februar 2011 (1 BvR 699/06) bezogen auf die Flughafengesellschaft FRAPORT entschieden, dass "ein von der öffentlichen Hand beherrschtes gemischtwirtschaftliches Unternehmen in Privatrechtsform ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung unterliegen. Die in Artikel 5 GG gewährte Meinungsfreiheit schützt das Äußern einer Meinung nicht nur hinsichtlich ihres Inhalts, sondern auch hinsichtlich der Form ihrer Verbreitung. Hierzu gehört namentlich das Verteilen von Flugblättern, die Meinungsäußerungen enthalten. Geschützt ist darüber hinaus auch die Wahl des Ortes und der Zeit einer Äußerung. Der sich Äußernde hat nicht nur das Recht, überhaupt seine Meinung kundzutun, sondern er darf hierfür auch die Umstände wählen, von denen er sich die größte Verbreitung oder die stärkste Wirkung seiner Meinungskundgabe verspricht."
Die Bundespolizisten hatten von dem Urteil noch nichts gehört. Details von Recht und Gesetz belasten nur die Ausübung der Exekutivgewalt, deshalb wurde hurtig zur Tat geschritten. Den Flugverteiler wurde unter Aufsicht und mit Unterschrift des ton-angebenden Polizeibeamten schriftlich ein Hausverbot für 2 Jahre erteilt: „… auf Grund des Hausrechtes der DB Stations & Service AG verbieten wir ihnen, ab sofort bis zum 25.04.2014 den Bahnhof Bad Cannstatt einschließlich seiner Einrichtungen (Toiletten etc.) zu betreten.“
Mit Rücksichtnahme auf die eigenen Geschäfte werden die Betroffenen nicht generell vom Bahnverkehr ausgeschlossen. „Sie haben sich in diesem Fall jedoch auf dem kürzesten Weg unverzüglich zu und von den Zügen zu begeben.“ So weit, so lächerlich.
Mittlerweile habe die betroffenen Flugblattverteiler Widerspruch bei der Bahn angelegt, weil die bestehende Hausordnung geltendem Recht widerspricht. Sie fordern die Bahn auf, die Hausordnung umgehend zu ändern und Ihr Personal darauf hinzuweisen. Desweiteren fordern sie, das widerrechtliche Hausverbot umgehend aufzuheben.
Angesichts der Massivität des Einsatz staatlicher und privater Sicherheitsorgane zur Unterdrückung einer Meinungsäußerung gegen das „dümmste Bahn-Projekt der Welt“ fragt man sich schon, ob die Verantwortlichen noch alle Tassen im Schrank haben oder ob sie selber ihrer Jubel-Propaganda über den Sieg bei der Volksabstimmung und die angebliche Befriedung der politischen Auseinandersetzung nicht so recht glauben wollen. Gleichwohl rührt die hier mit dem Hausrecht ausgefochtene Auseinandersetzung auch an ein Grundsatzproblem in einer Zeit, in der zunehmend öffentliche Räume privatisiert und kommerziellen Verwertungsinteressen unterworfen werden. Die Frage ist, ob Eigentümer privater Gesellschaften und im öffentlichen Besitz befindliche Unternehmen Demonstranten daran hindern dürfen, ihr Grundrecht auf Demonstrations- und Meinungsfreiheit auszuüben. Folgen einer Verweigerung der Ausübung des Grundrechtes wäre es, dass viele öffentliche Räume zu meinungsfreien Zonen degenerieren würden oder die dort befindlichen Menschen nur noch kommerzieller Werbung oder interessengeleiteter Information der Eigentümer ausgesetzt wären.
Wer hiergegen angehen will, hat das höchste Gericht des Landes momentan auf seiner Seite. Umso wichtiger ist es, dieses Recht auch in Anspruch zu nehmen."
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