Aus „Schwäbische Tagwacht“ vom 25.10.1928
DIE GEFÄHRDETEN MINERALQUELLEN CANNSTATTS
Wie vor kurzer Zeit durch die Presse bekannt wurde, stieß man bei Bohrversuchen auf der Berger Insel am 5. Oktober auf eine starke Mineralquelle. Aus einer Tiefe von 29 1/2 Meter hervorsprudelnd, brachte die Quelle eine Wassermenge von 120 bis 125 Sekundenlitern. Nach einer Berechnung ist dies fast das ganze Ergebnis der Groß-Stuttgarter Mineralquellen.
Diese Nachricht verursachte in weiten Teilen der Cannstatter Bevölkerung Unruhe. Es bestand die Befürchtung, dass durch diese Bohrung die Cannstatter Mineralquellen in Mitleidenschaft gezogen würden. Schon einmal wurden in früherer Zeit durch Bohrungen die Brunnen ja geschädigt, dass damals die Regierung auf Antrag der Cannstatter Stadtverwaltung jedes weitere Bohren nach artesischen Brunnen in Cannstatt und Umgebung verbot. Dass die Befürchtungen nicht grundlos waren, zeigte sich bald. Schon nach wenigen Tagen versiegte das Veielbrünnele in der Fabrikstraße. Gleich darauf ließ das Wasser an dem starken Wilhelmabrunnen im Kursaal merklich nach. Nach Verlauf von etwa 8 bis 10 Tagen lief das Wasser in dem Wilhelmabrunnen, der normal 60 bis 70 Sekundenliter gab, so schwach, dass man beispielsweise zur Füllung einer Literflasche etwa 5 Min brauchte. Die Auswirkung der Bohrung erstreckte sich aber, wie es sich allmählich herausstellte, auf ALLE Cannstatter Quellen. Nicht nur bei den Brunnen und im Leuzeschen Mineralbad ließ die Wasserergiebigkeit beträchtlich nach, und auch bei allen Cannstatter Mineralbädern trat ein Rückgang des Wassers ein. Sogar der artesische Brunnen im Wilhelmagarten setzte aus. Beschwerden der Geschädigten an die Stadtverwaltung setzten ein. Auch die Cannstatter Ärzte warnten öffentlich. Unter den geologischen Sachverständigen bestand Meinungsverschiedenheit. Der eine Teil der Sachverständigen befürchtete, dass selbst nach Bestopfung der neu erbohrten Quelle die Gefahr bestünde, dass das Wasser nicht mehr in die leergelaufenen Stränge zurückkehre, sondern sich in der Richtung der Bohrung einen neuen Weg suchen würde. Die Gegenseite erklärte, dass nach Abdrosselung der neuerbohrten Quelle das Wasser wieder in seine alte Kanäle zurückkehrte und nach einigen Tagen die Brunnen Cannstatts in alter Stärke wieder sprudeln würden. Recht behalten haben die letzteren.
“Vorige Woche wurde die Quelle auf der Insel wieder abgedrosselt”
Schon nach einigen Tagen gab der Wilhelmabrunnen im Kursaal wieder mehr Wasser und wird voraussichtlich bald wieder in gewohnter Weise sein Wasser spenden. Auch das Veielbrünnele , das zunächst noch weiter untätig blieb, setzte vorigen Sonntag zur Freude der dortigen Nachbarschaft und aller Naturfreunde wieder ein.
Durch die Bohrung ist aber wieder aufs neue erwiesen, dass die unterirdischen Bohrungen vorsichtig vorzunehmen sind. Wenn schon nach Fertigstellung des Neckarkanals der Brunnen auf der Berger Insel errichtet werden soll, so sollte er nicht stärker als der eingegangene erschlossen werden. Eine Bohrung von 18 Zentimeter würde vollständig genügen um eine Wasserstärke, die bei dem eingegangenen Brunnen etwa 40 Sekundenliter betrug, wieder zu erhalten. Es sollte nicht mehr zugelassen werden, dass wieder eine Bohrung von etwa 70 Zentimeter Durchmesser vorgenommen wird, welche, wie es sich gezeigt hat, beinahe sämtliche Cannstatter Quellen zum Versiegen brachte.
Da es bis jetzt nicht einwandfrei festzustellen war, ob die Bohrungen im Auftrag der Neckarbaudirektion, oder der Stadtverwaltung vorgenommen wurde, wäre es Sache des Gemeinderates, hier nach dem Rechten zu sehen. Begreiflich ist es, dass die Geschädigten und weite Kreise der Cannstatter Bevölkerung warnen und für die Erhaltung ihrer Naturschätze eintreten. - A.h. - Artikel ENDE.
Stuttgart hat das zweitgrößte Mineralwasservorkommen Europas. Die Bahn sieht für die Mineralquellen keine Gefahren und schreibt zum Bau von S21 auf Ihrer Homepage: Die mineralwasserführenden Schichten sind über 30 bis 50 Meter unter dem Bahntunnel. Durch Ausgleichsmaßnahmen beim Grundwasser wird eine Veränderung der Hydrogeologie verhindert. Damit kann kein Mineralwasser aufsteigen.
Der Geologe Martin Schaffer (kein S21-Gegner) hingegen ist aufgrund der Bohrungen für ein Mineralbad in Esslingen, deren Ergebnisse in einem Fachaufsatz veröffentlicht wurden, hoch besorgt um den Heilquellenschutz. Der Geologe hat dies auch schriftlich in einem Brief im Februar 2011 an Kanzlerin Merkel, Mappus und Schuster beklagt und nie eine Antwort erhalten. Ein Interview im Stern.
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