Erlebt und berichtet von Petra Brixel
„Wir … hoffen auf die Vernunft der übriggebliebenen Projektgegner“, sagte Norbert Walz, der für die polizeiliche Parkräumung zuständige Leiter. Trotz der Pressemitteilungen der Polizei am 9. und 10. Februar, die an die „übriggebliebenen Projektgegner“ gerichtet waren, machten sich bei eisigem, ansonsten fantastischem Wetter viele Stuttgarter Bürger und Bürgerinnen am Sonntagnachmittag auf den Weg in den Mittleren Schlossgarten. Und wer dabei war, im sonnendurchfluteten Park ein paar Stunden zu verbringen, wurde belohnt mit einem abwechslungsreichen Programm, mit Kaffee, Tee und Kuchen und vielen intensiven Begegnungen mit Parkliebhabern. Wider alle Vernunft - angesichts des Parkbetretungsverbots – nahmen sie an den Veranstaltungen teil.
Nur vier Tage hatte es gebraucht, bis die Blockadegruppe der Parkschützer die Zusagen der Musiker, Redner, Experten für Bäume und Geschichte und einen Tanzlehrer für den Sonntagnachmittag hatte. Natürlich machten sie alles ehrenamtlich - riesengroßer Dank am Schluss! - und reagierten wie Willi von der „Lokomotive“, der sofort meinte: „Ist doch klar, dass wir am Nachmittag spielen“. Drei Stunden waren die Trommler zu hören – der vertraute Herzschlag der Bewegung. Den Anfang des Nachmittags machte Bruno Baumann mit seiner legendären Baumführung, die nach 1 ½ Stunden wie im Rausch vorbei war. „Warum tue ich mir so eine Baumführung noch an“, fragte eine Teilnehmerin, „wenn ich weiß, dass diese Bäume nächste Woche schon nicht mehr stehen?“ Doch prompt kam die Antwort: „Bruno macht nächsten Samstag und Sonntag wieder Führungen um 12 Uhr, da müssen die Bäume noch stehen.“ So sind sie halt, die "übriggebliebenen Projektgegner" – wider alle Vernunft, ohne Einsicht, hartnäckig und volle Hoffnung!
Beim Weg kreuz und quer durch den Mittleren Schlossgarten stieß man auf eine ganz besondere Gruppe von Parkschützern: die Geomantiegruppe. Sie beschäftigt sich mit den energetischen Kraftplätzen in der Stadt, zu denen auch der Park und die Mineralquellen gehören. Die Gruppe arbeitet seit langem mit der Natur, d.h. den Bäumen und erlebt die bevorstehende Rodung des Parks als einen Verstoß gegen Naturgesetze. An zwei Stellen, wo eine ganz besondere Energie erspürt wurde, baute die Gruppe aus Eis und Schnee ein Kosmogramm als Energiebild. Eine Teilnehmerin war fest überzeugt: „Egal, ob die Bäume fallen, die Energie wirkt in den Menschen weiter und wir werden der Natur weiter helfen und das unsägliche Projekt mit unseren Mitteln zu verhindern versuchen. Wir spüren die Kraft in uns.“
Am offenen Mikrofon wurden dann Sachthemen angesprochen wie die Mischfinanzierung und warum weder Gerichte noch MP in der Lage sind, sich der Rechtswidrigkeit des Projekts und insbesondere der Parkrodung anzunehmen. Der Liedermacher Thomas Felder spielte als special guest, dann wurden selbst gemachte und in Büchern gefundene Gedichte zum Thema Widerstand vorgetragen, wobei Gedichte des Lyrikers Erich Fried den Nerv des K21-Widerstands trafen. Viel Beifall bekam das Gedicht: „Wer herrscht hier? Fragte ich. Sie sagten: Das Volk natürlich. Ich sagte: Natürlich das Volk. Aber wer herrscht wirklich?“
Am späten Nachmittag gab es noch zwei Highlights, bei denen man sich fragte: Warum nicht schon früher? Wer am gestrigen Sonntag dabei war, wird´s nicht vergessen. Zunächst führte die Stuttgarter Stadtführerin Andrea Welz durch den Mittleren Schlossgarten; vom Graf-Eberhard-Denkmal zur Lusthaus-Ruine und an die Geburtsstelle des Stutengartens. Anschaulich und beeindruckend wurde wieder einmal vor Augen geführt, wie viel Stuttgarter Geschichte mit diesem Teil des Parks verbunden ist. Schmerzlich war die Erkenntnis, dass auf frevelhafte Weise die Wiege Stuttgarts, die Geburtsstätte der Stadt, die Urzelle – der Stutengarten, gegründet im Jahr 945 – geschändet werden soll. Dort, im Sumpfgebiet des Nesenbachs, gleich neben dem heutigen Planetarium, entstand einst Stuttgart. Wen interessiert´s? Die „übriggebliebenen Projektgegner“! Trotz aller Traurigkeit ob dieser demnächst verloren gehenden Geschichtsstätte, konnte die Zuhörer oft herzlich lachen über Andreas Welz´ Ausführungen über Herzöge und Könige, über Schiller und Bürgersleut, die in Stuttgart nicht immer brav waren und sich auch so manchen Widerstand leisteten.
Wer nun kalte Füße hatte (wer eigentlich nicht?), konnte sich beim Sonnenuntergang dem Tanzkurs von Siggi Bubik anschließen. Dazu hatte die Gruppe „S21 – international“ eingeladen. Zu angeleiteten Kreistänzen aus dem Baskenland, der Bretagne und dem Susatal/Norditalien gab es Informationen über Großprojekte und die Widerstandsbewegungen dieser Länder. Siggi hatte die CDs mit fetziger Musik und Verstärker mitgebracht, und beim Tanzen wurden dann die Eisfüße wieder so richtig warm. Um 19:30 gab es einen Walzer! Aber nicht den Letzten, denn wer an diesem Sonntagnachmittag im Park war, konnte einfach nicht glauben, dass es ein letztes Mal gewesen sein sollte. Deshalb tanzten wir auch keinen Last Waltz!