Besucht und kommentiert von Petra Brixel
Ja, es gibt ihn noch – den Widerstand. Und nein, wir sind nicht gebrochen! Das sind doch gute Nachrichten, knapp eine Woche nach der ernüchternden Volksabstimmung. Deutlicher konnten es die mehr als 100 Buttonträger/-innen am vergangenen Freitag, 2. Dezember, auch nicht zeigen, bei der Ausstellungseröffnung in der Galerie Medialink in Stuttgart Mitte. Sie drängten sich bei Punsch, Resist-Bier und Häppchen um 38 großformatige Bilder des Stuttgarter Fotografen Jens Volle zu würdigen. Für etliche Teilnehmer der Bewegung war es das erste Mal nach dem Volksentscheid , dass sie wieder mit ihren Mitstreiter(inne)n zusammenkamen, hatten sich doch viele zum Nachdenken und Analysieren zurückgezogen. Das Fazit wurde in den Gesprächen rund um die Vernissage schnell klar: Wir sind wieder da, wir sind immer noch gegen das Bahnhofsprojekt, wir werden weiterhin einen vielfältigen Widerstand machen!
Für dieses Statement sind Jens Volles Fotos geradezu ein Manifest. Mit dem Untertitel „Staatsmacht trifft auf Bürgerwillen“ zeigen die Bilder seine Intention: Als „Konservator von Momenten und Erfahrungen“ will er den Protestlern, aber auch Polizisten ein Gesicht geben. Er porträtiert die menschliche Ebene des Aufeinandertreffens von Polizei (Staatsmacht) und Bürgern. Erschreckend deutlich wird dabei das uniforme, martialische Auftreten der Polizei („in der Masse sind wir stark“) und die in sich ruhende Entschlossenheit des einzelnen Menschen im zivilen Widerstand. Die Botschaft seiner Bilder? „Geht von der Hass- und Gewaltebene auf die menschliche Ebene, ein Appell an beide Seiten!“
Wo ziviler Widerstand auf Staatsgewalt trifft, gibt es immer eine Grauzone, diese Fast-Berührungen, diese Aura, die auf beiden Seiten verletzt werden kann, diese wenigen Meter Abstand zwischen Uniform- und Buttonträger, zwischen Schlagstock und Trillerpfeife. Und hier geschehen die Begegnungen, die Jens Volle mit seiner Kamera einfängt, dokumentiert. Auf einigen Bildern sind es die Blickkontakte zwischen Polizisten und Blockierern, die den Zuschauer berühren. Es ist aber auch die lässige, mutige, gleichzeitig entschlossene Körperhaltung von Demonstranten, die mittels der Bilder unseren Respekt einfordert.
Jens Volle hat die 38 Bilder mit Datum und Ort der Aufnahme versehen. Die Fotos wurden am Nordflügel, im Mittleren Schlossgarten und am Grundwassermanagement gemacht, zwischen September 2010 und Oktober 2011. Es sind nicht die bekannten spektakulären Fotos des 30.9., sondern Bilder ganz „normaler“ Einsätze, die die Übermacht der Staatsgewalt und deren Zusammentreffen mit dem einzelnen Bürger zeigen. Es sind bewusst vor den Polizisten stehende, sitzende oder auch trommelnde Bürger, mit Blumen oder Demoschildern in den Händen. Es ist eine Hommage an den Einzelnen, an den entschlossenen Bürger im Widerstand, der mit seiner Haltung und seinem Gesichtsausdruck sagt: „Ich weiche nicht, aber ich bin nicht euer Feind. Ihr könnt uns abdrängen, wegtragen, wegzerren, aber wir bleiben friedlich und ihr könnt uns nicht brechen“.
Jens Volle, der nach dem Abschluss seines Studiums des Fotodesigns als freier Fotojournalist arbeitet, eröffnete die Ausstellung nach einem musikalischen Auftakt durch das Posaunenquartett „Posart“ mit einer Rede, in der er auch Peter Grohmann und den „Anstiftern“ für die finanzielle und ideelle Unterstützung dankte. Er sprach über seine persönlichen Beweggründe, der Widerstandsbewegung gegen S21 ein fotografisches Gesicht zu geben. „Ich möchte aus der Mitte heraus den Augenblick und die Situation festhalten. Das Wichtigste und Wertvollste daran ist das Zusammentreffen völlig unterschiedlicher Menschen, die alle ein gemeinsames Ziel haben: die Verhinderung von Stuttgart 21. Ein genauso interessanter Aspekt sind die Begegnungen mit der Polizei, die schon zum Alltag eines Projektgegners gehört. Die Motivation dieser Begegnungen könnte unterschiedlicher nicht sein: Die S21-Gegner wollen das Projekt verhindern, die Polizisten müssen sich für dessen Verwirklichung einsetzen.“
Dieses Aufeinandertreffen von Staatsmacht und Bürgerwillen versucht Jens Volle seit eineinhalb Jahren einzufangen. Schon während seines Studiums schloss er sich der Bewegung an, aus persönlich-politischen wie auch beruflichen Gründen. Als Fotograf vermochte er sich – obwohl oftmals mitten im Geschehen – über die eigentliche Situation zu stellen und das künstlerische Auge zu bewahren. Das ist einem Fotografen zugestanden, denn wo ein Demonstrant im Moment des Handelns gefangen ist und nur für diesen einen Moment des Widerstands lebt, entwickelt der Fotograf eine Außensicht und analysiert die Situation mit dem Blick der Ästhetik. Er empfindet dabei so manche Begebenheit als „reizvoll“, während der Demonstrant sich als für die Staatsmacht lästiges Objekt fühlt. Jens Volle geht mit dieser „Ästhetik der Gewalt“ jedoch behutsam um.
Obwohl Jens Volle als Fotograf nicht die Situationen und ihre Protagonisten bewertet, wird doch klar, auf welcher Seite er als Mensch steht. Und das sagt er in seiner Ansprache selber: „Im Laufe der vielen Monate bin ich zu einem festen Bestandteil der Bewegung geworden, zu der ich mich selbstverständlich selber auch zähle“. Privat, beruflich und auch in politischer Hinsicht sieht Jens Volle seine Tätigkeit als „Fotograf der Bewegung“ als Bereicherung an, er schätzt sich glücklich, diese drei Aspekte vereinen zu können. Wer in der Bewegung aktiv ist, kennt Jens Volle und seinen behutsamen Umgang mit Menschen bei Blockaden und Demonstrationen. Jens Volle konnte ein Vertrauen aufbauen, das diese Bilder rechtfertigen. Dass er mit seinem umfangreichen Material verantwortlich umgeht, davon können Demonstranten ausgehen. Leider wurde auch er von einer Hausdurchsuchung und Beschlagnahmung seines PC nach dem 20.6.2011 nicht verschont. Ein Fotograf, der in eine Bewegung eingebettet ist, mag für die Polizei ein „digitaler Schatz“ sein, was jedoch eine Hausdurchsuchung angesichts von Pressefreiheit nicht legitimiert.
Beim Gang durch die Ausstellung sollte man sich die Fotos unter verschiedenen Aspekten ansehen. Da gibt es Themen wie „Eine/r gegen alle“ - „Gesichter“ –„Ihr könnt uns wegtragen, aber wir kommen wieder“ – „In Nacht und Nebel“ oder „Individualität gegen Uniformiertheit“ . Dabei ist Jens Volle der Perspektivwechsel wichtig. Er begibt sich z.B auf die Ebene des Sitzenden oder dokumentiert das Schuhwerk der Kontrahenten; er stellt oftmals die schiere Masse der Polizisten dem Einzelnen gegenüber, gibt aber auch in einigen Aufnahmen dem „Bürger in Uniform“ ein Gesicht. Jens Volle gebührt Dank, einer der gewissenhaften Fotografen zu sein, die Bilder jenseits von Grinsegesichtern und Siegesjubel machen. Das tut gut in diesen unruhigen Zeiten.
Jens Volle wusste bei der Festlegung für den Termin der Vernissage nicht, wie die Volksabstimmung ausgehen würde. Nun werden seine Bilder sicher mit Wehmut, aber auch Reflektionen betrachtet. Schon am Freitagabend gaben die Fotos Anlass zu Diskussionen und persönlichen Berichten. So mancher fand sich darauf wieder, viele Situationen hatte man gemeinsam durchstanden. Für die Widerstandsbewegung ist diese Ausstellung eine gute Gelegenheit, ihre Identität zu festigen und stolz zu sein auf das, was sie erreicht hat. Die Bewegung wird es wertschätzen, einen so sensiblen, zurückhaltenden und doch den Menschen zugewandten Foto-Archivar unter sich zu haben.
Die Fotoausstellung von Jens Volle läuft bis zum 17.2.2012
Galerie medialink, Nesenbachstraße 48, 70178 Stuttgart, Tel. 0711-2263216
Öffnungszeiten Mo-Fr 11-19 Uhr, Sa 12-15 Uhr
Ernüchternde Volkabstimmung? Die ganze Geschichte war von Anfang an eine Farce, selbst bei über 50% hätte man uns erklärt, das Quorum sei nicht erreicht und damit verloren. Ernüchternd für viele Bürger sind allerdings die Grünen, die sich seit ihrer gewonnen Wahl im „Nichtstun“, oder in aktiver Verhindung des „Kopfbahnhofs“ zeigen, wie zB HIER dokumentiert.