Der folgende Artikel wurde von Herrmann Zoller für Nachdenkseiten geschrieben. Zoller ist SPD-Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat Schwaikheim. Wir veröffentlichen den Text mit freundlicher Genehmigung.
Sie müssen schlechte Argumente und große Angst vor einer Niederlage haben: Die Befürworter der Verlegung des Stuttgarter Bahnhofs unter die Erde ziehen alle Register. Mit Schadenersatzforderungen und Horrorszenarien für den Raum Stuttgart versuchen sie Furcht zu verbreiten. Mit Angst, Schrecken und verleumderischer Propaganda sollen die Menschen davon abgehalten werden, bei der Volksabstimmung am 27. November mit Ja zu stimmen. Hermann Zoller
Sie lassen nichts aus, was es so im Werkzeugkasten der Demagogie gibt. Schon die erste Plakatserie diskriminierte die Kopfbahnhoffreunde . Die neuen Plakate sind ein herber Schlag in die Magengrube eines jeden Demokraten. Die Werbemasche eines größeren Kaufhauses abkupfernd schlagzeilen die Verfechter des Röhren-Bahnhofs mit einer Blondine mit leuchtend blauen Augen „Milliardenstrafe beim Ausstieg? – Wir sind doch nicht blöd!“ und ein fröhliches Schulmädchen erklärt „Zukunft geht vorwärts. Nicht rückwärts! – Meine Eltern sind doch nicht blöd“ und ein empörter Opa setzt den Finger an den Kopf und fragt „Randale statt Demokratie? Wir sind doch nicht blöd!“
Mit anderen Worten: Das Demonstrationsrecht der Bürgerinnen und Bürger hat nichts mit Demokratie zu tun, das ist „Randale“; und all jene, die S 21 ablehnen sind blöd. In der politischen Auseinandersetzung geht es manchmal ruppig zu, aber es sollte unter Demokraten Grenzen geben. Die Auftraggeber dieser Propaganda für S 21 haben diese überschritten. Sie demaskieren sich damit selbst: sie wollen nicht die Auseinandersetzung mit Fakten, sondern mit billiger Stimmungsmache ihr Projekt durchboxen – koste es was es wolle, auch zu dem Preis, dass dabei die Demokratie Schaden nimmt. Sie belegen damit, dass sie eigentlich gar keine Bürgerbeteiligung wollen. Mit ihren Plakaten und ihrer unehrlichen Argumentation wollen sie nicht nur ihren unterirdischen Bahnhof durchsetzen, sondern schlussendlich vor allem den Bürgerinnen und Bürgern die Lust nehmen, sich je wieder für etwas zu engagieren. Zwar reden alle von Bürgerbeteiligung, am liebsten wäre aber vielen, wenn die Bürgerinnen und Bürger erkennen würden, dass ihr ganzes Mitreden eigentlich umsonst ist, weil es eh nichts bringt.
Wenn man sich diese Plakate anschaut und gegenüberstellt die Arbeit, die Tausende von Menschen, investiert haben, um sich durch die Details der Bahnplanungen zu arbeiten, sogar neue Entwürfe auszuarbeiten, dann ist ein Slogan „Wir sind doch nicht blöd!“ nicht nur unangemessen, er ist eine Frechheit.
Das ist zwar eine andere Variante, aber dieselbe Melodie: Wenn Bahnchef Grube im Interview mit der Stuttgarter Zeitung (2. November 2011) jammert: „Ich bin kürzlich vom Emir von Katar konkret gefragt worden, ob es hier noch Planungs- und Investitionssicherheit gebe – wegen des Streits um Stuttgart 21. Und ein chinesischer Unternehmer hat mir gesagt, er habe wegen Stuttgart 21 vorerst von einer Investition in Deutschland Abstand genommen“, dann will er damit Angst verbreiten, der Standort Deutschland sei in Gefahr, Arbeitsplätze bedroht. In Wirklichkeit wendet Grube hier nur das Konzept an: Angst und Schrecken verbreiten. „Wenn wir nicht mal den Mut haben, solch ein Infrastrukturprojekt anzupacken, dann können wir einpacken!“ legte Grube als Redner auf dem 10. fischer forum Waldachtal nach – um dann in aller Bescheidenheit einige Sätze später scheinheilig zu beteuern. „Menschlicher Respekt ist mir sehr wichtig!“
Und so geht das weiter: Grube behauptet, die Neubautrasse Ulm – Wendlingen werde es ohne Stuttgart 21 „definitiv“ nicht geben. Richtig dagegen ist, dass es keine zwingende Verbindung zwischen dieser Strecke und der Vergrabung des Stuttgarter Bahnhofs gibt. Man kann allerdings bezweifeln, dass die Neubautrasse Ulm – Wendlingen die Bedeutung hat, die die Bahn ihr bisher zugeschrieben hat. Nebenbei: über das, was gebaut wird, entscheidet nicht Herr Grube, sondern der Deutsche Bundestag.
Als schweres Geschütz wird auch Bundesverkehrsminister Ramsauer aufgefahren und der schlägt (Stuttgarter Zeitung, 12. November 2011) bayerisch-deftig zu: „Ausstieg wäre ein Horrorszenario für Stuttgart.“ Und dieselben Märchen: für 930 Millionen Euro bekäme Stuttgart einen hochmodernen Bahnhof – als ob die vielen Milliarden Euro nicht von den Bürgerinnen und Bürgern aufgebracht werden müssten, sondern von einem reichen Onkel von Übersee. Und auch Ramsauer wärmt die für viele Schwaben erschreckende Vorstellung auf, wenn Stuttgart einen so schönen Bahnhof nicht wolle, dann müsse das Land halt 1,5 Milliarden Ausstiegskosten zahlen und bekomme dafür „gar nichts“. Immherhin würden rund fünf Milliarden gespart und Stuttgart behielte einen Bahnhof, der – obwohl ihn die Bahn schon ein Jahrzehnt lang hat verkommen lassen – noch immer gut funktioniert und für rund zwei Milliarden top saniert werden könnte. Hierbei bliebe den Hunderttausenden von Pendlern 15 Jahre Behinderungen im Bahnverkehr erspart, besser noch: Renovierung des Kopfbahnhofs und der Ausbau einiger Strecken würden schon sehr schnell zur spürbaren Verbesserungen führen.