Donnerstag, 20.10. um 9 Uhr im Amtsgericht, Hauffstraße:
Die Anklage der Staatsanwaltschaft lautet auf Nötigung in sieben rechtlich selbstständigen Fällen.
Der Beschuldigte war Mitglied eines Zusammenschlusses unterschiedlichster Menschen, der nach der Zaunstellung Anfang August 2010 unter dem Motto „Abriss blockieren" mit Sitzkissen und Regenplanen vor dem Bautor am Nordflügel zu campieren begann.
Der Beklagte: „Mir ist wichtig darzulegen, dass die Blockaden kein Selbstzweck waren, sondern EIN wichtiger Bestandteil unter vielen einer offenen Demonstrationskultur. Die war zwar höllisch laut, aber die Motive fast durchweg lauter. Die Akteurinnen und Akteure waren und sind bereit, persönliche und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen.
Vor Gericht werde ich versuchen, den Vorwurf der Staatsanwalt, die Blockaden seien ein schwerwiegender Eingriff in die Freiheitsrechte anderer und eine Schädigung der öffentlichen Ordnung gewesen, zu entkräften. Dies aus einer gewissen Außensicht – ich bin kein Schwabe – mit Verweis auf andere Aktionen zivilen Ungehorsams von Friedens-, Ökologie- und Antifa-Initiativen.
Dies ist ein weiteres Pilotverfahren, wo eine sehr weitgehende und demonstrationsfeindliche Auslegung des Nötigungsparagraphen seitens der Anklage auf dem Prüfstand steht. Der Ausgang hat auch präjudizierende Auswirkungen auf die vielen Verfahren im Wartestand und auf den Spielraum für künftige Aktionen zivilen Ungehorsams. Und es ist nicht nur das Gericht, es sind zuvorderst auch wir, die durch unser Verhalten diesen Spielraum erweitern oder einengen. Deshalb würde ich mich über rege Beteiligung und Unterstützung freuen."
Der Prozess endete nach zwei Stunden Verhandlung mit einer Verurteilung wegen Nötigung in sechs Fällen. Eine Handlung – die vom Dienstag, 14.9.10 – wurde nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Daraufhin reduzierte die Staatsanwaltschaft in ihrem Pladoyer das geforderte Strafmass von 40 auf 30 Tagessätze. Die Richterin übernahm den Antrag ohne Abweichung.
Dies ist individuell für mich natürlich ein Erfolg, für die noch ausstehenden Verfahren und das Ziel einer Entkriminalisierung der Sitzblockaden ist es keiner. Allerdings liess sich heraushöre, dass es vermehrt Einstellungsangebote wegen Geringfügigkeit geben wird, wenn es um Einzelblockaden geht.
Ein strategischer Widerlegungsversuch der Position der Staatsanwaltschaft war – selbstkritisch angemerkt – mit der von mir gewählten Prozessführung kaum möglich. Dazu hätte es einer berufungs- oder revisionstauglichen Herausarbeitung der Streitpunkte der versammlungsrechtlichen Würdigung der Aktionen (teilweise fehlende Versammlungsauflösung)und dem protokollierten weitgehenden Fehlen subjektiv empfundener Nötigung durch die Fahrzeugführer und darauf fussend einer Bewertung der Erheblichkeit bedurft. Ich hatte aber kein gesteigertes Interesse, die Fahrer laden zu lassen, diese wohl ebenso …
In meinem Fall hätte dies vermutlich die Zahl der zu verurteilten Fälle auch bestenfalls halbiert. Solange das Amtsgericht der „Zweite-Reihe-Rechtssprechung“ folgt, wird es weiter Verurteilungen geben.
Bei den Prozessbesuchern möchte ich mich nochmals für die tolle Unterstützung bedanken. Dies ist für mich Ermutigung, immer wieder nach Stuttgart zu fahren und dafür zu kämpfen, auch weiterhin im Kopfbahnhof aussteigen zu können …
Herzoichen Dank, daß Du nach Stuttgart kommst, und dich für den Stuttgarter Kopfbahnhof einsetzt – das ist meine Heimatstadt!