Seit einem Jahr verschleppt die Staatsanwaltschaft die Anzeige wegen illegaler Baumfällungen im Schlossgarten
Genau ein Jahr ist es her, dass die Deutsche Bahn AG in der Nacht vom 30. September auf den 1. Oktober 2010 illegal Bäume im Mittleren Schlossgarten in Stuttgart fällen ließ, was zu heftigen Protesten und dem umstrittenen Polizeieinsatz führte. Seither wartet die Öffentlichkeit auf Konsequenzen aus der Anzeige, die der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Landesverband Baden-Württemberg kurz nach den Baumfällungen erstattet hatte. Passiert ist bislang nichts.
„Es ist ein Unding, dass sich die Staatsanwaltschaft bei einem derart eindeutigen Fall diese Bummelei leistet“, sagt Berthold Frieß, Landesgeschäftsführer des BUND. Obwohl der Verband kurz nach den Baumfällungen Anzeige erstattet hatte, wurde der Fall bis heute nicht abgeschlossen. Dabei sind die Baumfällungen vom 1. Oktober 2010 kein Bagatelldelikt: Da bei der illegalen Aktion mehrere Exemplare und Quartiere des streng geschützten Juchtenkäfers vernichtet wurden, handelt es sich nach § 71 Abs. 2 des Bundesnaturschutzgesetzes um eine Straftat, die mit Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren geahndet werden kann. Möglicherweise droht den Verantwortlichen damit sogar das Gefängnis.
„Wir hätten erwartet, dass die Justiz ausreichend Fingerspitzengefühl zeigt, den Fall im Vorfeld des Jahrestags aufzuklären“, weist Frieß auf den „Schwarzen Donnerstag“ vor einem Jahr hin. Zumal Staatsanwaltschaft und Gerichte nicht in allen Fällen so bedächtig agieren. „Aus Berichten von Betroffenen wissen wir, dass Protestteilnehmer sehr viel schneller verurteilt wurden“, mahnt Frieß, „da wird offenbar mit zweierlei Maß gemessen.“
Besonders tragisch sei das konzertierte Nichtstun der Behörden, so Berthold Frieß. „Das Eisenbahnbundesamt kommt seiner Kontrollfunktion nicht nach, indem es anstelle von rechtsverbindlichen Maßnahmen auf die freiwillige Mitwirkung der Bahn hofft. Und jetzt setzt die Justiz noch eins drauf“, resümiert der BUND-Landesgeschäftsführer, „da muss man sich nicht wundern, wenn die Bürgerinnen und Bürger immer weniger Vertrauen in den Staat haben.“ Der Artenschutz werde von Beteiligten und Behörden offensichtlich als überflüssiger Kropf angesehen, beklagt sich Frieß.
Der BUND fordert die Justiz auf, die Angelegenheit der illegalen Baumfällungen unverzüglich zu bearbeiten, um weiteren Schaden abzuwenden. „Staatsanwaltschaft und Gerichte müssen einsehen, dass die Menschen ein Recht auf die Aufklärung von solchen Fällen haben und dieses Recht zunehmend auch einfordern“, so Frieß.
Hintergrund:
Schon seit August 2010 fordert der BUND aufgrund neuer Daten zum Vorkommen seltener Tierarten wie z.B. Fledermäusen im Bahnhofsgebäude und Schlosspark oder dem Juchtenkäfer im alten Baumbestand des Mittleren Schlossgarten ein Planergänzungsverfahren für diesen Abschnitt des Bauprojektes. Aufgrund einer geänderten Rechtslage im europäischen Artenschutzrecht ist das Eisenbahnbundesamt (EBA) dazu verpflichtet, den Bestand geschützter Arten auch noch im Nachhinein zu ermitteln und Maßnahmen zu deren Schutz vorzuschreiben. Zudem verlangt der Planfeststellungsbeschluss aus dem Jahr 2005 eine sogenannte landschaftspflegerische Ausführungsplanung, die die Bahn bis heute nicht vorgelegt hat. Doch der rege Schriftwechsel zwischen BUND und Behörde zeigt bislang wenig Wirkung.
Am 30. September 2010 hatte das Verwaltungsgericht Stuttgart zu spät über einen Eilantrag des BUND auf einen Stopp der Baumfällungen entschieden, weil das EBA und das Regierungspräsidium Stuttgart als verantwortliche Behörden dem zuständigen Richter Informationen vorenthalten hatten. Das Verwaltungsgericht selbst kam später zum Ergebnis, dass es im Besitz dieser Informationen die Baumfällungen wahrscheinlich gestoppt hätte.
Bislang ist nicht ersichtlich, wie der Erhalt der lokalen Population des Juchtenkäfers im Schlossgarten gesichert werden soll, falls dort weiter gebaut wird. Die im Auftrag der Bahn von einem privaten Planungsbüro erstellten Gutachten zum Fledermausvorkommen waren wiederum derart mangelhaft, dass das Regierungspräsidium Stuttgart befinden musste: „Insgesamt handelt es sich [bei dem Gutachten] um ein dilettantisch abgefasstes Schriftstück über eine Untersuchung, die so durchgeführt wurde, dass sie aus fachlichen Gründen keine Aussagen zu Vorkommen und Gefährdungen von Fledermäusen zulässt [...]. Das Gutachten selbst ist aus fachlicher Sicht abzulehnen.“ Der BUND hat in Sachen Artenschutz weitere juristische Schritte eingeleitet.
Kann man in diesem Fall nicht die Untätigkeitsklage nutzen?
§ 75 VwGO – Untätigkeitsklage
http://dejure.org/gesetze/VwGO/75.html
Selbstverständlich kann man die Untätigkeitsklage einreichen. Die wird dann so rechtsstaatlich erledigt wie die Klage des BUND oder die Strafanzeigen derjenigen, die am 30.9.10 im Schlosspark zu Schaden gekommen sind. Der Ideenreichtum derjenigen, die den Rechtsstaat im Moment noch verhindern ist vielfältiger und einfalssreicher als alles, was wir zum Artenschutz auf die Beine stellen könnten. .Die warten in ihren Behörden geduldig und ausdauernd, bis die ersten Steine fliegen, um dann ihr Recht zu behaupten. Deswegen bitte niemals! Wir können nur immer wieder für die und in der Sache die Gewaltlosigkeit beschwören. Entweder wir schaffen es so oder nie.