Der Vermittlungsvorschlag SK2.2 kann Stuttgart vor einer vierfachen Katastrophe bewahren:
1. S21 ist nicht finanzierbar, es wird weit mehr als sechs Mrd. Euro kosten, weil
- die verordneten Einsparungen (4,9 auf 4,1 Mrd. Euro) nur teilweise möglich sind,
- die im Stresstest vorausgesetzten Anlagen Mehrkosten von 0,2 bis 0,4 Mrd. verursachen, Baupreissteigerungen etwa 1 Mrd. Euro (gegenüber der Kalkulation 2010) kosten werden
- die von der DB AG festgestellten Risiken bis zu 3 Mrd. Euro zusätzlich erfordern werden.
2. Die DB AG muss und wird die Bauarbeiten einstellen, wenn die vereinbarten öffentlichen Gelder in Höhe von 4,5 Mrd. Euro aufgebraucht sind, da das Projekt nicht wirtschaftlich ist.
Im Herzen der Stadt werden Baustellen, ein unterirdischer Torso eines Bahnhofs und abgerissene Bahnhofsteile über Jahre ein unwirtliches Stadtbild erzeugen, so lange, bis Stadt und Land für den Weiterbau weitere Milliarden Euro aufbringen. Eine Fertigstellung vor dem Jahre 2025 erscheint unmöglich: Die neuen Anlagen können erst in Betrieb genommen werden, wenn alle Zulaufstecken fertig gestellt sind. Wegen geologisch schwierigen Formationen und Mineralwasservorkommen sind die Bauarbeiten hoch riskant, so dass Verzögerungen um Jahre erwartet werden müssen.
3. Die bisherigen Planungsabläufe, gravierende Planungsmängel und die Risikoanalysen weisen darauf hin, dass die DB AG mit dem außerordentlich komplexen und risikoreichen Projekt überfordert ist: Es muss daher in Betracht gezogen werden, dass nach einigen Milliarden Euro Ausgaben des Großprojekt abgebrochen werden muss, dass dann die Anlagen überhaupt nie fertig gestellt werden.
4. Ist der neue Bahnhof in Betrieb, leidet die Stadt unter riesigen Brachflächen, deren Entgiftung und Reinigung sehr aufwendig sein werden. Es ist nicht erkennbar, woher die Nachfragen nach tausenden Büros und Wohnungen kommen sollen!
Mit S21 gerät die Stadt vorhersehbar in eine Katastrophe!
Das von Heiner Geißler und der sma am 30.7. vorgestellte Projekt SK 2.2 erscheint demgegenüber realisierbar, weil
- Die Bauvolumina im Stadtbereich wesentlich geringer sein werden,
- die Tunnelbauten in hochkritischen Bereichen am Neckar vermieden werden,
- die erheblich reduzierten Anlagen sich näher dem 4,5 Mrd. Budget realisieren lassen,
- die Anlagen wegen der notwendigen Umplanungen zwar später begonnen, jedoch wegen der geringeren Volumina schneller erstellt werden können.
Die Kosten für die Sanierung der vorhandenen Anlagen dürften nur einen Bruchteil der eingesparten Neubaukosten betragen und müssten aus den Mitteln der Finanzierungsvereinbarung bestritten werden, die der Bund mit der DB AG geschlossen hat.
Der neu in SK 2.2 geplante Tiefbahnhof braucht keine Verteilerebene, wenn er vom vorhandenen Querbahnsteig – ohne Zwischengeschoss – direkt einsehbar und erreichbar wird. Damit kann der Schlossgarten ohne Wall und Bullaugen überdeckt und bepflanzt werden. Wenn die verbleibenden Kopf-Bahnsteige großzügige Glashallendächer erhalten, kann ein Bahnhof mit vergleichbar guter Atmosphäre entstehen, wie sie der jetzige Bahnhof bietet.
Auf jeden Fall erscheint das Bauvolumen SK 2.2. finanzierbar und realisierbar, so dass die Stadt nach einem Jahrzehnt tatsächlich einen ansehnlichen Bahnhof erhielte, der Schlossgarten weitgehend erhalten bliebe und nur geringe Brachflächen das Stadtbild stören würden.
Die unvermeidbaren Nachteile von SK 2.2. dürfen nicht übersehen werden:
- Die Kosten von etwa
sechsfünf Milliarden Euro für SK 2.2 und von weiteren fünf Mrd. Euro für die Neubaustrecke treiben die staatlichen Schulden weiter in die Höhe; - Die erheblichen Mehrkosten für den Betrieb neuen Bahnanlagen gegenüber den jetzigen verteuern den Bahnbetrieb und belasten die öffentlichen Haushalte auf Jahrzehnte mit Zinsen, Tilgungsleistungen und mit höheren Bestellerentgelten im Nahverkehr;
- Der Energiebedarf steigt, da die technischen Einrichtungen des Tiefbahnhofs und das Fahren der Züge über größere Höhendifferenzen erheblich mehr Energie erfordern.
Diese Nachteile wurden bislang von allen Beteiligten – also auch von den Gegnern S21 – nicht moniert, es gibt offensichtlich den Konsens, diese Nachteile in Kauf zu nehmen.
Daher erscheint es folgerichtig, den Vorschlag SK2.2. als tatsächlichen Vermittlungsvorschlag anzuerkennen und entsprechend zu prüfen.
Die DB AG wird eine solche unvoreingenommene Prüfung verweigern, da sie
- als Aktiengesellschaft konstituiert ist mit dem primären Ziel der Gewinnerzielung,
- den überwiegenden Teil des Unternehmensgewinns aus öffentlichen Mitteln erzielt,
- umso größere Gewinnchancen sieht, je mehr Steuergelder akquiriert werden,
- und folgerichtig jede Reduktion von steuerfinanzierten Bauvolumina vermeidet.
Die DB AG braucht die neuen Bahnanlagen de facto nicht, da die vorhandenen Gutes leisten – allenfalls ist sie an den neuen Anlagen nur deshalb interessiert, weil sie Instandhaltungskosten und Zinsen an die Stadt einspart. Sie garantiert auch keinen Fertigstellungstermin, da sie weiß, dass aufgrund der Risiken der avisierte Termin zum Jahre 2020 unerreichbar ist. Wie die Stadt über Jahrzehnte leidet und welches Bild das Herz der Stadt bietet, muss der DB keine Sorge bereiten: Sie wird feststellen, dass sie baut, sobald genügend Geld zur Verfügung gestellt wird und damit Stadt und Land – der Bund wird sich nicht beteiligen, da S21 ausdrücklich als DB-Projekt vereinbart ist – für alle Misshelligkeiten verantwortlich machen.
Daher müssten die Bürger in Stadt und Land, vor allem die Verantwortlichen in den politischen Gremien großes Interesse für diesen Vermittlungsvorschlag haben: Er erscheint geeignet, die drohende Katastrophe von der Stadt abzuwenden, die viel schlimmer und gravierender sein wird als die Nachteile, die in Kauf genommen werden müssen!
Maßgebliche Bahnexperten werden weiterhin darauf hinweisen, dass auch dieser Vorschlag und die geplante Neubaustrecke
- weit mehr kosten wird als er Nutzen stiften kann,
- volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich negativ zu bewerten ist,
- aus ökologischer Sicht nicht zu verantworten ist
Pläne, die diese Kriterien erfüllen, sind relativ naheliegend:
- Sanierung des Kopfbahnhofs und dessen Überdachung mit Glashallen,
- Überbauung des Bahngeländes für Gewerbebauten je nach Bedarf und Nachfrage,
- Nutzung des ehem. Postwerks am Rosensteinpark und der Bahnflächen in Untertürkheim für Wohnbebauung
- Ausbau der Bestandsstrecke Stuttgart – Ulm für weniger als eine Mrd. Euro
- Erschließung des Flughafens mit Express-S-Bahnen aus verschiedenen Landesteilen,
- Bestellung von mehr Nahverkehrsleistungen durch Vermeidung höherer Trassenpreise und Stationsgebühren, die bei Neubauten unvermeidbar aufgebracht werden müssten.
Diese Pläne erfordern statt zehn bis zwölf nur etwa zwei bis drei Mrd. Euro Steuergelder: Sie gäben Mittel frei, die Staatsverschuldung zu reduzieren und/oder sinnvolle Projekte zu finanzieren.
Karl-Dieter Bodack
01. August 2011