Rede von Walter Sittler bei Montagsdemo am 27.6.

Liebe Freunde eines vernünftigen Nah- und Fernverkehrs, liebe Freunde unseres denkmalgeschützten Kopfbahnhofes!

Sehr lange, viel zu lange, war ich nicht mehr in Stuttgart, fast zwei Monate. Ich habe die Ereignisse in dieser Zeit täglich aus der Ferne verfolgt und ich bin stolz Teil so vieler Menschen sein zu dürfen, die sich Woche für Woche, Monat für Monat mit so viel Kraft, Durchhaltevermögen und Phantasie friedlich für eine vernünftige Politik einsetzen.

Im Mai hat die neue grünrote Landesregierung ihre Arbeit aufgenommen. Der größere Koalitionspartner will das unsinnige Projekt S21 stoppen und kann es nicht alleine, weil der kleinere Koalitionspartner dabei zwar mitmachen könnte, es aber nicht will. Die Koalitionspolitiker in Berlin, sowie die leitenden Angestellten der Bahn und auch unser Oberbürgermeister haben deutlich gemacht, dass sie alles dransetzen werden dieses Projekt durchzudrücken, unabhängig von ungeklärten Gefahren, von schlechter Planung oder nicht vorhandener Genehmigungen. Es bleibt also nur die Bürgerschaft von Stuttgart, die Bürgerschaft von Baden-Württemberg um das Verschleudern von Steuergeldern, die Zerstörung eines Kulturdenkmals und die Behinderung des Bahnverkehrs auf alle Zeiten in Stuttgart durch S21, den neuen Herzinfarkt Europas,  zu verhindern.

Unsere Verfassung, in diesem Punkt noch unvollkommen und veränderungsbedürftig, gibt uns betroffenen Bürgern keine ausreichende Möglichkeit in die Hand, im Wege direkter Demokratie über ein solch unnötiges Projekt mit zu entscheiden. Ein Mittel allerdings stellt die Verfassung zur Verfügung, um unseren gewählten Vertretern unseren Willen zwischen den Wahlen kundzutun: das ist die Demonstration, die friedliche Demonstration der Bürgerinnen und Bürger auf der Straße. Und deswegen werden wir weiter auf die Straße gehen, gehen müssen, zu Tausenden, zu Zehntausenden, lieber noch zu Hunderttausenden. Dieses Mittel ist aber nur wirksam, wenn wir unter allen Umständen friedlich bleiben, wie wir es bisher immer waren, denn das macht unsere Kraft aus.

Ich verstehe sehr gut, wenn jemand aus Zorn, aus Empörung und verständlicher Hilflosigkeit die Faust ballen möchte. Die Verunglimpfungen, die Demütigungen, das Ausgeliefertsein an arrogante Mächtige geben allen Anlass dazu. Ballt die Fäuste, ballt sie so oft ihr wollt, so oft es notwendig ist, aber lasst sie in der Tasche. Wenn wir die Hände wieder herausnehmen müssen sei offen sein. Und wenn es trotzdem mal ein bisschen ruppig zugeht, nunja, wir sind schließlich keine Heiligen und müssen es auch nicht sein, ebenso wenig wir unser Gegenüber.

Man kann aber Gewalt nicht mit Gewalt beenden, sondern nur mit unbedingter Friedfertigkeit, mit Respekt gegenüber dem Anderen, seiner Meinung und auch gegenüber dem Eigentum Anderer. So und nur so werden wir die wunderbare Unwiderstehlichkeit, die unbändige Phantasie, die überwältigende Vielfältigkeit unseres Protestes weiter tragen, der unser Markenzeichen war, unser Markenzeichen ist und bleiben wird, durch den wir, man kann das ruhig so sagen, weit über Deutschland hinaus bekannt geworden sind und der vielen Menschen Mut gemacht hat.  Ziviler Ungehorsam in jeder Form gegen unsinnige, schädliche Projekte ist legitim, wenn er ohne Gewalt auskommt, weder gegen Personen noch gegen Dinge. Wenn einer von uns die Geduld verliert und zuschlagen will, müssen wir ihn beruhigen, wie bisher auch. Wenn jemand uns provozieren und zu Gewalt verleiten will, müssen wir dem widerstehen, egal wie verführerisch es sein mag endlich mal zurückzuschlagen, endlich auch mal das zu tun, was uns ständig angetan wird. Wir wissen, was wir wollen und deswegen benutzen keine Gewalt, brauchen keine Gewalt, sondern Argumente, Überzeugungskraft und Wissen.

Wir haben viele Mittel uns deutlich auszudrücken: wir haben den Schwabenstreich, wir können die Stadt mit grünen Bändern schmücken, wir können Denkmäler und Bäume verhüllen, um zu zeigen was passiert, wenn sie nicht mehr da sind, wenn  eine Stadt gedankenlos verschandelt wird, wir können friedlich Plätze besetzen und auch Zäune versetzen – ohne irgend etwas zu zerstören. Lasst uns all diese Dinge tun, wenn es sein muss, der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Eines allerdings können wir nicht und wollen wir auch nicht: Bäume versetzen. Die sollen bleiben, wo sie sind.

Die Würde des Menschen ist unantastbar und wenn unsere Gegner uns dieses Grundrecht absprechen wollen, uns als Radikale abstempeln wollen, einfach nur, weil wir nicht ihrer Meinung sind, so setzen sie sich ins Unrecht, nicht uns.

Wir haben einen langen, schwierigen, vielleicht entscheidenden Sommer vor uns. Lasst uns alle unsere ganze Kraft, unsere Phantasie und unseren Mut zusammennehmen, dann schaffen wir es, dann werden wir: Oben bleiben!

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13 Antworten zu Rede von Walter Sittler bei Montagsdemo am 27.6.

  1. Beobachter sagt:

    Unsere Verfassung, in diesem Punkt noch unvollkommen und veränderungsbedürftig, gibt uns betroffenen Bürgern keine ausreichende Möglichkeit in die Hand, im Wege direkter Demokratie über ein solch unnötiges Projekt mit zu entscheiden.

    Falls es Herrn Sittler noch nicht aufgefallen sein sollte – es gab dieses Jahr eine Landtagswahl. An der konnten alle Wahlberechtigten teilnehmen. Das taten sogar mehr als in den Vorjahren. Dabei bekamen die Kandidaten, die gegen S21 auftraten, 24 % der abgegebenen Stimmen. Auf alle Wahlberechtigten hochgerechnet dürften es also so 16 % gewesen. Die anderen Stimmen gingen an Kandidaten, die bereits vor der Wahl deutlich machten, daß sie für eine Fortsetzung von S21 eintreten.

    Was genau hat Herr Sittler also am Wahlergebnis nicht verstanden? Oder geht es ihm gar nicht darum, daß sich der Wille des Volkes durchsetzt? Geht es ihm vielleicht darum, daß sich sein eigener Wille durchsetzt?

    wenn unsere Gegner uns dieses Grundrecht absprechen wollen, uns als Radikale abstempeln wollen, einfach nur, weil wir nicht ihrer Meinung sind

    Als Radikaler wird man als Demonstrant nur dann abgestempelt, wenn man glaubt, sich das Recht herausnehmen zu dürfen, selbst darüber zu entscheiden, welchen Gesetzen man folgt und welchen nicht oder wenn man Menschen verletzt oder Sachgüter beschädigt und zerstört.

    • Hans Hase sagt:

      Was genau hat der „Beobachter“ eigentlich an den Landtagswahlen nicht verstanden? Hat es irgendeinen Sinn, ihm zu erklären, dass es dabei auch um den ein oder anderen Punkt ging, der gar nichts mit S21 zu tun hat? Weiss der „Beobachter“, was Wahlprogramme sind, hat gar mal einen Blick hineingeworfen?

      Apropos Radikaler:

      http://www.taz.de/1/zukunft/schwerpunkt-stuttgart-21/artikel/1/zahltag-fuer-rambo-polizisten

      Das ist der einzige bisher verurteilte Gewalttäter im Zusammenhang mit den Geschehnissen am 30.9.2010 – ein Staatsdiener. Ein Radikaler. Einer, der selbst darüber entschieden hat, welchen Gesetzen man folgt und welchen nicht und dass er Menschen verletzt. Fordert der „Beobachter“ eigentlich die Entfernung dieses Radikalen aus dem Polizeidienst? Oder versagt ihm da mal wieder die dünne Stimme?

      • Beobachter sagt:

        Hat es irgendeinen Sinn, ihm zu erklären, dass es dabei auch um den ein oder anderen Punkt ging, der gar nichts mit S21 zu tun hat?

        Das ist richtig! Dann heißt das aber schlicht, daß 76 % der Wähler offenbar viele andere Dinge weit wichtiger als der Weiterbau von S21 waren. Die Parkschützer, BAA und andere Organisatoren des Protests gegen S21 sahen das aber im Vorfeld ganz anders. Da wurde die Landtagswahl zur Abstimmung über S21 hochstilisiert. Hinterher wollte man dann davon – wenn man deiner Ansicht folgt – nichts mehr wissen. Das Ergebnis war nämlich ganz anders als wahrscheinlich erwartet.

        Das aber auch eine Volksabstimmung mit großer Wahrscheinlichkeit verloren gehen würde, weiß man wohl selbst bei den Grünen. Nicht ohne Grund versucht man noch möglichst schnell die Verfassung zu ändern.

        Oder man hält es mit Herrn Rockenbauch: Wenn das Volk nicht so will wie wir, protestieren wir eben hinterher weiter.

        Ein Radikaler. Einer, der selbst darüber entschieden hat, welchen Gesetzen man folgt und welchen nicht und dass er Menschen verletzt.

        Polizisten, die korrupt sind oder sich nicht an Gesetze halten, sind eine Schande und gehören entsprechend bestraft. Da stimme ich dir vollkommen zu.

        Fordert der “Beobachter” eigentlich die Entfernung dieses Radikalen aus dem Polizeidienst?

        Bei einem entsprechenden Vergehen natürlich. Das Beamtenrecht regelt klar, ab welcher Strafe ein Beamter aus dem Dienst entfernt werden muß. Meines Wissens ist dies bei der Vorstrafengrenze grundsätzlich zu prüfen – das wären 90 Tagessätze.

        Im vorliegenden Fall hatte ein beamter einer am Boden sitzenden Demonstrantin Pfefferspray ins Gesicht gesprüht. Das war Körperverletzung. So sah es auch die Staatsanwaltschaft. Und der Beamte nahm den Strafbefehl ohne Widerspruch an. Das ist durchaus auch erwähnenswert, kann man dies doch als Schuldeinsicht werten. Da hat dieser Beamte vielen anderen Straftätern etwas voraus.

        Aber wenn man sich das hier bestrafte Vergehen und die in anderen Fällen von Körperverletzung von Gerichten (hier war es ja kein Gericht) verhängten Strafen ansieht, kann man jedoch nicht anders, als ein krassen Mißverhältnis von Schuld und Strafe festzustellen. Ich erinnere da an den Vergewaltiger einer 12jährigen, der praktisch straffrei ausgegangen ist. Oder wo Österreicher (jedenfalls nannte sie die Presse „Südländer“) einen Jungen mann krankenhausreif prügelten und sie als Belohnung dafür einige Stunden Sozialarbeit leisten mußten. Oder all die anderen „Einzelfälle“. Man kann sich jetzt überlegen, in welchen dieser Fälle wohl die Strafe unangemessen war. Ich tippe mal auf alle – inklusive dem Fall des verurteilten Polizisten.

    • James sagt:

      Das Wahlergebnis hat in meinen Augen eine klare Botschaft in Sachen Kernkraft, dieses Thema interessiert alle im Ländle, für den Stuttgarter Bahnhof interssieren sich nur sehr wenige…. ohne den Vorfall in Japan, und dessen bin ich mir sicher, sähe die Regierung in BaWü anders aus.

      • Walli sagt:

        Alles reine Spekulation!

      • Wolfgang Weiss sagt:

        @James: vielleicht hat Fukushima (so traurig dieses Ereignis auch ist) nur den „letzten Impuls“ gegeben. Und wenn, dann zurecht. Atom-Mappus, der in seiner allseits bekannten „charmanten“ Art noch im Herbst seinem Partei“freund“ Röttgen den Rücktritt wegen dessen Kritik an der AKW-Laufzeitverlängerung nahegelgt hat, wurde abgewählt. Die Bürger hatten halt die Schnauze voll nach fast 60 Jahren schwarzgelbem Filz und Murks. Sie wollten keine Laufzeitverlängerung für Mappusconi, Un-Rech(t),Revolver-Goll&Co. Zum erstenmal in BaWü wurde eine reaktionäre Landesregierung weg-gewählt. Die Menschen lasssen sich halt nicht mehr so leicht wie früher vera…..;-) !

        • James sagt:

          absolut zu recht, daran gibt es nichts zu zweifeln. Die Schwarz/Gelbe Regierung im Bund und im Ländle hat gemeint ihr Ding durchziehen zu können und Japan hat sehr viele daran erinnert was rot/grün einmal anstrebten und schwarz/gelb adacta legten… der Schlag hätte wesentlich deutlicher sein müssen, härter…. denn abgesehen von Gelb hat Schwarz zwar keine Regierungsverantwortung, aber durch das Wahlergebnis eine gute Ausgangslage für die Opposition, Stimmen verloren hat primär Gelb… hm…. dabei gibt es doch im Ländle unheimlich viele dankbare Hoteliers?

    • tom sagt:

      @ beobachter: Der Unterschied zw. den von Ihnen angeführten 76% S21 Befürwortern, das Sie glauben den Ergebnissen der Landtagswahl entnehmen zu können und der Rede von Herrn Sittler ist schlicht und ergreifend, dass Sie den Unterschied zwischen repräsentativer Demokratie und direkter Demokratie nicht verstanden haben.

      Solange Sie das nicht verstehen, ist für mich (und wahrscheinlich auch für Sie) jede inhaltliche Diskussion mit Ihnen (mir) reine Zeitverschwendung.

      Falls Sie sich also wirklich für demokratische Partizipationsmöglichkeiten interessieren, so empfehle ich Ihnen sich zunächst mit dem Unterschied zw. repräsentativer und direkter Demokratie auseinander zu setzen. Falls es sich bei Ihnen lediglich um einen der lustigen S21-Trolle handelt: Don’t feed the troll!

      • Beobachter sagt:

        dass Sie den Unterschied zwischen repräsentativer Demokratie und direkter Demokratie nicht verstanden haben.

        Oh, keine Sorge. den Unterschied habe ich verstanden. Wir leben in einer Republik und nicht in einer Demokratie. Dazwischen besteht ein himmelweiter Unterschied. Demokratie führt letztlich immer zu einer Diktatur. Davor ist man zwar auch in einer Republik nicht sicher aber doch wesentlich geschützter.

        Ich möchte in keiner Diktatur leben. Das mußten bereits zu viele Deutsche vor uns. Ich möchte in einer Republik leben.

        Aber unabhängig davon: Vor der Wahl haben die Kandidaten für den Landtag keinen Hehl aus ihrer Einstellung zu S21 gemacht. Und sie wurden deshalb oder trotzdem gewählt. Es bleibt also dabei: Entweder ist die Zahl der S21-Gegner weit geringer als gedacht oder den Menschen sind andere Dinge weit wichtiger.

        Zweitens: Auch den Grünen und selbst den hartnäckigsten Gegnern von S21 ist mittlerweile ziemlich klar, daß eine Volksabstimmung nicht das gewünschte Ergebnis bringen wird. Deshalb ja die fieberhaften Anläufe zu einer Verfassungsänderung.

        Fazit: Es geht einer nicht geringen Zahl von Gegnern von S21 (mit Sicherheit nicht allen) schon lange nicht mehr darum, daß der Volkswille sich durchsetzt. Falls es ihnen jemals darum gegangen sein sollte. Ihr Wille soll sich durchsetzen. Herr Rockenbauch hat dies ja sogar offen zugegeben.

  2. Tyler Durden sagt:

    „Als Radikaler wird man als Demonstrant nur dann abgestempelt, wenn man glaubt, sich das Recht herausnehmen zu dürfen, selbst darüber zu entscheiden, welchen Gesetzen man folgt und welchen nicht oder wenn man Menschen verletzt oder Sachgüter beschädigt und zerstört.“

    Lieber Beobachter, Sie haben ja so recht … http://www.youtube.com/watch?v=y8bx8nDB-cI

  3. Politologe sagt:

    Lenkt nicht weiterhin vom Thema ab!

    Ihr seid zum allergrößten Teil – gemeinsam mit dem „Aktionsbündnis“ – selbst für die beispiellose Kampagne der Medien verantwortlich, die wir gerade erleben.

    Monatelang habt ihr euch bereitwillig und wider alle Fakten auf die betrügerische Ausgangsbasis des Stresstests eingelassen – und genau das fliegt uns jetzt allen gewaltig und verheerend um die Ohren.

    Ich erinnere an die Volksversammlung vom letzten Mittwoch. Wenn ihr nicht endlich damit aufhört, diese Lügen der Bahn zu stützen, dann seid ihr nicht mehr die legitimen Repräsentanten der Zehntausenden BürgerInnen, die seit über einem Jahr gegen S21 kämpfen!!!

    http://www.youtube.com/watch?v=2KRQyLOgZ6Y&feature=player_detailpage#t=600s

    • Politologe sagt:

      Wäre die StZ mal bei den VorgängerInnen von Herrn Hermann auch so übereifrig mit Lügenvorwürfen gewesen.

      Wie wir alle wissen, wäre das dort weitaus angebrachter gewesen

      (Wie war das mit den 120 Kostenrisiken bei S21, die der schwarz-gelben Landesregierung schon kurz vor der Wahl bekannt waren? Wie war das mit Hunderttausenden Litern „Kühlwasser“, die aus einem AKW in den Fluss geleitet wurden, aber angeblich „nicht meldepflichtig waren? Die Liste ist noch lang….)

      als bei offensichtlichen Missverständnissen, aus denen man jetzt wieder eine Diffamierungskampagne zu zimmern versucht.

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