Offener Brief der SPD-Mitglieder gegen S21 an Nils Schmid

Lieber Nils,

ich möchte nicht versäumen, dir den Artikel aus der Eisenbahnrevue von Dr. Engelhardt zu schicken. Er vergleicht deutsche Bahnhöfe untereinander hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit und zugleich mit den Versprechungen von S21. Das Fazit ist deprimierend und alarmierend zugleich.

Nach den vielen neuen Fakten, die in den letzten beiden Jahren ans Tageslicht gekommen sind, sind auch die S21-Befürworter verpflichtet, das Projekt neu zu bewerten. Eine solche Neubewertung würde mit Sicherheit zur Ablehnung des Projekts führen. Die Methode „Augen zu und durch“ führt mit Sicherheit in die Sackgasse. Auch wird die Volksabstimmung letztlich nicht zur Befriedung des Konflikts führen, wenn ihr es nicht schafft, die Bevölkerung im Sinne von Kant aufzuklären: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursachen derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Und schließlich kommt Kant auf „Faulheit und Feigheit“ zu sprechen.

Leider ist es so, dass es viele Menschen im Land draußen gibt, die das Projekt überhaupt nicht interessiert. Darauf spekuliert auch die Politik bei der Volksabstimmung teilweise. Dies wird letztlich den letzten Rest an Glaubwürdigkeit kosten. Deshalb ist es mit Aufgabe des Parlaments und allemal einer Regierung ihr Volk über alle Risiken, Fakten und Wahrheiten aufzuklären, ja wach zu rütteln. Wer dies versäumt, läuft Gefahr, eine Volksabstimmung mit einem sehr hohen Quorum nur als taktisches Mittel einzusetzen.

Noch ist es Zeit, dass es auch in unserer Partei angesichts der vielen neuen Fakten und Risiken eine neue, offene Diskussion gibt. Dazu bist du als Vorsitzender und jetzt auch als stellv. Ministerpräsident und Wächter über die Finanzen des Landes verpflichtet. Dies kann nicht mehr mit der Bemerkung abgetan werden, dass die unterschiedlichen Positionen ja bekannt seien und sich deshalb eine Diskussion über das eigentliche Thema nicht mehr lohne.

Ich gehöre nicht zu denen, die bei Demonstrationen sich dem Ruf „Lügenpack“ anschließen. Dennoch muss festgehalten werden, dass die Bahn nicht alle Wahrheiten auf den Tisch legt und so stimmt der Spruch, dass die „halbe Wahrheit eben auch gelogen“ ist.

Die Verweigerung einer aktuellen offenen Diskussion in unserer Partei und der Rückzug auf Beschlüsse, die sowohl auf Unwissen wie auch auf Verschleierung der Fakten durch die Bahn und die ehemalige Regierung beruhten, hat viele Genossinnen und Genossen dazu gebracht, sich öffentlich zu äußern. Und es werden von Tag zu Tag mehr. Ich bin der festen Überzeugung, dass es mittlerweile in den meisten Ortsvereinen und Kreisverbänden eine Ablehnung des Projekts S21 gibt. Teilweise werden neue Beschlüsse nur durch Verfahrentricks verhindert, indem man auf frühere Beschlusslagen verweist. Diese Methode zeigt, dass die Partei erstarrt ist.

Ich möchte dich bitten, die Tür zu einer grundlegend neuen Diskussion und Bewertung des Projekts S21 aufzustoßen. Geschieht dies nicht, wird unsere Partei in eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise stürzen. Sie wird schon heute zusehends kleiner und verliert verdiente Mitglieder und treue Wählerinnen und Wähler.

Wir SPD-Mitglieder gegen S21 bieten dir die offene und solidarische Zusammenarbeit für einen solchen aktiven Diskussionsprozess in unserer Partei an. Wir treffen uns wieder am 15. Juli 2011 ab 18 Uhr in Stuttgart. Dazu möchte ich dich, deine Regierungskollegen und die Fraktion einladen. Sobald ich den Ort vereinbart habe, werde ich ihn dir mitteilen.

Nun wünsche ich dir und deiner Familie ein paar ruhige und erholsame Pfingsttage.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Riedel

www.spd-mitglieder-gegen-S21.de

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7 Antworten zu Offener Brief der SPD-Mitglieder gegen S21 an Nils Schmid

  1. Drews, Jürgen "Joschka" sagt:

    Sehr geehrter Herr Riedel. Vielen Dank für ihren Mut, sich gegen die Bonzen da oben und ihre überholte Denkweise zur Wehr zu setzen.
    Ich als „Remstalrebell“, (habe den alten Helmut Palmer noch persönlich gekannt). kann ihren Aussagen in diesem Brief nur zustimmen und hoffen,
    dass der Herr Schmid auch langsam anfängt, seinen sturen Standpunkt zu überdenken. „Times, they are changing“. Mit viel Hoffnung OBEN BLEIBEN. Joschka.

  2. ST20/6 sagt:

    Bei der SPD-Spitze kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass manche immer noch nicht begriffen haben, dass sie nicht in einer sog. „großen“ Koalition sind und deshalb jetzt eigentlich schon die Erlaubnis hätten, mal wieder auf die eigene Basis zu hören, anstatt die Sprüche von Mappus, Gönner und Schuster nachzuplappern. Aber Hut ab vor denen, die nicht kuschen, sondern auch dem großen Vorsitzenden Schmid gegenüber klar Position beziehen!

  3. timo kabel mitgl spd ov stuttgart ost sagt:

    danke klaus! ich steeh hinter dir!

  4. S21-Nein-Danke sagt:

    Veränderung startet in der kleinsten Zelle 🙂 Oder auch: ein noch so kleiner Stein läßt Wellen über das Ufer schwappen. Ich wünsche viel Erfolg in der SPD – Oben bleiben!

  5. Stuttgarterin sagt:

    Volle Unterstützung! Und der Hinweis auf KANT ist nicht nur großartig, den sollten sich auch noch weitere Damen und Herren aller Parteien zu Herzen nehmen. Oben bleiben!

  6. Der Offene Brief findet meine volle Zustimmung..!
    Hatte schon zu einem frueheren Zeitpunkt aehnliche Zeilen
    an Ihn geschrieben.
    Werde das jetzt nochmals tun. Nachahmung empfohlen..!
    Wenn er seine positive Einstellung zu S21 beibehaelt, dann schadet
    er der Partei in hohem Masze. Jeder im Lande wird es verstehen, wenn
    er aus sachlichen Erwaegungen seine Einstellung aendert.
    Den Herrn Schmiedel muss man leider auch noch ueberzeugen.
    Man stelle sich vor, dass tatsaechlich ein S21 Supergau beim Bau
    von S21 eintritt, dann wird aus der Augenhoehe eine Huehneraugen-
    hoehe…wetten..?

    OBEN BLEIBEN

  7. Sehr geehrter Herr Riedel!

    Vielen Dank für diesen, Ihren Offenen Brief!
    Jenseits der eigentlichen Thematik bleibt aber schon die Frage wieso die gute alte Tante SPD in den Jahren seit Spöri (inkl.) so lustvoll sich auf Kreuzfahrt mit der Titanic begibt? Und an der Lust am eigenen Untergang ändert sich auch nichts durch ein leidenschaftlich und gut gespieltes Konzert des Orchesters.
    Im Grunde ist es doch so, dass die SPD sich entweder auf ihre Friedensapostel (z.B. Eppler und seine „Wege aus der Gefahr“) besinnt oder eben die Kreuzfahrt bis zum bitteren Ende auskostet. Die obrigkeitsstaatliche SPD der Kanalarbeiter und des Seeheimer Kreises (beides hauptsächlich NRW) wird in BaWü mangels Kohlebergbau eben Eisenbahn-Bergbau bis zum Einsturz betreiben, weil sie (die SPD) als Möchtegernobrigkeit eben nicht an Aufklärung interessiert ist und auch den Kategorischen Imperativ (ebenfalls Kant) nicht wahrhaben wollen.
    Die SPD in BaWü war schon einmal weiter, viel weiter! Deswegen mutet Ihr offener Brief auch ein wenig wie Sirenengesänge an. Und Sie wissen doch sicher, Kassandra wurde wegen ihrer seherischen Gabe des Untergangs von Troja vom eigenen Volk umgebracht!

    Geben Sie also bitte Acht auf sich – und bleiben Sie oben!

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