Rede von Matthias von Herrmann, Parkschützer, auf der 304. Montagsdemo am 4.1.2016
Rettet unsere Stadtbahn vor Stuttgart 21!
Liebe Montagsdemonstranten, liebe Stadtbahn-Nutzer,
heute geht es einmal mehr um Verkehr und Mobilität; und um die Frage: Was wollen wir eigentlich? Und diese Frage bezieht sich nicht auf die Automarke oder das VVS-Monatsticket, sondern diese Frage ist viel grundsätzlicher: Wie wollen wir leben und wie wollen wir uns bewegen? Stressfrei von A nach B zu kommen, ist da eine gute Antwort. Klimafreundlich und schadstofffrei sind weitere wichtige Kriterien für gute Mobilität.
Unser OB Kuhn hat dies angeblich auch als politisches Thema erkannt: Bereits im Juli 2013 hat er Mobilität zur Chefsache gemacht. Wörtlich sagte Kuhn: „Wir wollen den öffentlichen Nahverkehr verbessern [...]. Meine Zielmarke bleibt: 20 Prozent weniger Autos im Kessel.“ Vermuten wir mal, dass OB Kuhn diese Maßnahmen benennt, weil auch er das Ziel einer stressfreien Mobilität, einer gesunden, ökologischen und nachhaltigen Mobilität verfolgt.
20% weniger Autos im Stuttgarter Talkessel also, aha. Und wie sieht die Realität aus, drei Jahre nach Amtsantritt? Stuttgart gehört weiterhin bundesweit zu den schlimmsten Stau-Städten, Stuttgart ist berüchtigte Feinstaub-Hauptstadt. Durch S21 wird Stuttgart außerdem zur Baustellen-Hauptstadt mit schlimmen Folgen: Der S-Bahn-Verkehr kollabiert durch S21, die Fußgänger- und Fahrradwege werden für S21 zerschnitten und blockiert und die Innenstadt-Busse stehen im S21-Stau.
Umso dringender müsste doch eigentlich OB Kuhn sein klar formuliertes Ziel verfolgen: Den öffentlichen Nahverkehr verbessern, attraktiver machen. Sein Kollege, der grüne Verwaltungs-Bürgermeister Werner Wölfle, wurde dazu von Schülern des Wagenburg-Gymnasiums im Oktober 2012 gefragt, warum die VVS-Fahrpreise nicht gesenkt werden, das würde doch die Attraktivität deutlich erhöhen und mehr Menschen in Bus und Bahn locken, weg von der Straße. Diese Frage liegt eigentlich auf der Hand, doch die Antwort war umso ernüchternder: Gesenkte Preise würden die Attraktivität nicht steigern, denn die Stuttgarter Straßenbahnen fahren in den Stoßzeiten bereits jetzt an der Kapazitätsgrenze. Für mehr Fahrgäste ist schlicht kein Platz in den Bahnen. Und wer morgens zur Stoßzeit Bus und Bahn nutzt, weiß, dass Werner Wölfle die Situation korrekt beschreibt.
Halten wir also fest: Die Kapazität der Stadtbahn, so wie sie aktuell fährt, mit allen Gleisen und mit allen Tunneln, ist nicht ausreichend, um mehr Menschen als bisher damit zu befördern. OB Kuhn will zwar 20% mehr Verkehr auf die Schiene bekommen, er will den Angestellten in Stuttgart mit Firmentickets den Umstieg auf die Stadtbahn erleichtern. Er weiß aber andererseits, dass bei den Stadtbahnen in der Stuttgarter Innstadt die Kapazität fehlt, um diese 20% mehr Menschen überhaupt zu transportieren. Was ist also die naheliegende Lösung? Klar, sollte man meinen, da muss man die Kapazität erhöhen. Das ist doch logisch.
Wir würden also erwarten, dass ein grünes Stadtoberhaupt zusammen mit der großen grünen Gemeinderatsfraktion die Kapazität der Stadtbahn ausbaut, damit deutlich mehr Menschen mit der Stadtbahn fahren können. Momentan haben wir in der Innenstadt zwei Stammstrecken. Auf diesen Stammstrecken ist aber kein Platz für weitere Bahnen. Um die Kapazität unseres Stadtbahn-Systems deutlich zu erhöhen, braucht es eine dritte Stammstrecke; eine dritte Stammstrecke würde Kuhns Ziel von 20% weniger Autos im Kessel möglich machen.
Doch was tut die Stadt, was tut ihr grünes Oberhaupt, was tut die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) für den Ausbau der Transportkapazität? Nichts! Und noch schlimmer: Im Rahmen der Baumaßnahmen für Stuttgart 21 lassen es OB Kuhn, die Gemeinderäte und die SSB zu, dass die Kapazität der Stadtbahn auch noch verringert wird. Die Tallängslinie soll ab Mai diesen Jahres zunächst zwischen Charlottenplatz und Staatsgalerie für 18 Monate gesperrt werden. Danach soll die Strecke zwischen Hauptbahnhof und Staatsgalerie für 26 Monate gesperrt werden. Das sind in der Summe fast vier Jahre nach aktueller Planung. Und erfahrungsgemäß wird das länger dauern angesichts des Planungschaos bei S21. In der Planfeststellung von 2005 hieß es übrigens noch ganz harmlos: „Lediglich in der letzten der vier Bauphasen ist eine Betriebspause von rd. 2 Wochen für die Linien 9 und 14 [...] vorgesehen.“ Und weiter: „Der Bauablauf soll so abgestimmt werden, dass die 14-tägige Betriebspause in einer Ferienzeit liegt.“ (Planfeststellung PFA 1.1, Erläuterungsbericht Teil III, Seite 241) Davon ist inzwischen keine Rede mehr. Nun haben wir fast vier Jahre Streckensperrung vor uns in einem Stadtbahn-System, das bereits jetzt, also ohne Streckensperrungen, Umleitungen und aufgetrennte Linien an der Kapazitätsgrenze entlangschrammt. Bei der SSB geht man intern davon aus, dass es durch die Streckensperrungen zu erheblichen Qualitätseinbrüchen kommen wird, dass die Stadtbahnen aus dem Takt geraten werden. Verspätungen, verpasste Anschlüsse und überfüllte Bahnen sind die Folge. Trotzdem hat die SSB den Streckensperrungen ohne Not zugestimmt.
Zurück zu Stadtoberhaupt Fritz Kuhn: Als grüner OB gibt er wohlklingende Ziele bekannt, macht Mobilität zur Chefsache. Doch als Mitglied des Gemeinderats und als Aufsichtsratsvorsitzender der SSB erhebt er keinen Einspruch gegen die Pläne der Bahn, wichtige innerstädtische Stadtbahnlinien für lange Zeit zu unterbrechen. Da passen Ziel und Handlung einfach nicht zusammen, das wirkt schon fast schizophren! Herr Kuhn, was wollen Sie eigentlich? Ausbau oder Abbau der Stadtbahn-Kapazität? Momentan tun Sie alles für den Abbau und die Amputation der Stadtbahn!
Neben OB Kuhn sitzen auch sechs Gemeinderäte sowie Finanzbürgermeister Föll im Aufsichtsrat der SSB. Keiner dieser Damen und Herren hat die Hand gegen die Pläne der Bahn erhoben, keiner von ihnen hat die Interessen der Bürger und Stadtbahn-Nutzer vertreten. Keiner hat an all die Schüler gedacht, die mit Bus und Bahn zur Schule unterwegs sind und jetzt im Stadtbahn-Chaos landen. Doch ist es nicht Aufgabe eines Aufsichtsrats, die Interessen der SSB und der Stadtbahn-Nutzer der Deutschen Bahn gegenüber zu vertreten? Und warum müssen wir auch dieses Jahr wieder mehr bezahlen für schlechtere Leistung? Was tun die Gemeinderäte im SSB-Aufsichtsrat für uns Bürger?
Diese SSB-Aufsichtsräte müssen mitbekommen, dass die Bürger, die Stadtbahn-Nutzer und Wähler nicht einig sind mit den Zumutungen, unter denen die Stadtbahn in Stuttgart wegen Stuttgart 21 leiden muss. Und genau deshalb gibt es ab heute einen neuen gelben Flyer zum Thema Stadtbahn-Sperrungen. Er informiert mit klaren Worten über die Streckensperrungen und die Folgen, er listet die politisch verantwortlichen SSB-Aufsichtsräte samt Kontaktdaten auf.
Dieser neue Flyer liegt in einer Auflage von 15.000 Stück vor. Er wendet sich an unsere Mitbürger und Stadtbahn-Nutzer. Doch damit der Flyer die Menschen in dieser Stadt auch erreicht, brauchen wir Ihre tatkräftige Mithilfe. Sie haben schon viele Flyer verteilt, da sind Sie inzwischen gut geübt. Nehmen Sie von dem neuen gelben Flyer reichlich mit, verteilen Sie ihn v.a. an den betroffenen Stadtbahn-Haltestellen der Linien U1, U2, U4, U9 und U14. Nachschub bekommen Sie an der Mahnwache und bei den nächsten Montagsdemos.
Wir müssen uns gemeinsam einsetzen für stressfreie Mobilität in Stuttgart und Umgebung. Fangen wir mit dem Flyer an und sagen wir OB Kuhn und seinen Aufsichtsräten bei der SSB, dass die Stadtbahn-Sperrungen nicht in unserem Interesse sind.