Pressemitteilung vom 22. Februar 2011
Die Stadt Stuttgart hat Rechtsanwalt Prof. Dolde beauftragt, sich durch ein Gutachten bestätigen zu lassen, dass ihre finanzielle Beteiligung an dem Projekt Stuttgart 21 mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Eine unbefangene Prüfung ist dabei nicht gewährleistet.
§ 43a Abs. 4 der Bundesrechtsanwaltsordnung verbietet die Übernahme widerstreitender Interessen. Das ist der Fall, wenn die Gefahr besteht, dass der Rechtsanwalt denselben Vorgang für den einen Mandanten in diesem Sinne, für den anderen Mandanten in entgegengesetztem Sinne bewerten müsste. Rechtsanwalt Prof. Dolde hatte bereits 2007 das Land bei der Mischfinanzierung der Neubaustrecke Wendlingen – Ulm beraten und dem Land die Verfassungsmäßigkeit bescheinigt. Nun geht es um ein Bürgerbegehren, das sich auf die Verfassungswidrigkeit der Mischfinanzierung beruft. Die Stadt muss die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens unparteiisch prüfen und bei einem erfolgreichen Bürgerentscheid die Verfassungswidrigkeit gegenüber dem Land geltend machen. Nach Auffassung der Mitglieder des Arbeitskreises „Juristen zu Stuttgart 21“ kann daher ein Interessengegensatz zu der von Prof. Dolde 2007 für das Land vertretenen Rechtsposition bestehen. Prof. Dolde hätte dann die beiden Gegner eines Kündigungsprozesses beraten. Zudem hat das Land die Stadt beim Vertragsschluss vertreten und ist für mögliche Fehler gegenüber der Stadt haftbar. Darauf hat auch OB Dr. Schuster in der Gemeinderatssitzung vom 29.07.2009 hingewiesen. Prof. Dolde wird eine mögliche Interessenkollision bei Mandatsübernahme sorgfältig zu prüfen haben.
Die rechtliche Situation sei zuletzt in 2007 intensiv geprüft worden, hatte OB Schuster am 14.02.2011 noch erklärt. Das Ergebnis der angeblichen „mehrfachen hausinternen Prüfung“ der Stadt (so deren Pressesprecher Markus Vogt) hat sich in einer Antwort des OB Dr. Schuster zur Anfrage 410/2007 und einer Stellungnahme in der Gemeinderatssitzung vom 04.10.2007 niedergeschlagen. „Weitere Erkenntnisse habe er nicht“, kommentierte OB Dr. Schuster seinerzeit die dürftige Antwort der Stadt auf die Frage nach der Verfassungswidrigkeit. „Die hausinterne Prüfung der Stadt hat zwei lustlose Sätze hervorgebracht, ohne sich ernsthaft mit Art. 104a GG auseinander zu setzen“, bemängelt Rechtsanwalt Bernhard Ludwig, Vertrauensperson des Bürgerbegehrens und Mitglied im Arbeitskreis „Juristen zu Stuttgart 21“. OB Dr. Schuster hat sich vermutlich blind auf das Land verlassen und nie sorgfältig die Rechtslage geprüft.
Mit dem neuen Gutachten sollen die Versäumnisse der Vergangenheit kaschiert und nachträglich ein gewünschtes Ergebnis eingeholt werden. „Offensichtlich hat OB Dr. Schuster dabei auch Angst, ein Ergebnis zu erhalten, das ihm nicht gefällt, sonst hätte er einen anderen Gutachter beauftragt“, schließt Ludwig. „So hat er die Chance vertan, durch ein unabhängiges Gutachten Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger wieder zu gewinnen.“
„Die Projektbeteiligten haben reuevoll ein Kommunikationsdesaster und mangelnde Transparenz eingestanden. Nun kommuniziert die Stadt aber genau so weiter wie bisher“, kommentiert Sigrid Klausmann-Sittler die hektischen Reaktionen der Stadt auf das von ihr unterstützte Bürgerbegehren. „So braucht sie sich über den wachsenden Unmut und Vertrauensverlust ihrer Bürgerinnen und Bürger nicht zu wundern. OB Dr. Schuster hat unser Bürgerbegehren reflexartig als Täuschung der Bürger dargestellt. Wenn man sich aber seine Art der Kommunikation anschaut, hat das Wort Täuschung immer einen seltsamen Beigeschmack.“
„Jetzt ist deutlich geworden, dass die Stadt sich zur Ausgabe von knapp 300 Mio. EUR für Stuttgart 21 verpflichtet hat, ohne vorher abschließend geprüft zu haben, ob sie dieses Geld nicht allein für eigene Aufgaben verwenden muss, wie zum Beispiel die Instandhaltung von Schulgebäuden, Bildung und Erziehung und gar nicht für ein Bahnprojekt zweckentfremden darf“, ergänzt Axel Wieland, Vorsitzender BUND Region Stuttgart und ebenfalls Vertrauensperson für das Bürgerbegehren.
Sigrid Klausmann-Sittler
Axel Wieland
Bernhard Ludwig
Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 & Arbeitskreis Juristen zu Stuttgart 21
Pressekontakt:
Gerhard Pfeifer, BUND Umweltzentrum, Rotebühlstr. 86/1, 70178 Stuttgart, Telefon: 0711/6197040
Patrick Kafka, BUND Umweltzentrum, Rotebühlstr. 86/1, 70178 Stuttgart, Telefon: 0711/61970-20
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Liegt denn die erste gutachterliche Stellungnahme nicht schriftlich vor?
Jetzt würde mich doch erneut interessieren, auf welcher Grundlage ein OB ständig Gutachten bestellen kann und aus welchem Budget dies bezahlt wird. Muss dazu nie jemand befragt werden oder ja sagen – sein Gemeinderat etwa? Warum passiert selbst im Falle von Schlechtachten, Stichwort Cross Leasing – da nie etwas?
Und noch genauer: Wie viel Geld haben wir Stuttgarter eigentlich in Schusters Amtszeit schon für seine (und ich meine SEINE) Gutachter bezahlen müssen?